Mittwoch, 22. Mai 2013

15. woche - grüne hölle

mittwoch, 8. mai

Im Büro herrschte wieder gähnende Arbeitsleere. Und gegähnt wurde genug. Nach Absitzschluss besuchte ich Abuelita zum Mittagessen. Sie hatte wieder mehr als reichlich gekocht und dementsprechend voll rollte ich nach dem Erfahren weiterer Familiengeheimnisse zum nächsten Treffpunkt den Berg hinunter. Es galt endlich den bevorstehenden Trip zu planen, der morgen beginnen sollte. Mit dem anderen Freiwilligen ging es zum Busticketerwerb und dem Suchen nach einer geeigneten Reiseorganisation für eine Tour vor Ort. Das Büro des Busveranstalters fand sich in einem abgehalfterten Hauseingang in einem der günstigsten Viertel La Pazs wieder. Das Ticket war mit 7€ für eine 15-stündige Fahrt sehr billig und wir würden noch erfahren warum.
Wir fuhren wieder ins Zentrum um uns in der Touristengasse nach dem günstigsten Preis für eine Urwaldtour zu erkundigen und wurden schnell fündig. Mit welcher Dreistigkeit uns schwindelerregende Preise genannt wurden war beeindruckend. Als wir ihnen dann erzählten, dass wir in einem anderen Laden, das gleiche Angebot für die Hälfte des uns soeben genannten Preises offeriert bekommen hatten, wurde dieses wie selbstverständlich unterboten. Obwohl man uns vorher weismachen wollte, dass man uns schon den absolut niedrigsten Preis genannt hatte. So langsam zahlt sich etwas bolivianische Erfahrung aus, vor allem wie manchmal mit Touristen umgegangen werden will. Meistens wird man gerecht behandelt, dennoch gibt es einige schwarze Schafe, die einen auch gerne Mal eine Tafel Schokolade für das dreifache des Preises verkaufen wollen.
Zufrieden endlich Planungssicherheit zu haben ging es Richtung Kungfutraining. Nach einem Nachmittag voller Programm ging es nachhause, wo noch die ersten Sachen gepackt wurden.

donnerstag, 9. mai

Es ging früh raus aus den Federn, um zu packen und zu hoffen alles Notwendige in einen Eintagesrucksack unterbringen zu können, was glückte. Danach fuhr ich zum Haus des anderen Freiwilligen um weitere Vorbereitungen zu treffen. Proviant sollte gekauft werden: Brot, Schinken, Käse, Früchte und das wichtigste einen Orangenkuchen. Kuchen und andere Patisseriewaren sind hier für uns mehr als bezahlbar und mehr als essbar. Eine riesige Schokotorte gibt es zum Beispiel für 9€, mit mehreren kleinen Gebäckstücken für eine Großfamilie verlässt man den Laden unter 5€. Wie bereits erzählt ist Essen hier im Vergleich fast zu billig, wenn man sieht, wie viel halbgenutztes Essen in den Straßengräben verkümmert. Dennoch wird sich beschwert, da die die Preise die letzten Jahre in die Höhe geschossen sind. Für Früchte zahlt man beinahe das Zehnfache des Preises im Vergleich zu vergangenen Jahren. Kaum verwunderlich, dass die jährliche Inflation beinahe 10% beträgt. In La Paz scheint es, als wenn die Bewohner diese Preisanstiege noch auffangen könnten. In ärmeren Landstrichen, in denen es keine Arbeitgeber gibt, die ihre Löhne an die neuen Preise anpassen können, sieht es nicht ganz so wohlig aus. Mit diesen Problemen im Hinterkopf fühlt man sich hilflos nicht entscheidend entgegen wirken zu können. Zumindest tue ich das. Im Unterton der meisten Bolivianer, die ich kennen lernen durfte, spielt dies jedoch weniger eine Rolle. Man achtet wohl doch lieber auf sich selbst. In welchem Land ist dies nicht der Fall?
Unser Augenmerk galt jetzt allerdings den Kronjuwelen unseres Proviants, einem großen Trockenkuchen für 1.5€. Mit einem großen Beutel voll Essbarem standen wir überpünktlich am Abfahrtsplatz. Wir hofften auf eine pünktliche Reise mit wenigen Hindernissen.
Zur Zeit werden in Bolivien aus Protest Straßen blockiert. Und da es nun einmal wenige gibt, und Umfahrtstraßen ein Wunschtraum sind, sind ganze Landstriche abgeschnitten. Der Staat versucht drastische Lohn- oder Rentenkürzungen durchzuführen, teilweise bis zu 70%. Viele Menschen bangen, zusätzlich zur eben erwähnten Preissteigerung um ihre Existenz. Um sich Gehöhr zu verschaffen, gilt es hier als probates Mittel die Infrastruktur zu manipulieren. Vor allem die wütenden Mineros [Minenarbeiter], deren Betriebe verstaatlicht sind, berufen sich auf diese Art des Protests. Steine werden auf wichtige Straßen und Autobahnen gerollt,  Barrikaden errichtet und mit Dynamit Lärm gemacht. Innerhalb weniger Augenblicke können wichtigste Verbindungsstraßen unpassierbar gemacht werden. Diese so genannten „Bloqueos“ spielen sich jedoch vor allem im Süden, dem Landstrich der meisten Minen ab, weswegen wir unsere Reise in den Norden nicht verschieben wollten.
Wir betrachteten, wie auf die Dächer, der ohnehin schon hohen Doppeldeckerbusse älteren Jahrgangs allerlei Gepäck verfrachtet wurde. Händler nutzen diese billige Art zu Reisen, als Transportmöglichkeit für ihre in entlegeneren Regionen zu verkaufenden Güter. Bunte Klamottensäcke, eingeschweißte Bügelbretter, Flachbildfernseher, Radios, rosa Kinderfahrräder, Kartoffeln und manchmal auch Hühner werden fachgerecht verstaut. Dabei wird vergessen, dass die Stromleitungen, die überall notdürftig über die Straßen hängen, niedriger sind, als Doppeldecker ohne 2m Aufbau.
