Sonntag, 11. August 2013

27

mittwoch, 31. juli

Jetzt bin ich also schon sechs Monate hier, habe einen Familien- und Projektwechsel hinter mir und bin zum zweiten Mal in der Eingewöhnungsphase. Ein kleiner Rückblick wird bald erscheinen.

donnerstag, 1. august

Die Kinder kamen wie jeden Donnerstag, wie immer nervten sie ein wenig, wollten sich ständig schlägern und hatten keine Lust dem geplanten Programm zu folgen. Wir wollten im August versuchen den Kindern in einen fortführenden, themengesteuerten Aktionsplan des Unterricht etwas interessanter gestalten. Wir hatten uns für die vier Elemente, Feuer, Wasser, Erde, Luft entschieden. Doch selbst mit Plan fällt es schwierig diesen durchzusetzen. Ständig wird nach Schlupflöchern gesucht etwas nicht machen zu müssen, ständig müssen die Kinder neu motiviert und an ihren Platz zurück gescheucht werden, so dass von ruhigen  Bastelarbeiten bis zum Ausgelassen spielen jedes Mal Konfliktpotential entsteht. Andauernd auf der Hut sein, dabei freundlich bleiben und nicht die Geduld verlieren sind harte Übungen.
Irgendwie war ich all das mittlerweile gewohnt und musste mich zur Mittagspause nicht auf einer Sportmatte in einer der Aulas ausruhen.
Zuhause angekommen war ich überrascht bekannte, deutsche Gesichter in unserem Haus zu sehen. Aus Peru waren Freunde von uns eingetroffen, die dort ebenfalls als Freiwillige arbeiteten.


freitag, 2. august

Es war mal wieder Marschzeit. Zum Tag des Landbewohners „Dia del Campesino“ fanden überall auf den ländlichen Gebieten Märsche statt. Jeder Kleinort und verschiedene Nachbarschaften konnte seinen Stolz mit Fahnen bewaffnet zur Schau stellen. Heute war in meinem Arbeitsortsteil K’añuma [Achocalla] auf dem Sportplatz großes Schaulaufen angesagt. Auch Suma Qamaña war eingeladen. Als wir ankamen, standen nahezu alle Teilnehmer in Reih und Glied. Man hatte sich heraus geputzt. Die Frauen kamen in Feströcken und hatten sich Goldbroschen an den Hut gesteckt. Die Männer trugen Anzug, die wohl schon seit Jahren bei derlei Festzügen eingesetzt worden waren. Ihr Haupt hatten sie ebenfalls behütet und man konnte sogar den ein oder anderen im Poncho beobachten. Wir waren gerade rechtzeitig gekommen, denn der Marsch hatte schon begonnen. Es ging einmal rund um den Sportplatz, vorbei an einer kleinen Bühne, bei der Musik gespielt und jede Institution vorgestellt wurde. Bei diesem Längsgelauf galt es, den Zuschauern, die sich an der Route aufgestellt hatten zuzuwinken. Unsere Delagation war zwar eine der kleinsten, wir hatten weder einen Tanz noch ein Musikstück eingeübt, dennoch starrten uns alle an. Die Zusammenstellung war einfach seltsam. Die Direktorin eine modern gekleidete Bolivianerin, unsere Köchin eine traditionell gekleidete Bolivianerin, unser Hausmeister im Festtagsoutfit und vier Europäer, die aus der Menge herausstachen. Erstens durch die Größe und zweitens durch Haut- und Haarfarbe, als auch Mode. Als man beim Vorbeilaufen kritisch beäugt wurde, war einem wieder einmal bewusst, dass man doch anders aussah.

