mittwoch, 7. august
In der Arbeit waren wir beschäftigt den frisch gelieferten
Hafer an seinem neuen Aufbewahrungsort zu verstauen. Die letzten Tage war ich
stets körperlich gefragt, weswegen ich abends meist müde nachhause kam. Kurz
bevor die andere Freiwillige und ich Suma verlassen wollten, begann ein Sturm
aufzuziehen. Der Himmel verdunkelte sich und eine rote Sandwolke fegte aus
Richtung El Alto über das gesamte Tal. Als sie uns erreichte, saßen wir schon
im Minibus. So hatte ich mir immer einen Wüstensturm vorgestellt, doch La Paz
ist noch ein weniger entfernt von einer solchen. Der wüste Sturm hatte irgendwo
roten Staub aufgetrieben und färbte alles rot. Die Weitsicht betrug höchstens
10m, der Rest lag hinter dem seltsamen Naturschauspiel versteckt. Der Busfahrer
meinte, dass dies für August normal sei. Die Winde zögen vom Titikakasee über
das trockene Altiplano und bließen dabei ein wenig der staubigen Erde mit. Es
war noch immer Trockenzeit, weswegen sich die Erde am Tag stark aufheizt und
bei Dämmerung die Luftströmungen in Küstennähe starke Winde verursachen. Die
Wolke begleitete mich bis zur Fahrt ins Zentrum. In den Nachrichten gab es am
Abend Bilder der verschluckten Stadt zu sehen. So normal schien diese Laune der
Natur doch nicht gewesen zu sein. Viele Signale waren gestört und das Fernseh-,
so wie Handynetz zeitweise lahm gelegt worden. Abends unternahm ich mit meinem
Mitbewohner und unseren Freunden aus Peru, die noch immer in der Stadt weilten,
etwas.
donnerstag, 8. august
Der Sturm hatte sein Werk getan und so waren etliche Bäume
und anderer Müll auf die Straßen geweht worden. Ein Spezialsägetrupp sägte
gerade die Straße zum Gefängnis frei, wo wir auf die Kinder warteten. Und wir
hatten viel Zeit zu warten. In letzter Zeit dauerte es vom ersten Türe klopfen
und fragen, ob die Kinder kommen könnten bis zum Einsteigen in den Bus eine
dreiviertel Stunde. Eindeutig zu lang. In der Wartezeit redeten der Chaffeur
und ich häufig mir dem kleinen dicken Polizisten, der die deutsche Botschaft
bewachte. Sie liegt Mauer an Mauer mit dem Frauengefängnis, ein interessanter
Ort für eine Botschaft. Der Polizist erzählt gerne aus dem inneren der
Botschaft und wie nett der Botschafter, seine Frau und seine Kinder doch seien,
die im alten Herrenhaus hinter den Mauern wohnen. Noch in diesem Monat würde
jedoch ein neuer Botschafter einziehen. Die Vorbereitungen für den Umzug liefen
bereits.
Mit den Kindern war heute kaum etwas anzufangen. Das Ziel
des Jahres war es, den Kindern das Lesen und Schreiben mit Spaß näher zu
bringen, da lesen bekanntlich bildet und Bildung Türen öffnet. Doch sobald man
nur ein Buch in die Hand nimmt, wird gestreikt. Buch wird mit Schule, Schule
Zwang und Langeweile assoziiert. Ein Buch bedeutet also immer Langeweile und.
Die Mädchen mit denen ich arbeitete sollte, wollten partout
nicht lesen. Um etwas nicht zu tun, entwickeln sie immer eine besondere
Kreativität. Sie seien krank und könnten deswegen nichts unternehmen. Statt zu
lesen spielte ich also mit. Ich erklärte ihnen, dass Kranke sich leider
ausruhen müssten und auch kein Spielen möglich war. Sie waren so lange krank,
bis ihnen langweilig wurde. Ich beharrte allerdings darauf, dass sie sich erst
auskurieren mussten. Sie versuchten mich auszutricksen, aufzustehen und sich
Puppen zum Spielen zu stibitzen. Ich nervte sie weiter, liegen bleiben zu
müssen, bis sie plötzlich freiwillig begannen die Bücher, die ich neben sie
gelegt hatte, zu lesen. Es machte ihnen sogar Spaß und sie begannen sich über
ihre kleinen Geschichten auszutauschen. Sie merkten plötzlich spielerisch wie
viel Spaß lesen eigentlich machen konnte.