Der Bus vor uns setzte zur Abfahrt an. Einige ahnten das nicht zu vermeidende Unglück und eine kleine Menschentraube blickte gebannt Richtung schwarzer Kabel. RUUUMMS! Trotz hastiger Da-ist-kein-Platz-Rufe waren einige Haushalte jetzt ohne Strom oder Fernsehsignal. Ein Mithelfer musste auf das 4m-Dach klettern und mit seinen Händen die Kabel über das auffragende Gepäck stemmen. Unter dem Beifall aller Gaffer, auch uns, die wir einfach nur lachten, versuchte der Halter die Balance auf dem fahrenden Untergrund zu halten und balancierte mit Kabeln in der Hand am Gepäckaufbau vorbei. Welch ein Spektakel. Sollen wir dir ein Messer hochwerfen, wurde gemeinerweise geschrieen. Der arme Kerl krabbelte sichtlich verwirrt vom Dach zurück ins Fenster um nur kurz darauf erneut das Dach zu besteigen. Seltsamerweise hingen schon wieder einige Kabel tiefer in die Straße. Der gute Mann wirkte etwas verwirrt beim nächsten Abstieg und schüttelte sich mehrere Male. Hatte bestimmt mehr gebritzelt als Ahoibrause.
Die Beladung unseres Busses dauerte eine Stunde, weshalb sich auch unsere Abfahrtszeit um diese Spanne verschob. Wir wurden einige Male unverständlicherweise angeschnauzt, dass wir im Weg stünden, obwohl ihr gemütlich neben anderen Wartenden warteten. Scheiß Gringos eben.
Endlich gings los. Kartenkontrolle gab es keine, dafür winzige Sitze und wenig Platz für Gepäck. Um dem Kessel der Stadt der La Paz zu entfliehen, kämpfte sich der überladene Endsechziger im Schneckentempo die Höhe hinauf. Eine Frau, die die Abfahrt verpasst hatte, holte uns sogar noch zu Fuß ein. Kabel nahmen wir keine mit, der Helfer war sicherheitshalber nach dem Beladen direkt oben geblieben. Man hatte gelernt. Schreckliche peru-bolivianische Schlager zwangen einem wegzuhören oder in unserem Fall mit Volksmusikgesten mitzusingen, da die Texte so banal waren, dass man sie nach spätestens zweimal hören auswendig kannte. Nebensitzende schauten uns, vor allem mich, der voller Inbrunst sang, wohl verwundert an.
Die karge Berglandschaft änderte sich zur Weite des Altiplanos. Seen plätscherten langsam vorbei. Politische Parolen und dumme Sprüche an Felswänden huschten vorüber. Das schöne Landschaftsbild wurde nur von Tonnen von Müll beschädigt die sich am Straßenrand türmten. Selbst eine heilige Stätte war heillos übersäht. Möglicherweise Opfergaben für den Berggeist. Wie man die hochsensible Natur hier oben, die einigen sogar als mystisch gilt, so verschandeln kann, bleibt mir ein Rätsel. Es spricht der Recyclingaufklärer.
Selbst bei der Abfahrt wurde die 20km/h Schwelle nicht überschritten. Ein gutes Zeichen, wenigstens die Bremsen funktionierten [noch]. Sogar kleine Dörfer mit Essenständen hatten sich an der Straße angesiedelt, aber auch alte Steinruinensiedlungen sprossen aus den kleinen Tälern. Erstaunlich, wo manche Menschen hausen.
Atemberaubend die Landschaft, mit ihren Gipfeln und Tälern, durch die sich die Asphaltschlange genagt hatte. Die Vegetation begann sich bei weiterer Abfahrt langsam zum ändern. Immer mehr Pflanzen – Regenwaldpflanzen. Man konnte ihn in der Ferne schon sehen. Die Nebelwälder begannen. Wolken schmiegen sich an die Gipfel und lassen sie nicht wieder los. Dass man innerhalb einer Stunde Schneckentempo, in unterschiedlichste Welten eintreten kann, verzauberte mich. Diese Fahrt war bis jetzt schon ihr Geld wert. Bergkurvenleidigen ist diese Holperpistenfahrt jedoch abzuraten. Warum man für etwas mehr als 200km Luftlinie 15h Fahrtzeit benötigt, hatte ich spätestens jetzt bei Straßenbelagssicht und Fortbewegungsgeschwindigkeit verstanden.
Nach immer mehr Bäumen und Hälserecken nach der beindruckenden Kulisse kam es wie es kommen musste. Es ging nicht weiter wir blieben stehen. Ein Stück unbefestigter Hang hatte sich oberhalb der Straße auf einer Baustelle gelöst. Die Straße war unpassierbar und mit Geröll überschüttet. Ob dies Absicht der Bauarbeiter war [Stichwort Blockade] oder einfach nur Dummheit, konnte uns keiner beantworten. Wie man überhaupt einen naturgemäß bewaldeteten Steilhang abroden kann, ohne an Erdrutsche zu denken, darf man sich gar nicht erst fragen…
Da standen wir also mit anderen Reisenden oder Lkwfahrern und genossen die schöne Aussicht ins Tal und die Ruhe der Motoren. Ein paar Findige witterten Geschäfte und versuchten Früchte, Getränke und Wassereis zu verkaufen.
Nach 45min ging es auf einmal weiter. Die Karawane setzte sich in Gang. In größeren Orten wurde zum Entleeren und Befüllen der Passagiere und Fahrer Rast gemacht. Wir unterhielten uns mit anderen Ausländern und gaben zuhause Bescheid, dass wir noch am Leben waren. Die Straße wurde immer abenteuerlicher, das Licht immer weniger. Teilweise war der Weg so eng, dass man dachte der breite Bus müsse gleich rechts am Fels kratzen oder links die Böschung runter poltern. Wenn Gegenverkehr kam, am besten andere Riesenfahrzeuge, begann es spannend zu werden. Bei wenig Licht, da ja Energie gespart werden sollte, unfesten Untergrund und wenigen Zentimetern neben dem steilen Abhang, bei dem selbst die nicht vorhandene Leitplanke nicht geholfen hätte, wurde nach hinten und vorne rangiert bis die Gegenseite passiert hatte. Wir hatten das Vergnügen am linken Fenster zu sitzen, also direkt ab Abhang, da auf einmal zu Linksverkehr gewechselt worden war. Bei Blick aus dem Fenster, meinten wir bei einer der Rückwärtsaktionen den linken Hinterreifen nicht mehr auf der Straße zu sehen. Es war einiges geboten, doch irgendwie blieben wir ruhig und begannen erst einmal gemütlich zu vespern. Der waghalsige La-Paz-Verkehr hatte uns schon abgehärtet und wir besaßen ein Urvertrauen in unser Fahrergespann. Auch das auf dieser Strecke noch Elefantenrennen und Überholmanöver gestartet wurden nahmen wir mit einem müden Lächeln hin. Wir lachten noch einige Male laut über diese seltsamen Situationen und Bolivien und beschlossen dann zu schlafen.