Als jede Gruppe die Tribüne passiert und sich an der Laufstrecke eingereiht hatte, begann das Programm. Reden über Unabhängigkeit und die Stärke und Wichtigkeit der Landbevölkerung ließen erahnen, dass sich dieser Stolz erst eingeredet werden musste. Noch war wenigen Jahren waren die Campesinos, die hauptsächlich indigen sind, als der minderste Teil der bolivianischen Bevölkerung angesehen und schikaniert worden. Gesetze und herablassende Behandlung ließen die Indigenen, als Menschen minderer Klasse darstehen. So brannte es sich selbst in den Köpfen der Indigenen ein, etwas Schlechteres zu sein. Die eigene Sprache wie Aymara oder Quechua wird versucht den Kindern fernzuhalten, damit sie im Spanischen keine Sprachnachteile besitzen. Selbst ich bekomme dieses noch weitverbreitete, anhaltende Minderwertigkeitsgefühl fast täglich zu spüren. Die Art wie ich behandelt und mit mir gesprochen wird, ist häufig von Ehrfurcht geprägt. Wenn ich mit den Marktfrauen rede, scheint es manchmal, als sei es ihnen eine Ehre, dass ein Weißer mit ihnen spricht. Oft ist jedoch auch eine Portion Hass, auf die ewigen Besatzer beigemischt. Am Anfang des Jahres fühlte ich mich in solchen Situationen mulmig. Sich so zu verhalten zeigt jedoch auch, dass man einen Unterschied zwischen sich und der anderen Person fühlt. Und gerade das ist falsch, es gibt keinen. Wir sind alle gleich. Vielleicht kommt es manchen Personen mit denen ich rede deshalb so komisch vor, da sie von mir „normal“ behandelt werden.
Dieser Rassismus ist natürlich noch immer fest in den Köpfen aller verankert und es wird die schwierige Aufgabe der jetzigen und kommenden Generationen sein, diesen zu beseitigen. Nur wenn alle wissen sie sind gleich, kann ein Land zusammen arbeiten und den nächsten Schritt nach vorne wagen. Momentan klafft jedoch noch einer großer Riss zwischen Stadt- und Landbevölkerung.

Jede Gruppe sollte sich anschließend durch einen Vertreter auf die Bühne vorstellen. Nach all den Hasstiraden auf die spanischen Unterwerfer, schien es ein wenig seltsam, als unsere spanische Architektin in Mitten all der traditionellen Röcke und Hüte mit hohen Schuhen, Makeup und Zaraklamotten auf der Bühne stand und ein paar Worte über ihre Arbeit verlor. Auch sie fühlte sich merkbar unwohl und machte meinen zuvor ausgesprochenen Punkt mehr als deutlich. Der Kolonialismus ist selbst nach fast 200 Jahren Unabhängigkeit noch immer zu spüren. Das Programm wurde dann durch einige Darbietungen aufgelockert. Kinder in Kostümen sangen zwischen den Redepausen oder führten theatralisch Gedichte vor.
Es wirkte wie ein großes Dorffest.
Nach der Essenspause führten die Schulen des Ortes traditionelle Tänze in ebensolchen Gewändern auf. Es war nett anzuschauen und auch wir wurden nett angeschaut. Jeder schien sich zu fragen, was diese Gringos auf einem abgelegenen Sportplatz zu suchen hatten. Als nichts Neues passierte hatten wir genug gesehen und wollten gehen, was gar nicht einfach war. Nahezu alle Minibusfahrer Achocallas hatten sich versammelt, ihren Bus nahe des Sportplatzes abgestellt und teilten sich nun mehrere Kästen Bier. Ob mit denen noch zu rechnen war, war zu bezweifeln. Auch der Sportplatz hatte bereits einige torkelnde Väter aufzubieten. Ein Herr mit mächtiger Fahne war auf der Suche nach seinen Kindern. Es tat ihm Leid, dass sie ihm in diesem Zustand sehen würden aber er würde mich trotzdem zu jedem Ort Boliviens als Fremdenführer begleiten. Eine eigenwillige Argumentation. Früher war er wohl Fremdenführer gewesen, wie er danach erklärte. Als mir sein Atem zu viel geworden war, versuchte ich mich zu entfernen. Dass er seine Kinder suchte, hatte er schon vergessen und er war froh, dass ich ihn daran erinnert hatte. Ich konnte also diskret das Gespräch verlassen und letztlich fanden wir sogar einen nüchternen Bus.