Eines der Mädchen, das bereits die vierte Klasse besucht,
weigert sich strikt lesen zu lernen. Da sie es auch so durch jede Klasse
schafft, verschärft ihre Sturheit. Sie ist sehr begabt im Manipulieren und
schafft es sogar die ältern Kinder für ihre Zwecke einzuspannen. Es gibt also
immer jemanden der ihre Hausaufgaben erledigt, sie verteidigt oder ihr hilft
jemanden anderen fertig zu machen. Da weder die Mutter noch die Lehrer in der
Schule sich ihr widersetzen nimmt sie es für selbstverständlich hin, ihren
Willen Gehorsam zu leisten. Sollte jemand nicht ihrer Meinung sein, beginnt sie
zu streiken. Wie immer weigerte sie sich zu Beginn etwas zu tun was ihr
aufgetragen wurde. Sie könne doch überhaupt nicht lesen und brauche es auch
nicht lernen. Für was denn überhaupt. Mit einer Portion extra Aufmerksamkeit
schaffte ich es mühsam, sie Buchstabe für Buchstabe lesen zu lassen und zu
Wörtern zusammen zu setzen. Mit Ermutigungen und Lob merkte sie, dass sie fast
lesen konnte. Sie müsste nur üben, dann würde es schon klappen. Sie las also
stolz weiter ohne dass ich sie zu jeden Buchstaben anstacheln musste.
Es kostet jedes Mal viel Kraft, Geduld und Zeit die Kinder
zu etwas zu animieren, was wohl den größten Teil meiner Arbeit ausmacht.
Dazu trägt auch eine allgemeine Einstellung der Kinder bei. Generell
haben nahezu alle Kinder, die zu Suma Qamaña kommen, ein Problem Grenzen zu
akzeptieren. Die Mütter erlauben ihren Kindern nahezu alles und versuchen ihnen
alle Wünsche zu erfüllen. Bei ihren „hijitos“ [den Söhnen oder kleinen Prinzen]
ist dies noch ausgeprägter. Die Lehrer haben Mitleid mit den armen
„Gefängniskindern“ und wollen ihnen durch Strafen oder Ermahnungen das Leben nicht
noch schwerer machen. Von außerhalb werden sie vor allem zu Weihnachten mit
Geschenken und Mitleid überhäuft. Sie leben ihre „Opferrolle“ als „Gefängniskind“,
die ihnen viel Aufmerksamkeit einbringt. Ihre Mütter trichtern ihnen geradezu
ein, dass ihnen geholfen und geschenkt werden muss. Es ist also der
Normalzustand, dass ihnen geholfen werden muss. Aufgrund dieser Haltung ist es
im Allgemeinen schwierig mit den Kindern konstruktiv zu arbeiten und immer
haufenweise Überzeugsarbeit notwendig. Tanzt man nicht nach ihrer Pfeife ist
man der Böse und es wird versucht jemand Anderen zu finden, der ihre Wünsche
erfüllt. Zum Beispiel die Chefin. Es passiert nicht selten, dass ein Kinder zur
Direktorin rennt und ihr erzählt, dass „Profe Niklas“ erlaubt hat auf den
Spielplatz zu gehen. Zurück bei mir wird dann behauptet, dass die Direktorin
aufgetragen hat, man solle jetzt auf den Spielplatz gehen.
Da die eigene Opferrolle einem Vorteile bringt, möchten
viele Frauen, das Gefängnis auch nicht verlassen. In der Freiheit hätten sie
und ihrer Kinder nämlich gar nichts. Es ist ein gefährlicher Teufelskreis. Die
Kinder erfahren zwar Zuwendung, die meistens jedoch nur geheuchelt ist. Bei
wahren Problemen wird ihnen kaum geholfen und eine Erziehung die Grenzen
aufzeigt, erfahren sie überhaupt nicht. Das Leben im Gefängnis ist nach wie vor
kein Zuckerschlecken und definitiv kein Ort in dem Kinder aufwachsen sollten.
Es herrscht ein rauer Umgangston und das Leben ist von Egoismus geprägt. Man
lebt in seinem Mirokosmos, aus dem man aufgrund mangelnder Anreize nicht
entfliehen möchte. Wenn denn Müttern wie Kindern keine Optionen aufgezeigt werden,
werden sie es später in der Freiheit schwer haben in der „normalen“
Gesellschaft zu Recht zu kommen. Es ist schwierig Lösungsansätze für diese Lage
zu finden, und der Regierung ist dieser kleine Rand der Gesellschaft nahezu
egal. Mich hingegen beschäftigt das Schicksal der Kinder, die in diesen Zustand
hineingeboren worden, sehr. Es ist interessant und hilfreich sich über die
Verhaltenshintergründe der Kinder Gedanken zu machen. Dennoch wünsche ich mir
manchmal Hilfe von einem Profi oder einer Person, die mich in diesen Fragen
leitet oder unterstützt. Gespräche mit den Gasteltern die beide Pädagogen sind,
helfen mir zwar weiter. Aber nicht jeder Freiwillige hat das Glück im
unmittelbaren Umfeld auf solches Wissen zurückgreifen zu können. Eine bessere
Koordination der Organisation oder des Projekts wären für einen erfolgreichen
Arbeitseinsatz mehr als hilfreich.