freitag, 10. mai
Der Himmel wechselte sein schwarzes Nachtkleid. Er schien sich jedoch nicht sicher zu sein, was er denn anziehen wollte. Zuerst legte er die Sterne ab und begann zu dunkelblau zu tendieren. Am unteren Rand spielte dies mit der Zeit ins moosgrünliche, später ins pastellgelbe, ins orange und rötliche. Wie eine zu hissende Fahne zogen sie in dieser Reihenfolge nach oben und begannen sich in der Weite zu verlieren. Durch die dunklen Schemen der tropischen Pflanzen konnte man die ersten Sonnenstrahlen erahnen. Unbeschreiblich. Eigentlich war ich totmüde aber diesen Anblick konnte ich meinen Augen nicht vorenthalten. Der Bus schaukelte behäbig über die Lehmschotterpiste, die nun völlig gerade Rurrenabaque anvisierte. Kleine Häusersiedlungen zogen zu beiden Seiten ab und an vorbei. Manche Häuser waren massiv gebaut und hatten teilweise bis zu drei Stockwerke, andere bestanden aus Holz und waren mit Palmblättern bedeckt. Hühner, Kühe, Schweine und natürlich Hunde begannen zwischen den Bananenstauden im sonst kargen Vorgarten zu erwachen. Wir hielten mehrmals an und ich dachte wir wären angekommen. Leute luden Tonnen von Dachgepäck ab, was die Fahrt weiter verzögerte, den Bus danach aber merklich schneller werden ließ. Unsere versprochene Ankunftszeit um 5 war längst vorbei gezogen. Unsere Tour sollte um neun beginnen, noch war Zeit. Die Bananenplantagen, simple Fußballfelder, einfachste Schulgelände und weitere Häuser hoppelten zwischen Grünstücken an den Fenstern vorbei. In der Ferne wuchsen grünbewachsene Bergketten in den mittlerweile hellgewordenen Himmel. Bäume, deren Blattwerk erst in der Höhe zu wachsen begann, reckten sich aus den flachen Plantagenland in die Höhe. Ich fühlte mich an eines der Tahitigemälde Paul Gaughins erinnert und verstand seine Faszination für Farbwahl.
Leute stiegen aus und zu. Am liebsten wäre ich selber gerne ausgestiegen um den Eindruck malerisch festzuhalten oder zumindest zu fotografieren. Das Wackeln und die verschmutzten Fenster machten dies aber unmöglich. Im Kopf zu speichern blieb wohl die einzige Möglichkeit. Kinder versuchten bei Halten Getränke und Früchte im Bus zu verkaufen. Die Landschaft begann sich zu ändern. Die Bäume wurden höher und wuchsen dichter. Vögel flatterten neben dem Bus und landeten auf der parallellaufenden Stromleitung. Eine solche Landschaft hatte ich noch nie gesehen und es war mehr als beeindruckend. Ob ich hier allerdings leben wollte ist eine andere Frage, alles wirkte romantisch, wohl aber nur auf kurzen Aus-dem-Fenster-Blick. Das Leben ist hier bestimmt kein Zuckerschlecken, wenn man die Kleidung der Bewohner und ihre Einnahmequelle, unprofessionelle Landwirtschaft, betrachtet. Ich dachte an eines der vielen hier rum huschenden Kinder. Wie mochte es wohl sein hier aufzuwachsen? Wohl unwahrscheinlich sich dies zu vorstellen zu können. Unweigerlich dachte ich an meine ersten Dschungelerlebnisse und dass sogleich Colonel Hathis und seine Dschungelpatrouille aus dem Unterholz brechen würden. Obwohl wir von Indien einige weitere Kilometer entfernt waren.
Die vielen Bäume hatten mich mittlerweile müde gemacht und ich begann zu dösen. Um neun waren wir noch immer unterwegs, wir wurden nervös unsere Tour zu verpassen und stopften uns zur Beruhigung den Rest des Kuchens rein. Die schwüle Wärme und das lange Sitzen waren ungemütlich geworden und tatsächlich waren wir um elf endlich am Busterminal im Zielort angelangt. Wir telefonierten mit dem Touranbieter, der uns abholte und erklärte, dass wir heute wohl nicht mehr aufbrechen könnten. Morgen wäre das kein Problem. Mit Motorrädern fuhren wir zum Büro, wo alles genauer geklärt wurde. Wir suchten ein Hostel für die kommende Nacht und wurden fündig. Großes Zimmer, Dusche, die zwar etwas gewöhnungsbedürftig war und gemütliche Betten. 2,5€ pro Nase, pro Nacht. Die Temperatur und der niedrige Druck des Tieflandes hatten uns unglaublich schläfrig gemacht. Wir ruhten uns kurz aus, da wir sowieso nichts zu tun hatten. Etwas aufgetankt begannen wir danach eine kleine Tour durch den Dschungelort. Touristenläden, Bars, Restaurants, die mit internationalen Speisen warben, bestimmten den Hauptkern des Örtchens. Wir liefen am Fluss entlang. Ein brauner Drecksfluss, der einige Kilometer später in den Amazonas münden würde. Etwas abseits vom Trubel der Hauptstraße nahm der Ort ein anderes Bild an. Dem milden Wetter geschuldete, leicht gebaute Familienhäuser, Schreinereien und sonstige Dorfgebäude wechselten die Touristenschuppen ab. Nun folgten teurere Hotelreservate mit eigenen Pools. Durch das rechteckig aufgebaute Straßensystem brausten dutzende von Motorrädern, die einen für überteuerte Preise anboten, mitzunehmen. Mit Flip-Flops, Sonnenbrille und angenehm warmen Temperaturen fühlten wir uns wie im Urlaub.