samstag, 3. august

Seit 6 Monaten hatte ich mich auf nächste Woche gefreut. Meine Freundin wollte mich besuchen kommen. Aber wenn ich in Bolivien eine Sache gelernt habe, dann diese. Man kann noch so gut planen, am Ende geht immer etwas schief – so auch ihr Bein – und alles kommt anders. Sie hatte sich ihr Bein im Urlaub verdreht und wie sich zuhause bei deutschen Ärzten herausstellte, die Bänder gerissen. Ein Urlaub in Bolivien war zu riskant und konnte nicht stattfinden. Ich war am Boden zerstört und hatte auf gar nichts Lust. Ich versuchte mich mit dem Besuch eines Rugbyspiels meines Mitbewohners abzulenken. Aber selbst von zuhause rauskommen half nicht.
Dass die Suche nach dem Mittagessen sich hinzog, half nicht gerade zur Hebung der Stimmung bei. Als meine Gastschwestern in einem Lokal begannen sich mit der Bedienung anzulegen, weil das Essen solange auf sich warten lies, war endlich etwas los.. Die Essenssuche ging also weiter. Wir schlängelten uns im Auto durch den fürchterlichen Samstagnachmittagsverkehr und die Suche nach einem passenden Essensort dauerte an. An allen gab es etwas auszusetzen. Diese Prozedur kannte ich aus meiner Exgastfamilie. Als wir letztlich ein Lokal fanden, dass alle zufrieden stellte, war das Mittagessen schon fast aus. Satt aber betrübt ließ ich das Wochenende schon Samstagmittag nach dem gerade noch ergatterten Mittagessen ausklingen.

sonntag, 4.august

Das Wochenende hatte ich bereits ausklingen lassen, dennoch ging ich morgens zum Schulgottesdienst meines Gastbruders. Unter freiem Himmel im mit Pflanzenbewachsenen Altarhof der Schule fand die Messe statt. Der Pfarrer war lustig, die Stimmung entspannt und zwischendurch spielten mein Gastbruder und seine Band christliche Lieder in halbrockiger Version, zum Mitsingen.

montag, 5. august

Die Arbeit verlief ohne große Ereignisse, außer das den gesamten August über viele Renovierungsarbeiten anstehen würden. Morgen war zwar wieder Feiertag aber mir war noch lange nicht nach Feiern zu Mute.

dienstag, 6. august

Unsere Freunde waren wieder aus der Salzwüste zurückgekehrt, die sie drei Tage lang besucht hatten. Als Mitbringsel hatten sie kein Stück Salz sondern einen süßen Hund namens Salar [benannt nach der Wüste] dabei. Ihn hatten sie unterwegs aufgegabelt und hofften ihn bei uns unterzubringen. Sie hatten die Rechnung jedoch ohne meine Gastmutter gemacht, die entschieden gegen eine weitere Töle war. Bei kurzem Blick auf unsere beiden Trotteln von Bellknäueln mehr als verständlich. Mein Gastbruder fand auf einen Facebookstatuts „habe hund zu vergeben“ innerhalb einer Stunde vier Interessenten, die Salar sofort abholen würden. Meiner Meinung sagt dies viel über die Bolivianer-Hundbeziehung aus. Klein und süß wird gerne genommen. Für was soll ich lange über Vor- und Nachteile eines Hundes nachdenken? Und wieso sollte ich mich überhaupt über Bedürfnisse eines Hundes informieren? Wenn er mal groß ist und zu viel frisst oder nervt kann man ihn immer noch aussetzen.
Zum Nationalfeiertag gab es heute eine national beliebte Speise. „Pique Machu“, ein Gericht aus Kartoffeln, Tomaten, Paprika, Würstchen und Fleisch. In großer Runde: Verwandte, andere Freiwillige und Freunde saßen wir erstmals zum Essen im Hof. Nach dem leckeren Mittagessen war der Hund so schnell weg wie er gekommen war. Nein, er war nicht in unseren Mägen verarbeitet worden, sondern eine entfernte Facebookfreundin hatte den Kleinen zwischenzeitlich abgeholt.
Die weiteren Festivitäten des Nationalfeiertags bestanden in Biertrinken im Hof, dass mit steigendem Pegel in die Wohnung des Gastonkels verlagert wurde. Wegen eines Telefonats hatte ich leider den Einstieg verpasst, und als ich auch endlich in die Wohnung kam, war die Stimmung schon erheitert.