freitag, 9. august
Heute musste ich lange arbeiten und war über die Ablenkung
recht glücklich. Abends gingen wir mit den anderen Freiwilligen feiern, über
was ich noch glücklicher war. Endlich mal wieder abschalten. Heute hätte meine
Freundin kommen sollen, war aber bekanntermaßen verhindert. Es war ein schöner
Abend und meine Gedanken konnten sich ein wenig erholen.
samstag, 10. august
Der Tag plätscherte vorbei und abends ging es wieder ins
Nachtleben mit unserem Besuch. Besuch kann anstrengend sein. Wegen eines
Missverständnisses war ich auf einmal alleine in der Bar. Ihr Handy war auch
nicht zu erreichen und so blieb mir nichts anderes übrig als auf ein Zeichen
ihrerseits zu warten. Der Abend war also ein gebrauchter und als ich nachhause
aufbrechen wollte, war meine Jacke aus der Garderobe entwendet worden. Zum
Glück waren die Taschen nahezu leer. Doch die praktische Lederjacke, mit der
ich mich immer mehr angefreundet hatte war nicht mehr aufzutreiben. Wenigstens
bedeutete das weniger Gewicht für den Rückflug in einigen Monaten.
sonntag, 11. august
Nachmittags machten wir uns auf, den Classico Bolivens zu
sehen. Das Fußballderby aus La Paz zwischen Bolivar und The Strongest zieht
jedes Mal die Massen an. Auch unser Besuch wollte einmal bei diesem Spektakel
dabei sein, dass sich als langweiligstes und schlechtestes Fußballspiel
entpuppte, für das sich je Eintritt gezahlt hatte. Wir saßen in der prallen
Sonne und wären wohl vor Langeweile, Müdigkeit und Hitze fast eingedöst, hätten
wir nicht versucht, den Stadionbesuch auf irgendeine Weise spannend zu machen.
Deprimiert für einen solchen Grottenkick überhaupt Zeit verschwendet zu haben,
machten wir uns auf der Einladung eines Freundes nachzukommen. Er hatte uns alle
zu den besten Spagetti in ganz La Paz zu sich nachhause eingeladen. Voller
Erwartung und Hunger fuhren wir durch die gesamte Stadt. Als wir um 1900
ankamen, war der Gastgeber noch beim Einkauf, den wir als er ankam gleich
bezahlen durften. Für ein paar Nudeln und andere Zutaten zahlten wir mehr als
in jedem Restaurant La Paz für drei Gänge. Dann hieß es 2einhalb Stunden warten
bis ein kleiner Teller verkochter Nudeln mit mäßiger Soße vor uns stand. Wegen
des Hungers, des Preises und des ewigen Wartens waren wir alle ein wenig
gereizt und vielleicht ein wenig undankbar. Wir hatten uns wohl mehr von den
groß angekündigten, besten Spagettis erhofft. Dass man in Bolivien nach dem man
Eingeladen wird zur Kasse gebeten wird, ist übrigens vor allem in der jüngeren
Generation Gang und Gebe. Der Sonntag wurde trotzdem mit einem unzufriedenen
Gefühl abgeschlossen. Durch all die Deutschen um einen herum hatte ich wohl ein
wenig meiner bolivianischen Lockerheit abgelegt.
montag, 12. august
Es hieß wieder schuften. Bis September musste jedes Gehege
erneuert und ein weiteres errichtet werden. Ich war also damit beschäftigt mit
einer Eisenstange Löcher für Pfosten in den Boden zu rammen. Müde kam ich
zuhause an.
dienstag, 13. august
Ein erneuter Busfahrerstreik machte es unmöglich zur Arbeit
zu kommen. Mit unserem Besuch ging es also auf Touritour. Eine bolivianische
Premiere für mich. Zum ersten Mal ging es durch Touriviertel samt
Alpakapullover, Mützen uns sonstige Souvenirläden.
Aufgrund der letzten Tage fühlte ich mich sowieso erstmals
wie ein Tourist und hatte einen ganz anderen Blick auf die Stadt, wie ich sie
normalerweise gewohnt war. Mir wurde wieder bewusst auf wie viel Seiten man La
Paz kennen lernen konnte. Die Stadt ist ein Rätsel.