Dieser Ort war gänzlich darauf ausgelegt. Tourismus so weit das Auge reichte, was man auch an den Preisen merkte, die an einigen Orten deutlich teurer als in La Paz waren. In einer der Gassen trafen wir die anderen Touristen aus dem Bus wieder, und verabredeten uns mit den drei Mädels zum Abendessen. Wir wollten uns zuvor aber noch den Ausblick über die Stadt und das Flusstal gönnen und machten uns auf dem Weg zur Aussichtsplattform auf einem von Pflanzen überwucherten Auslegerberg. In einer Viertelstunde sei man oben, es könnte ab und an etwas steiler werden, wurde uns gesagt. Wir waren fasziniert von den einfachen Häusern, die da am Rande des Urwalds Verstecken spielten. Bunte Wäsche, spielende Kinder und gackernde Hände lugten zwischen den vereinzelten Bäumen hervor. Der Pfad durch den Urwald am Bach entlang machte Freude auf mehr. Riesige Schmetterlinge tanzten vorbei und nicht mal die Gedanken an die hinderliche Fahrt konnte unser breites Grinsen vertreiben. Viva Bolivia. Es könnte steil werden, war untertrieben. Mit Flip-Flops auf lehmigen Boden und Lianen und Wurzelen in den Händen kraxelten wir hinauf. Selbst hier in der schönen Natur auf engem Pfad, lag überall Plastikmüll. Wenigstens waren wir auf dem richtigen Weg. Ab und zu kamen uns junge Leute und Kinder entgegen, grüßten freundlich und lachten uns aus, wie wir uns nach oben kämpften.
Endlich oben. Es bot sich eine tolle Aussicht und die gedämpften Laute des Ortes, die nach oben schwebten, verschmolzen mit den Geräuschen des Urwalds zu einer Melodie der Sorglosigkeit. Wir waren im Urwald in Bolivien, der Aufstieg und die Sonne hatten uns erhitzt und wir waren unglaublich glücklich. In der Ferne erstreckte sich das Amazonasgebiet. Viele Rauchschwaden, die aus dem Gebiet aufstiegen verdarben uns die Laune. Brandrodung zur Landgewinnung für Viehzucht direkt am Fluss. Welch Traum für Ökologen. Irgendwo muss das ganze Fleisch der fleischverwöhnten Bolivianer wohl herkommen. Traurig zu sehen, wie die Einzigartigkeit und Unendlichkeit dieser Natur mit Füßen getreten wird.
Unter unseren Füßen konnte man die aus Quadraten bestehende Kleinstadt / Dorf erkennen. Rurrenabaque liegt strategisch günstig an der Schwelle zwischen bergigen Urwaldgebiet und flacher Sumpflandschaft. Der Fluss teilt sich auf Höhe der Stadt in zwei Arme auf. Früher war der Ort von Indianern aufgrund seiner Lage als Wohnort ausgesucht worden und war seit jeher Austauschort der verschieden Dschungelvölker. Mit der Anbindung an La Paz fanden Waren der Hochzone ihren Weg in den Dschungel. Im Laufe der Zeit entwickelte sich R. zum Handelsplatz für Tropenholz und Tierpelze. Jesuiten und Spanier brachten eine neue Sprache und den Katholizismus in die Zone und drängten alte Bräuche, Religionen, Sprachen und Dialekte stark zurück. Dennoch werden vereinzelt immer noch Dialekte und Sprachen gesprochen, alte Bräuche ausgeübt oder mit anderen vermischt. Dieser Stolz auf die eigene Vergangenheit nimmt gerade wieder zu. Einzelne Gruppen, die mit dem modernem Trubel nichts zu tun haben wollen, leben nach wie vor zurückgezogen in den Wäldern und pflegen ein Leben, wie noch vor hunderten von Jahren. Die ganze Kraft dieses Kulturzusammenstoßes war für mich in den Eindrücken hier auf dem Hügel über der Stadt deutlich zu spüren. Was wurde hier alles zerstört, was ging verloren, welche Schicksale spielten sich hier ab. Und nicht nur hier, in ganz Süd- und Nordamerika. Hier kann sich gerne jeder selber Gedanken machen, sofern er noch am Lesen ist.
Wieder unten suchten wir den Weg zu einem kleinen Wasserfall um uns etwas abzukühlen. Die Abendsonne und angenehme Sommernachtsbrise wurde beim schlendern durch die Gassen genossen. Überall wurde gegrüßt und sich gefreut, dass wir Spanisch sprachen. Abends wurden ein paar Bierchen gelehrt, etwas gegessen und mit anderen Touristen Erfahrungen ausgetauscht. Mit zwei Münchner Polizisten, die im Stadtviertel des anderen Freiwilligen stationiert waren, wurden witzige Geschichten über München und Eindrücke ihrer Peru-Bolivien-Reise ausgetauscht. Wie klein die Welt doch ist.
samstag, 11. mai
Endlich sollte es wirklich losgehen. Voller Vorfreude machten uns früh auf die Socken und gingen zum Frühstück zu einer uns empfohlenen Bäckerei. Ein Franzose mitten im bolivianischen Urwald. Es fühlte sich falsch an. Mancher Pariser Pattiseur wäre ob seiner leckeren Gebäckstücke neidisch gewesen, perfekt für uns Touris. Nach einigen Warteminuten im Büro ging es mit 6 Israelis gemeinsam ins Boot, welches uns zu unserem Lager im Urwald bringen sollte. Bevor es den Fluss hinauf ging, wurde noch Nationalparkeintritt gezahlt und Regeln erklärt. Endlich begann die 3einhalbstündige Fahrt. Vorbei an kleinen Siedlungen und anderen Schnellbooten, die Einheimische und Bananen geladen hatten. Vorbei an hohen baumbewachsenen Bergen und Ufern, auf denen es sich Reiher und Komorane gemütlich gemacht hatten. Diese Eindrücke sind schwer in Worte zu fassen. Der Schipper kannte seinen Fluss und ständig wurden Seiten gewechselt und Strudeln und flachen Stellen ausgewichen. Wie oft er in diesem undurchschaubaren, braunen Etwas schon aufgelaufen war, um sich gut auszukennen, traute ich mich nicht zu fragen. Man vergaß die Zeit und die Sonne machte schläfrig. Nach einiger Fahrt ließ man die Bergkette hinter sich, es wurde flacher und man konnte Bananenplantagen erkennen, die am Flussufer betrieben wurden. In der flachen Landschaft konnte man nun nur noch die Eingänge ins tiefe Grün erspähen. Endlich kamen wir an und das Boot wurde entladen. Auf einmal wurde sich bei uns zwei entschuldigt und erklärt, dass das sonst nicht ihre Art sei. Wir verstanden nicht, was falsch gelaufen war. Als wir zwei den Fluss wieder runter fuhren wurde uns erklärt, dass ein kleiner Organisationsfehler vorlag. Die andere Gruppe hatte für 4 Tage gebucht, wir jedoch nur für 3, man hatte uns aber fälschlicherweise zusammen gesteckt.
