mittwoch, 31. juli
Jetzt bin ich also schon sechs Monate hier, habe einen
Familien- und Projektwechsel hinter mir und bin zum zweiten Mal in der
Eingewöhnungsphase. Ein kleiner Rückblick wird bald erscheinen.
donnerstag, 1. august
Die Kinder kamen wie jeden Donnerstag, wie immer nervten sie
ein wenig, wollten sich ständig schlägern und hatten keine Lust dem geplanten
Programm zu folgen. Wir wollten im August versuchen den Kindern in einen
fortführenden, themengesteuerten Aktionsplan des Unterricht etwas interessanter
gestalten. Wir hatten uns für die vier Elemente, Feuer, Wasser, Erde, Luft
entschieden. Doch selbst mit Plan fällt es schwierig diesen durchzusetzen.
Ständig wird nach Schlupflöchern gesucht etwas nicht machen zu müssen, ständig
müssen die Kinder neu motiviert und an ihren Platz zurück gescheucht werden, so
dass von ruhigen Bastelarbeiten bis zum
Ausgelassen spielen jedes Mal Konfliktpotential entsteht. Andauernd auf der Hut
sein, dabei freundlich bleiben und nicht die Geduld verlieren sind harte
Übungen.
Irgendwie war ich all das mittlerweile gewohnt und musste
mich zur Mittagspause nicht auf einer Sportmatte in einer der Aulas ausruhen.
Zuhause angekommen war ich überrascht bekannte, deutsche
Gesichter in unserem Haus zu sehen. Aus Peru waren Freunde von uns
eingetroffen, die dort ebenfalls als Freiwillige arbeiteten.
freitag, 2. august
Es war mal wieder Marschzeit. Zum Tag des Landbewohners „Dia
del Campesino“ fanden überall auf den ländlichen Gebieten Märsche statt. Jeder
Kleinort und verschiedene Nachbarschaften konnte seinen Stolz mit Fahnen
bewaffnet zur Schau stellen. Heute war in meinem Arbeitsortsteil K’añuma
[Achocalla] auf dem Sportplatz großes Schaulaufen angesagt. Auch Suma Qamaña
war eingeladen. Als wir ankamen, standen nahezu alle Teilnehmer in Reih und
Glied. Man hatte sich heraus geputzt. Die Frauen kamen in Feströcken und hatten
sich Goldbroschen an den Hut gesteckt. Die Männer trugen Anzug, die wohl schon
seit Jahren bei derlei Festzügen eingesetzt worden waren. Ihr Haupt hatten sie
ebenfalls behütet und man konnte sogar den ein oder anderen im Poncho
beobachten. Wir waren gerade rechtzeitig gekommen, denn der Marsch hatte schon
begonnen. Es ging einmal rund um den Sportplatz, vorbei an einer kleinen Bühne,
bei der Musik gespielt und jede Institution vorgestellt wurde. Bei diesem
Längsgelauf galt es, den Zuschauern, die sich an der Route aufgestellt hatten
zuzuwinken. Unsere Delagation war zwar eine der kleinsten, wir hatten weder
einen Tanz noch ein Musikstück eingeübt, dennoch starrten uns alle an. Die
Zusammenstellung war einfach seltsam. Die Direktorin eine modern gekleidete
Bolivianerin, unsere Köchin eine traditionell gekleidete Bolivianerin, unser
Hausmeister im Festtagsoutfit und vier Europäer, die aus der Menge herausstachen.
Erstens durch die Größe und zweitens durch Haut- und Haarfarbe, als auch Mode.
Als man beim Vorbeilaufen kritisch beäugt wurde, war einem wieder einmal
bewusst, dass man doch anders aussah.
