Donnerstag, 30. Mai 2013

siebzehnte woche

mittwoch, 22. mai

Morgens traf ich mich mit meiner Kollegin in El Alto, um bei einer „feria“, einen Stand über Recycling zu betreiben. Weil wir das letzte Mal viel zu früh anwesend waren, hatten wir uns heute mit unserer Ankunft Zeit gelassen. Als wir jedoch ankamen, waren die restlichen Stände auf einem kleinen Schulbolzplatz schon aufgebaut und es herrschte große Vorbereitungshektik. Wir warfen uns sogleich ins Zeug unseren Stand fertig zu stellen. Etwas  mickrig kamen wir uns mit unserer bescheidenen Ausstattung in mitten farbenprächtiger Stände, mit haufenweisem Material schon vor. Tags zuvor hatte die Schweizer Überorganisation uns nur eine Handvoll Flyer gegeben, wo es sonst noch immer die mindestens zehnfache Menge gewesen war. Um uns herum boten die Stände große Plakate und leckeres Frühstück an, während wir uns mit Handzetteln begnügen mussten, die wir nicht einmal verteilen konnten. Aber noch war es nicht soweit. Alle Stände waren zwar einsatzbereit, aber in der Mitte des Platzes wurde nun noch eine übermäßige Bühne samt Riesenboxen aufgebaut, auf die so manches kleines Festival stolz gewesen wäre. Die Schulkinder, die extra morgens frei bekommen hatten, tummelten sich schon auf dem Platz. Die Bühne war fertig und da auch die Boxen geprüft werden mussten, wurden über diese lautstark die schlimmsten Hits der frühen Neunziger abgespielt.
Dann ging die Eröffnungszeremonie los. Haufenweise Ehrungen, Tanzeinlagen, Schulkinder, die in ulkigen Uniformen schief Musik spielten, Gelaber und noch mehr Ehrungen. Nach 2einhalb Stunden wurde noch immer gelabert und gelobt, überall blickte man in gähnende Gesichter. Schließlich wurde die Feria doch noch eröffnet. 20min hatten wir Zeit, Kindern, die nicht an die Essensstände gefesselt waren, etwas über die Umwelt und Recycling zu erklären. Viele waren jedoch noch nur auf die bunten Broschüren aus. Nach diesen 20min mussten die Kinder wieder in die Schule, wir abbauen und zurück zum Büro. Effektiv war dieser Einsatz keines Falls, was aber auch an der Planung des Veranstalters lag. Dass die feria zudem 2 Stunden später begonnen hatte, tat sein Übriges.
Am Nachmittag traf ich mich mit Freunden zu deren Appartementsuche.

donnerstag, 23. mai

In der Arbeit teilte ich heute meine Wechselpläne mit, worauf mir außer vom Chef Lob zu diesem Schritt zugesprochen wurde. Die Stimmung im Büro war die letzten Wochen merklich komisch, wozu auch die seit drei Monaten ausbleibenden Gehaltszahlungen ihr übriges gaben. Man teilte mir auch mit, dass ich bis zum Wechsel nicht mehr ins Büro kommen müsste, da es sowieso nichts zu tun gab, was ich sowieso vorhatte. Wieso sollte ich weiter sinnlos Zeit absitzen, wenn meine Organisation es einfach nicht auf die Reihe bekommt, binnen zweieinhalb Monaten kein neues Projekt zu finden.

freitag, 24. mai

Den letzten Arbeitstag im Projekt verbrachte ich wie die vorherigen. Abwarten bis es Mittag wurde. Nachmittags packte ich dann meine Sachen um abends mit bolivianischen Freunden nach Cochabamba, eine weitere große bolivianische Stadt, aufzubrechen. Natürlich konnte man mir keine richtige Uhrzeit zur Abfahrt mitteilen. Auf eigene Faust fuhr ich Richtung Busterminal, als ich plötzlich angerufen wurde. Wo bist du denn? Der Bus fährt gleich los. Du musst wohl alleine fahren, wenn du es nicht schaffst. Immerhin war ich nicht weit entfernt, stand aber im Stau, weshalb ich aus dem Minibus stieg und die steile, verpestete Straße Richtung Terminal hochrannte. Ich wäre fast in den falschen Bus eingestiegen, als ich sicherheitshalber noch einmal anrief. Da klärten mich meine Freunde auf, dass sie jetzt doch einen Bus später nehmen würden, da einer ihrer Freunde es nicht rechtzeitig schaffen würde. Wozu die Hektik regte ich mich kurz auf, nur um anschließend wieder in die bolivianische Gelassenheit zurück zu fallen. Wenigstens konnte ich doch noch etwas zu Abendessen, während wir auf die Abfahrt warteten. Im Bus versuchte ich zu schlafen, da es aber so kalt und unbequem war, blieb mir dies verwehrt.