Nach 15min weiterer Fahrt durften auch wir aussteigen und wurden erstaunt von einem Guide empfangen. Wir legten an und traten samt Gepäck und Verpflegung in die Pforte zum Urwald ein. Das Camp in dem wir angekommen waren, war erst vor wenigen Tagen zu Bauen begonnen worden, weshalb es noch keine Häuser geschweige denn eine Küche gab. Als Erstes ging es ans Nachtlager bauen. Mit Macheten wurde Bäume gefällt und Lianen geschnitten, aus denen wir ein Holzgestell errichteten. Eine Plastikplane als Dach und eine als Boden rundeten die Häuslichkeit ab. Ein Mosiktonetz wurde über den Schlafplatz gehängt und fertig war die Laube. Auf einem Gaskocher wurde schnell gekocht, als plötzlich weitere Guides aus dem Dickicht auftauchten und uns verstaunt anschauten. Eigentlich sollten erst in 3 Monaten Touristen an diesen Ort geführt werden, da vorher noch Vieles vorbereitet werden musste: Behausungen, Küche, Klos, Sitzmöglichkeiten, Regenschutz und Wege durch den Wald. Wir hatten also das erwünschte Vollnaturerlebnis. Wir wurden noch kurz ausgelacht, da wir noch immer in kurzer Hose und T-Shirt dasaßen und uns über Mückenstiche wunderten. Lange Ärmel und Hosen waren, trotz schwüler Hitze echt angebracht
Nach dem Mittagessen zogen wir zu dritt im Gänsemarsch in den Wald. Eine grüne Hölle. Wir bewunderten Pflanzen, die man aus dem Wohnzimmer kennt und Bäume so hoch, dass man beim Hochschauen eine Genickstarre bekam. Es war beeindruckend. Gleich müsste man doch auf die Glaswand eines Gewächshauses stoßen, dachte sich unser europäisches Gehirn, als es immer weiter und weiter ging. Aber wir waren nicht im Botanischen Garten eines alten Kaisers sondern tatsächlich im Dschungel. Farbenfrohe Blumen gab es hier jedoch nicht zu sehen, da nur wenig Sonnenlicht direkt den Boden erreichte. Stattdessen ging es weiter durch das ewige Grüne. Das Laufen im schwülen Untergrund war anstrengend, obwohl man erstaunlich gut vorankam und die Machete unseres Guides kaum zum Einsatz kam. Der Boden war von kleinen Trieben übersäht, die gegen ihre Kontrahenten am Boden um Licht kämpften und sich in die Höhe zu katapultieren versuchten. Es ging vorbei an Baumriesen, mit nicht endenden Grundwurzeln, umgefallenen Bäumen und weiterem Grün. Man vergaß die Zeit und fiel in eine Art Trance. Das Grün beruhigte ungemein. Tierstimmen drangen durch den Urwald. Vögel und Affen gaben Freiluftkonzerte. Nur sehen konnte man sie nicht, da sie sich lieber in den Wipfeln aufhielten, die bis zu 70m über uns endeten. Stattdessen machten wir Bekanntschaft mit einigen Insekten. Auf einmal schwirrte ein schwarz glänzendes, hornissenartiges Wesen, über den Weg. Wir sollten es ja nicht berühren, da dessen Stich tödlich enden würde. Es hatte wohl einiges an Gift geladen, da es zu schwer zum Fliegen schien. Mit aller Kraft hob es immer wieder ab, nur um anschließend wieder auf den Boden zu plumpsen. Käfer und Spinnen waren gerngesehene Gäste und auch die Haut eines 2m langen Tausendfüßlers, lag abgestreift zwischen hohlen Baumstämmen. Am faszinierendsten waren jedoch die Ameisen. An die 30 Sorten verrichteten hier ihre Arbeit. Emsige Blattschneider, deren platt gelaufene Autobahnen man durch das Unterholz verfolgen konnte und zu ihrer schrebergartengroßen Hauptstadt führten. In Kammern im Boden sammeln sie die geschnittenen Blätter, um diese verrotten zu lassen und anschließend die darauf wachsenden Pilze zu ernten. Daumengroße Wegelagerer, die nur in kleinen Kolonien von 10 bis 100 ihr Unwesen trieben und andere Ameisen überfielen um diese zu verspeisen. Unauffällige Verwandlungskünstler, die sich in den Autobahnen untermogelten, um später in den Geburtskammern des anderen Stammes Eier zu plündern. Oder rote Ameisen, die mit einer Baumsorte in Symbiose leben, um nur einige zu nennen. Unser Guide erklärte uns viel über Pflanzen und Tiere und begann immer wieder Tiergeräusche nachzuahmen um doch noch ein paar größere Gesellen anzulocken. Nach 4 Stunden Wanderung ohne Tiersichtung wurde sogar er ungeduldig. Tukane kreischten über unseren Köpfen, aber sie zu sehen war zwecklos.
An einem stillstehenden Bach lockte unser Guide mit Klopfgeräuschen Kaimane und kleine Krokodile zur Schau ans Ufer. Es war dunkel geworden und mit Taschenlampen bewaffnet bahnten wir uns den Weg zurück. Die Orientierungsgabe unseres Guides im Grünen Meer war mir schon vorher ungeheuerlich, als wir sogar im Dunklen sicher den Weg zurück fanden, fehlten mir für diese Leistung die Worte. Es wurde gegessen und mit den anderen Guides geflachst, die uns munter an ihrem Leben teilhaben ließen. Eine besondere Gruppe Menschen, die den Großteil ihres Lebens hier im Dschungels verbringen und dies schon seit Jahren. Am Abend hatten sie mit einfachsten Angelschnüren drei kapitale Forellen gefangen, die wir nun frittiert zum Abendessen verspeisten. Der größte dieser Mordsfische maß mehr als einen Meter. Letztendlich hatten wir nur durch den Zufall des Organisationsfehlers das Glück, dieses unverfälschte Naturerlebnis zu erleben. Auch das ist Bolivien.