Als jede Gruppe die Tribüne passiert und sich an der
Laufstrecke eingereiht hatte, begann das Programm. Reden über Unabhängigkeit
und die Stärke und Wichtigkeit der Landbevölkerung ließen erahnen, dass sich
dieser Stolz erst eingeredet werden musste. Noch war wenigen Jahren waren die
Campesinos, die hauptsächlich indigen sind, als der minderste Teil der
bolivianischen Bevölkerung angesehen und schikaniert worden. Gesetze und
herablassende Behandlung ließen die Indigenen, als Menschen minderer Klasse
darstehen. So brannte es sich selbst in den Köpfen der Indigenen ein, etwas
Schlechteres zu sein. Die eigene Sprache wie Aymara oder Quechua wird versucht
den Kindern fernzuhalten, damit sie im Spanischen keine Sprachnachteile
besitzen. Selbst ich bekomme dieses noch weitverbreitete, anhaltende
Minderwertigkeitsgefühl fast täglich zu spüren. Die Art wie ich behandelt und
mit mir gesprochen wird, ist häufig von Ehrfurcht geprägt. Wenn ich mit den
Marktfrauen rede, scheint es manchmal, als sei es ihnen eine Ehre, dass ein
Weißer mit ihnen spricht. Oft ist jedoch auch eine Portion Hass, auf die ewigen
Besatzer beigemischt. Am Anfang des Jahres fühlte ich mich in solchen
Situationen mulmig. Sich so zu verhalten zeigt jedoch auch, dass man einen
Unterschied zwischen sich und der anderen Person fühlt. Und gerade das ist falsch,
es gibt keinen. Wir sind alle gleich. Vielleicht kommt es manchen Personen mit
denen ich rede deshalb so komisch vor, da sie von mir „normal“ behandelt
werden.
Dieser Rassismus ist natürlich noch immer fest in den Köpfen
aller verankert und es wird die schwierige Aufgabe der jetzigen und kommenden
Generationen sein, diesen zu beseitigen. Nur wenn alle wissen sie sind gleich,
kann ein Land zusammen arbeiten und den nächsten Schritt nach vorne wagen.
Momentan klafft jedoch noch einer großer Riss zwischen Stadt- und
Landbevölkerung.
Jede Gruppe sollte sich anschließend durch einen Vertreter
auf die Bühne vorstellen. Nach all den Hasstiraden auf die spanischen
Unterwerfer, schien es ein wenig seltsam, als unsere spanische Architektin in
Mitten all der traditionellen Röcke und Hüte mit hohen Schuhen, Makeup und
Zaraklamotten auf der Bühne stand und ein paar Worte über ihre Arbeit verlor.
Auch sie fühlte sich merkbar unwohl und machte meinen zuvor ausgesprochenen
Punkt mehr als deutlich. Der Kolonialismus ist selbst nach fast 200 Jahren
Unabhängigkeit noch immer zu spüren. Das Programm wurde dann durch einige
Darbietungen aufgelockert. Kinder in Kostümen sangen zwischen den Redepausen
oder führten theatralisch Gedichte vor.
Es wirkte wie ein großes Dorffest.
Nach der Essenspause führten die Schulen des Ortes
traditionelle Tänze in ebensolchen Gewändern auf. Es war nett anzuschauen und
auch wir wurden nett angeschaut. Jeder schien sich zu fragen, was diese Gringos
auf einem abgelegenen Sportplatz zu suchen hatten. Als nichts Neues passierte hatten
wir genug gesehen und wollten gehen, was gar nicht einfach war. Nahezu alle
Minibusfahrer Achocallas hatten sich versammelt, ihren Bus nahe des
Sportplatzes abgestellt und teilten sich nun mehrere Kästen Bier. Ob mit denen
noch zu rechnen war, war zu bezweifeln. Auch der Sportplatz hatte bereits
einige torkelnde Väter aufzubieten. Ein Herr mit mächtiger Fahne war auf der
Suche nach seinen Kindern. Es tat ihm Leid, dass sie ihm in diesem Zustand
sehen würden aber er würde mich trotzdem zu jedem Ort Boliviens als Fremdenführer
begleiten. Eine eigenwillige Argumentation. Früher war er wohl Fremdenführer
gewesen, wie er danach erklärte. Als mir sein Atem zu viel geworden war,
versuchte ich mich zu entfernen. Dass er seine Kinder suchte, hatte er schon
vergessen und er war froh, dass ich ihn daran erinnert hatte. Ich konnte also
diskret das Gespräch verlassen und letztlich fanden wir sogar einen nüchternen
Bus.
samstag, 3. august
Seit 6 Monaten hatte ich mich auf nächste Woche gefreut.
Meine Freundin wollte mich besuchen kommen. Aber wenn ich in Bolivien eine
Sache gelernt habe, dann diese. Man kann noch so gut planen, am Ende geht immer
etwas schief – so auch ihr Bein – und alles kommt anders. Sie hatte sich ihr
Bein im Urlaub verdreht und wie sich zuhause bei deutschen Ärzten
herausstellte, die Bänder gerissen. Ein Urlaub in Bolivien war zu riskant und
konnte nicht stattfinden. Ich war am Boden zerstört und hatte auf gar nichts
Lust. Ich versuchte mich mit dem Besuch eines Rugbyspiels meines Mitbewohners
abzulenken. Aber selbst von zuhause rauskommen half nicht.