Eigentlich könnte man annehmen, dass jedes Land seinen Nationalfeiertag stolzer feiert als Deutschland. Ich hatte in Bolivien Paraden, Feuerwerke und schwülstige Reden erwartet. Stattdessen erklärte man uns, dass die wenigen abgehaltenen Paraden und Feste bereits gestern oder am Wochenende stattgefunden hatten, um am Mittwoch wieder nüchtern zu sein. Feiertage sind in Bolivien getarnte Katertage für die Feier des Vorabends. Wir hätten wohl eher für morgen einen Feiertag benötigt.

Mittwoch, 7. August 2013

26

mittwoch, 24. juli – dienstag, 30. juli

Die Woche konnte schon dem Alltag zugeschrieben werden. Donnerstags morgens kamen die Kinder aus Obrajes und nachmittags die Kinder aus Achocalla, mit denen wir auf der Rutsche Kegeln spielten. Also nicht mit Kindern sondern mit Kegel und Ball. Freitags gab es kleine Ausbesserungsarbeiten zu tätigen. Ich hoffte, das Wochenende normal verbringen zu können. Ohne Reisen, ohne Umzug, ohne Hausarbeit und ohne Durchfall. Zum Glück hatte ich Glück und meine Wünsche wurden wahr. Am Samstag fand der Kostüm- und Tanzumzug der Universitäten statt. Das ganze Jahr hatten alle Fachschaften aller Universitäten traditionelle Tänze einstudiert um diese samt Trachten bei der „Entrada Universitaria“ vorzuführen. Die gesamte Hauptstraße war seit den Morgenstunden gesperrt und mit Verkaufständen, vor allem für Bier gesäumt. Um einen Blick auf das bunte Treiben der Tänzerinnen und Tänzer zu werfen, musste man erhöhte Stellmöglichkeiten finden. Planen und übermäßige Tribünen versperrten teilweise die Sicht. Die Vorführung begann bereits morgens um neun, die Stimmung jedoch erst als es dunkel wurde. Die Tänze und Kostüme waren umwerfend schön und demonstrierten die ganze Vielfalt Boliviens. Man hatte viele Stunden Training in Choreografien und Abläufe gesteckt und dieser Ehrgeiz zahlte sich jetzt aus. Anders als sonstige Umzüge, bei denen es darum ging seinen alkoholisierten Körper ohne größere Verluste ins Ziel zu retten, wurde hier Kultur geboten. Da Studenten meist jüngere Leute sind, verfolgten die Tänze ein ganz anderes Tempo. Es tanzten jedoch nicht nur Studentengruppen, sondern auch ehemalige Studenten, oder eigentlich jeder, der eine Gruppe angemeldet hatte.  Nachdem wir uns ein wenig die morgendlichen Tänze angeschaut hatten, entschieden wir abends noch einmal vorbei zu schauen. Mit ein paar anderen Freiwilligen trafen wir uns zum Stimmung anheitern. Der abendliche Reigen durch die Straßen schien auch auf Grunde des größeren Alkoholpegels der Tänzerinnen und Tänzer nicht mehr ganz so koordiniert. Eine Gruppe entdeckte die Gringos am Straßenrand und lud sie ein, sie ein wenig zu begleiten. So waren wir plötzlich mittendrin und bekamen allerlei Kopfbedeckungen und Flöten in die Hand gedrückt. Auch das ein oder andere Getränk war dabei. Die Stimmung war prächtig und ausgelassen. Die darauf folgende Gruppe lud uns abermals ein, den Weg gemeinsam zurück zulegen und so waren wir endgültig Teil des Zuges. Am Straßenrand riefen uns begeisterte Damen zu und winkten uns zu sich her. Ich gab auf zu zählen auf wie vielen Erinnerungsfotos wir letztlich Modell gestanden hatten. Wir tanzten, sangen mit und hatten Spaß. Es war wohl einer der besten Abende in Bolivien bis jetzt. An einem Punkt traf ich meinen Exgastvater der mich halb lallend zum Mittagessen einlud. Er solle mich morgen anrufen, wenn es sicher wäre. Der Anruf blieb aus, worüber ich nicht unglücklich war.

Sonntags bis dienstags passierte nichts weiter nennenswertes, weswegen der aktuelle Wochenbericht schon jetzt endet.