In der Nacht fand ich kaum Schlaf, da das Moskitonetz nicht für Menschen mit längeren Körpermaßen auslegt war und ich somit an allen anstoßenden Körperteilen ausgesaugt wurde. Dass der Schlafuntergrund zudem mehr als unbequem war, und noch immer eine schwüle Hitze am Urwaldboden herrschte machte das Entfliehen ins Land der Träume nicht gerade einfacher.
sonntag, 12. mai
Nach dem Frühstück brachen wir zu einer achtstündigen Wanderung auf. Die Wolken über dem Dschungel ließen das Klima um einiges angenehmer erscheinen, und das gestrige Schwitzen wurde zu keinem Zeitraum erreicht.
Unser Guide hatte gemerkt, wie meine Nase ständig lief und gab mir kurz darauf eine Pflanzenwurzel zum Einatmen. Der Geruch war lecker, jedoch so intensiv, dass sich meine Nase innerhalb weniger Sekunden vollständig entleerte und ich wieder frei atmen konnte. Diese Wurzel wurde in der traditionellen Medizin der Urwaldeinwohner genau für dieses Gesundheitsproblem eingesetzt. Im Laufe des Tages bekamen wir weitere Einblicke in die grüne Apotheke, die uns umgab und hauptsächlich aus weiteren Pflanzenbestandteilen bestand. Wir passierten Kautschukbäume, deren Narben darauf schließen ließen, dass sie noch vor einigen Jahren zur Gummigewinnung angezapft worden waren. Auch andere Narben im Urwald ließen erahnen wie noch vor Nationalpark- und Kontrollzeiten [ca. 17 Jahre], dieser gnadenlos ausgebeutet worden war und tiefer im Dschungel noch immer wird. So kamen wir zum Beispiel an mehreren abgesägten Baumstümpfen vorbei, deren Durchmesser ca. 3m betrag. 5m weiter begann der verwesende Oberteil des Baumes, welcher noch 50m weiter ins Dickicht ragte. Tropenholzräuber hatten sich nur ein 3langes Stück dieser Mahagonibäume herausgeschnitten und den Rest den holzfressenden Insekten überlassen. Welche Verschwendung eines fast Jahrtausende alten Baumes, der Lebensgrundlage für hunderte von Tieren war. In ihrer Eile hatten die Räuber ein bereits zu Recht gesägtes Brett auf dem Boden hinterlassen, welches dort nun vor sich hin verrottete.
Unser Guide erzählte uns auch, dass Wilderei hier noch immer betrieben werde, wie schwierig es allerdings sei, dies in diesem riesigen Gebiet zu stoppen. Die Wilderer kennen sich bestens aus, sind deshalb kaum aufzufinden und wissen Routen, die nicht überwacht werden können. Dennoch hat die Errichtung des Nationalparks viel zum Schutz dieses Heiligtums beigetragen und auch Jaguare oder andere Großtiere werden wieder häufiger gesichtet. Wir waren wieder auf der Pirsch und hatten mittlerweile einige Affen und Vögel besichtigen und hören können.
Plötzlich tat sich eine Lichtung auf und ein Paradies für Schweine öffnete vor unseren Augen seine Pforten. Kein Zooplaner hätte dieses fußballfeldgroße Schlammloch mit umgefallenen Baumstümpfen, früchtetragenden Palmen und Versteckmöglichkeiten besser planen können. Ein Wunder der Natur. Leider waren zurzeit keine Schweine anwesend, was aber auch unser Glück war. Nur so hatten wir die Möglichkeit, welche der am Boden liegenden Früchte zu probieren, die erst vor wenigen Minuten heruntergefallen waren und noch nicht von Schweinen verzehrt worden waren.
Es ging weiter durchs unendliche Grüne und das beruhigende Umfeld hatte uns wieder in einen Trancezustand gebracht, der uns immer weiter laufen ließ. Noch immer bestaunten wir all die Pflanzen und Tiergeräusche, die uns umgaben. Und blödelten bei seltsamen Pflanzenformen oder Tiergeräuschen ein wenig herum. Z.B. erinnerte das Pfeifen eines Vogels an das männliche Pfeifen in der Fußgängerzone, welches vorbeilaufenden Damen gespendet wird. Tiere hatten wir wohl verhältnismäßig wenig direkt sehen können, da auch unser Guide nach 6 Stunden wandern schon ungeduldig geworden war.
Auf einmal hörten wir lautes Rascheln und eine Gruppe Nasenbären watschelte wenige Meter entfernt von Ast zu Ast. Sofort waren wir im Jägermodus und pirschten uns langsam heran. Adrenalin und ein breites Grinsen machten sich breit. Unsere ersten Tiere, so gut sichtbar und so viele.
Zufrieden machten wir uns auf dem Rückweg. Am Fluss der Kaimane entdeckten wir ein herrenloses Boot. Wie es dort hingekommen war, konnte uns auch unser Guide nicht erklären, möglicherweise wurde es einst von Wilderern benutzt. Mit Stöcken und einem Paddel bewegten wir uns auf dem Urwaldfluss entlang. Die Ansicht war atemberaubend und ich kam mir wie der Kameramann einer Urwalddoku vor. Da entdeckten wir am Ufer Urhühner, die uns mit lauten Kreischen willkommen hießen. Wir sahen soeben die älteste noch lebende Vogelart der Welt, einem direkten Nachkommen des Archaeopteryx.
Ich fühlte mich in eine andere Zeit versetzt, so urtümlich kam mir die Umgebung vor. Wasserpflanzen, große Seerosen, umgekippte Baumstämme, Libellen, Kaimane unter dem Boot und diese fast flugunfähigen Vögel, deren Kraft nur ausreicht um 20m unter großen Höhenverlust durch die Luft zu segelflattern.
Wir stellten das Boot wieder an seine Stelle, obwohl ich dem Flusslauf noch Stunden hätte folgen können. Auf dem Rückweg sprang eine Affenbande über unseren Köpfen von Baum zu Baum.