Dass die Suche nach dem Mittagessen sich hinzog, half nicht
gerade zur Hebung der Stimmung bei. Als meine Gastschwestern in einem Lokal
begannen sich mit der Bedienung anzulegen, weil das Essen solange auf sich
warten lies, war endlich etwas los.. Die Essenssuche ging also weiter. Wir
schlängelten uns im Auto durch den fürchterlichen Samstagnachmittagsverkehr und
die Suche nach einem passenden Essensort dauerte an. An allen gab es etwas
auszusetzen. Diese Prozedur kannte ich aus meiner Exgastfamilie. Als wir
letztlich ein Lokal fanden, dass alle zufrieden stellte, war das Mittagessen
schon fast aus. Satt aber betrübt ließ ich das Wochenende schon Samstagmittag nach
dem gerade noch ergatterten Mittagessen ausklingen.
sonntag, 4.august
Das Wochenende hatte ich bereits ausklingen lassen, dennoch
ging ich morgens zum Schulgottesdienst meines Gastbruders. Unter freiem Himmel
im mit Pflanzenbewachsenen Altarhof der Schule fand die Messe statt. Der
Pfarrer war lustig, die Stimmung entspannt und zwischendurch spielten mein
Gastbruder und seine Band christliche Lieder in halbrockiger Version, zum
Mitsingen.
montag, 5. august
Die Arbeit verlief ohne große Ereignisse, außer das den
gesamten August über viele Renovierungsarbeiten anstehen würden. Morgen war
zwar wieder Feiertag aber mir war noch lange nicht nach Feiern zu Mute.
dienstag, 6. august
Unsere Freunde waren wieder aus der Salzwüste zurückgekehrt,
die sie drei Tage lang besucht hatten. Als Mitbringsel hatten sie kein Stück
Salz sondern einen süßen Hund namens Salar [benannt nach der Wüste] dabei. Ihn
hatten sie unterwegs aufgegabelt und hofften ihn bei uns unterzubringen. Sie
hatten die Rechnung jedoch ohne meine Gastmutter gemacht, die entschieden gegen
eine weitere Töle war. Bei kurzem Blick auf unsere beiden Trotteln von Bellknäueln
mehr als verständlich. Mein Gastbruder fand auf einen Facebookstatuts „habe
hund zu vergeben“ innerhalb einer Stunde vier Interessenten, die Salar sofort
abholen würden. Meiner Meinung sagt dies viel über die Bolivianer-Hundbeziehung
aus. Klein und süß wird gerne genommen. Für was soll ich lange über Vor- und
Nachteile eines Hundes nachdenken? Und wieso sollte ich mich überhaupt über Bedürfnisse
eines Hundes informieren? Wenn er mal groß ist und zu viel frisst oder nervt
kann man ihn immer noch aussetzen.
Zum Nationalfeiertag gab es heute eine national beliebte
Speise. „Pique Machu“, ein Gericht aus Kartoffeln, Tomaten, Paprika, Würstchen
und Fleisch. In großer Runde: Verwandte, andere Freiwillige und Freunde saßen
wir erstmals zum Essen im Hof. Nach dem leckeren Mittagessen war der Hund so
schnell weg wie er gekommen war. Nein, er war nicht in unseren Mägen
verarbeitet worden, sondern eine entfernte Facebookfreundin hatte den Kleinen
zwischenzeitlich abgeholt.
Die weiteren Festivitäten des Nationalfeiertags bestanden in
Biertrinken im Hof, dass mit steigendem Pegel in die Wohnung des Gastonkels
verlagert wurde. Wegen eines Telefonats hatte ich leider den Einstieg verpasst,
und als ich auch endlich in die Wohnung kam, war die Stimmung schon erheitert.
Eigentlich könnte man annehmen, dass jedes Land seinen
Nationalfeiertag stolzer feiert als Deutschland. Ich hatte in Bolivien Paraden,
Feuerwerke und schwülstige Reden erwartet. Stattdessen erklärte man uns, dass
die wenigen abgehaltenen Paraden und Feste bereits gestern oder am Wochenende
stattgefunden hatten, um am Mittwoch wieder nüchtern zu sein. Feiertage sind in
Bolivien getarnte Katertage für die Feier des Vorabends. Wir hätten wohl eher für
morgen einen Feiertag benötigt.