Nach 8 Stunden waren wir zurück im Camp, wo wir uns mit Mittagessen, der mittlerweile eingetroffenen Köchin stärkten. Zur Erfrischung gingen wir anschließend an den Fluss, wo wir uns in der Strömung treiben ließen, den Fluss schwimmend überquerten und anschließend die zum Nachtquartier aufstobenden Papageienscharen am Abendhimmel beobachteten. Wie im Traum. Die Mücken und das Abendessen zwangen uns zurück zum Lager. Wieder wurde kräftig gespeist und uns anschließend erklärt, dass sie noch nie Touristen gesehen hätten, die im Fluss schwimmen waren. Witzige Anekdoten über dumme Touris wurden beim Schein einer Kerze zum Besten gegeben, begleitet vom klatschenden Geräusch auf die Beine, das beim Moskitovertreiben erzeugt wurde. Gegen Acht ging es zum Schlafen, da wir am nächsten Morgen früh aufbrechen würden. Doch auch heute war mir das Schlafen nicht vergönnt. Erst verarbeitete ich die Eindrucksflut in meinem Kopf und begann dann zu dösen, bis ich auf einmal dringend aufs Klo musste. Die Entscheidung bei Nacht fünfhundert Meter in den Urwald zu laufen um mit meiner Notdurft keine Tiere ans Camp zu locken viel mir nicht leicht, war aber unumgänglich. Die wohl seltsamste Begebenheit an der ich jemals sch***** war. Affen waren auf mich aufmerksam geworden und machten über mir Geräusche. Ein Foto schossen sie zum Glück nicht, zumindest bemerkte ich kein Blitzlicht. Dieser nächtliche Adrenalinschiss – ähh -schuss, hatte mich wieder wachgerüttelt und bis um halb vier fand ich keinen Schlaf.   
montag, 13. mai
Ohne Frühstück ging es um fünf Uhr los. Nur die über den Boden und Bäume huschenden Lichtkegel der Taschenlampen spendeten Licht. Einige Male blieb ich in Spinnweben hängen, die ich nicht kommen sah. Unser Schleichen durch den Untergrund wurde vom Rufen der ersten Vögel und Affen begleitet, die auch so langsam erwachten. Ab und an hörte man es in der Nähe knistern und knacken. Es wurde heller und man konnte zumindest die Schatten der Bäume wieder erkennen.
Unser Guide hatte das Geräusch einer Schweineherde ausgemacht und wir näherten uns leise ihrem Aufenthaltsort, dem Schweinehimmel von gestern. Ich hatte nicht gemerkt, dass wir uns überhaupt hier in der Gegend befanden. Nun hieß es leise zu sein und die Herde von 50 Tieren nicht zu erschrecken. Angespannt tippelten wir nach vorne, auch das Grunzen wurde lauter. Irgendwie hatten sie uns dann doch bemerkt, es wurde gequietscht und gekeift und sie stoben aufgeregt davon, zurück ins Unterholz. Vielleicht hatten uns unsere grummelnden Mägen verraten. Es war neun und wir hatten noch nicht gefrühstückt. Eine Grapefruit sollte genügen.
Nach einer Weile im Grünen befanden wir uns in einer Senke, in der der Untergrund auf einmal aus Sand bestand. Seltsam, wie viele unterschiedliche Kleinlebensräume sich hier auftaten. Im Sand entdeckten wir Spuren kleiner Wildkatzen und schließlich die eines Jaguars, dem König des hiesigen Dschungels. Sie schien frisch zu sein und wir folgten ihr. Vorher hatten wir schon teilweise die Konzentration verloren nun war der Jägertrieb geweckt. Wir entdeckten seinen Kot, der nicht älter als 4 Stunden war und Schweineborsten enthielt. Wir folgten seiner Spur im weichen Untergrund, an einer Stelle hatte er sich im Sand gewälzt. Es war mehr als aufregend und entschädigte für alle Stunden, die wir durchs Gehölz getrottet waren. Wir ließen von der Fährte ab und gingen zurück.
Heute hatten wir mehr Glück mit Tieren. Unser Guide konnte jeden Ruf zuordnen und während wir noch nach der Himmelsrichtung suchten, hatte er das Tier schon geortet. Zwar war es schwierig die Tiere fotographisch festzuhalten, da sie sich gut zu verstecken wussten, aber wenigstens konnten wir sie sehen. Nach einigen erfolglosen Versuchen machten wir ein Araquartett ausfindig, welches ich sogar schaffte zu fotografieren.
Zufrieden mit der heutigen Ausbeute machten wir uns zurück auf den Weg zum Camp, während wir wohl einige Umwege liefen. Endlich gab es Frühstück: Fischkopfsuppe mit Brot und frittierten Kochbananen. Genau den Fischköpfen, die seit vorgestern von Fliegen und anderem Insekt befallen auf dem Tisch standen. Es kostete uns ein wenig Überwindung das Fischfleisch vom Kopf zu nagen. Hauptsache es stärkt mich dachte ich mir…
Anschließend mussten wir schon zusammen packen, bevor es nochmals in den Dschungel ging. Unseren Guide hatte wohl die Abenteuerlust gepackt. Ohne jeglichen Pfad schlugen wir uns durchs Gebüsch, krabbelten durch Dornenhecken oder sumpfigen Morast. Weitere Vögel krakelten über uns und auf einmal stoppte unser Guide. Jetzt konnten auch wir es hören, eine Schweineherde näherte sich. Wir duckten uns ins Dickicht. Im Entengang pirschten wir uns voran. Da kamen sie. Nun bekam ich meine Dschungelpatrouille doch noch zu Gesicht. Zwar waren es keine Elefanten, die in ca. 4m Entfernung Rüssel an Schwanz ihren grunzenden Marsch vorführten, dafür an die 130 Wildschweine. Wir waren begeistert und als der Trott vorbei gezogen war, machten wir uns auf den Rückweg. Natürlich wurde wieder gekrochen, durch kniehohe Pflanzen gesteppt und über Flüsse gefallene Baumstämme als Brücken verwendet. Wie man jetzt noch die Orientierung behalten konnte war mir schleierhaft, unser Guide war sch auch nicht mehr 100%ig sicher, zumindest kamen wir an einigen Stellen häufiger vorbei. Wir hatten mittlerweile genug grün gesehen und wollten nur noch zurück zum Camp und mit dem Boot Richtung Rurre. Dieser mangelnden Konzentration war es wohl auch geschuldet, dass es noch einmal brenzlig wurde. Mit der Machete war ein Weg zu zwei über ein Gewässer führenden Baumstämmen geschlagen worden. Wir balancierten auf die andere Seite. Plötzlich gab einer der beiden Baumstämme nach. 5 Sekunden vorher war ich noch auf diesem gestanden und landete glücklicherweise nicht im Wasser. Mein Freund jedoch schon. Mit pitschnassen Füßen hieften wir ihn wieder heraus. Unser Guide lachte nur und meinte, welch Glück, dass die Kaimane nicht schnell genug angekommen waren. Nun hatten wir, vor allem mein Kumpel genug vom Urwald. Und bald erreichten wir zur letzten Stärkung das Camp.
Nach dem heutigen Schwitzen, Strapazen, und dauerhaften Grün kam uns eine kühle, dunkle Limonade einer weltberühmten Limonadenfabrik wie ein Geschenk des Himmels vor. Wir beluden das Boot und dann ging es flussabwärts in Richtung Zivilisation. Eine Seefahrt, die ist lustig. Eine Seefahrt, die ist schön, denn da kann man in 3 Stunden viele tolle Sachen sehen…
Wieder im Ort unterhielten wir uns freundlich mit unserem Veranstalterbüro, die sich freuten, dass Touristen mit ihnen Spanisch redeten. Daraufhin boten sie uns eine Dusche in ihrem Privatbad an, die wir dankend annahmen. Wir begaben uns auf den Markt um Proviant für die Fahrt zu kaufen, von der wir wussten, dass man nie weis, wie lange diese geht. Und wir sollten Recht behalten.
Unser für 1900 gemeldeter Bus würde erst um 2300 ankommen, was unsere Dschungelfreude kein bisschen trüben konnte. Dass dies die Ausnahme war, konnten wir an den Gesichtern der anderen Touris ausmachen. Allen voran eine schwäbische Lehrerin, die mit ihrem nervigen Organ ein Maulen an den Tag legte, dass wir beide ihr liebend gerne eine reinge…- Gute-Nacht-Geschichte erzählt hätten. Außerdem lernten wir an ihrem Beispiel, das es nicht unmöglich ist ein schwäbisches Spanisch bzw. Englisch zu reden. Wie man einen solchen Akzent in eine Fremdsprache einbauen kann, ist mir schleierhaft und für mich eine absolute Meisterleistung. Nunja, wir waren also nicht allein.
Wir gingen gemütlich essen und als um elf noch immer kein Bus in Sicht war, vertrieben wir uns die Wartezeit mit den Südamerikatouris. Der tagelang fehlende Schlaf machte sich bei mir breit und so schlief ich auf einer handgeschnitzten Holzbank ein und wurde erst wach, als unser Bus um 2:30 zu röhren begann. Nichts wie rein und weiterschlafen.
dienstag, 14. mai
Auf einer holprigen Bergstraße wachte ich kurz auf, die Sonne ging gerade auf und zwischen den vorbeirauschenden Wipfeln konnte man in die nebelbesetzten Täler spähen. Ein beeindruckender Anblick, der leider unmöglich fotographisch festhaltbar war. Ich nickte wieder ein und wachte kurz auf, als tumultartiger Lärm der bolivianischen Reisegäste entbrannte. „Wir sind viel zu spät, wieso will jemand aussteigen und Essen kaufen?“ Bolivianische Gelassenheit konnte man in diesen Zeilen nicht erkennen, die sich vor allem gegen ein paar Gringos richteten, die auf Wegzehrung verzichtet und nun verständlicherweise Hunger hatten. Zum Glück war ich müde und schlief trotz aller Unverschämtheiten wieder ein. Ein Stunde später sollte ich wieder erwachen.
Wir standen. In acht Stunden ginge es weiter. Wir waren an einem Bloqueo angelangt. Auch das noch. Mitten in der Pampa sollten wir nun warten bis es weiter ging. Zum Glück hatten wir bei Essen und Trinken vorgesorgt und gönnten uns ein Frühstück. Die Anderen waren auf einen kleinen Laden am Straßenrand angewiesen, der mit dem Notstand das Geschäft seines Lebens machte, auch mit Hilfe von stark angezogenen Preisen. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Nicht beim Lesen, nicht beim Schwimmen an einem nahe gelegenen Fluss, nicht beim Sonnenbaden, nicht beim Versuch zu Schlafen, nicht beim Reden mit den anderen Touris. Diese Trennung von Bolivianern und Ausländern kam mir doch sehr sonderbar vor, da ich bis jetzt immer freundlich aufgenommen worden war. Uns beiden wurde deutlich, welch Glück es doch war, eine längere Zeit in diesem Land verbringen zu dürfen und nicht nur einseitige Touristenerfahrungen machen zu können. Auch der Kontakt mit Bolivianern begrenzte sich bei unseren Mitreisenden aufs Mindeste. Wir waren uns einig diese Art von Sightseeingtourismus war nichts für uns. Danke weltwärts.
Den ganzen Tag war es erdrückend heiß und die Mücken um einiges aggressiver als ihre Kumpels aus dem Urwald. Eine Woche später waren die roten Punkte der Stiche noch immer nicht verschwunden und ließen mich an meinen komischen Ausschlag vor einigen Wochen erinnern. Die Stiche juckten ungemein, was im Urwald überhaupt nicht der Fall gewesen war.

Irgendwann ging es tatsächlich weiter, zu einer Zeit, zu der wir planmäßig schon seit Längeren zuhause gewesen wären. Schöne Landschaft zog vorbei aber das interessierte mich nicht. Meine Übermüdung und die schallende Nervmusik aus dem Lautsprecher über uns ließen mich fast ausrasten. Meine Musikspieler hatte die passende Antwort und obwohl ich ihn nicht mitnehmen wollte, wusste ich jetzt warum ich ihn dabei hatte. Gewohnte Klänge, ein offenes Fenster, durch das die milde, nach Sommer duftende Luft wehte, beruhigte mich und brachte mich zum Schlafen. Als ein kleiner Abendessenstop gemacht wurde, stieg allen Aussteigenden vor allem den Gringos eine Hasswelle entgegen, die ich hier so noch nie erlebt habe. Kopfschüttelend schlief ich wieder ein, ich war wohl schon gelassener als so mancher Bolivianer geworden…

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