samstag, 25. mai

Frühmorgens, als ich der Bodennebel lichtete und acht Stunden holprige Busfahrt vorrüber waren, kamen wir an. An der Umgebung konnte man direkt erkennen, dass wir uns nun in wärmeren Gefilden weiter im Süden, runter vom Altiplano befanden. Wir fuhren in die Stadt um ein Hostel zu suchen, die zu dieser Stunde leider noch alle geschlossen hatten. Nach einem kurzen Frühstück kehrten wir zurück und checkten ein. Eigentlich wollte der Rugbypartie des anderen Freiwilligen zuschauen, die zufälligerweise ebenfalls in Cochabamba [kurz Cbba] stattfand. Als ich am Treffpunkt zur Abfahrt ankam, war das Auto samt seinen Teamkollegen jedoch schon weggefahren. So versuchte ich auf eigene Faust das Spielfeld zu finden. Erst der sechste Taxifahrer glaubte zu wissen, wo sich dieses befand. Im Gegensatz zu allen Taxifahren, mit den ich in La Paz bis jetzt gefahren war, unterhielt sich der Taxifahrer sehr freundlich mit mir und klärte mich über seine Stadt Cbba auf. Am Klischee, dass die Menschen im Osten, jenseits der Hochebene etwas freundlicher und wärmer sind, war also etwas dran.
Die Türwächter am Sportkomplex schauten den Taxifahrer mit dunklerem Hautton kritisch an, wiesen uns harsch ab und erklärten uns, dass es hier kein Rugbyfeld gäbe und wir weiter fahren müssten.
Der Sportclub samt Golfanlage und Tennisplätze war für reicheres Publikum bestimmt. Allein die Dreistigkeit nicht mit eigenen Auto vorzufahren und dazu noch als Brauner war für die barsche Reaktion der Sicherheitsleute verantwortlich. Noch immer ist das mit Reichtum verbundene Rassendenken stark verbreitet, vor allem hier in Cbba, wie mir der Taxifahrer erklärte. Unverständlich wie ich finde und mir auch in La Paz schon des Öfteren begegnete. Wir fuhren weiter, konnten jedoch auch an der uns besagten Stelle kein Spielfeld ausmachen. So fuhren wir zurück. Kurz vor dem Bonzensportkomplex stieg ich aus um zu Fuß noch einmal nachzufragen. Dieselben Wächter waren auf einmal sehr freundlich und boten mir eine Tour über das Gelände an. Was man mir blond sein alles erreichen kann. Diese falschen, ignoranten Säcke dachte ich mir, wieso muss man sich so rassistisch verhalten und lässt sich dieses Menschenbild aufzwängen, zumal sie selber auch einen dunkleren Hautton besaßen.
Das Rugbyfeld war dennoch nicht hier, ich bezahlte den Taxifahrer und machte mich selber auf die Suche.
Bei einem Baseballfeld fragte ich nach der Richtung. Das Rugbyfeld wäre im entgegengesetzten Stadtteil. Ich solle mir keine Sorge machen, sie würden mich hinfahren. Abermals diese östliche Freundlichkeit. In La Paz hätte ich niemanden gefunden, der einen Fremden zu besagter Stelle mitnimmt.
Nach meiner Odysee bedankte ich mich freundlich bei der netten Familie und schaffte es letztendlich doch noch das Rugbyspiel zu sehen. La Paz verlor deutlich, was auch an den gewaltigen Höhen- und Gewichtsunterschieden der beiden Mannschaften lag. Die im Flachland generell andere Physis der Menschen, die meist höheraufgeschossen sind, war hier deutlich zu erkennen. So nun genug der „Rassenkunde“.
Zuschauer waren ausschließlich reiche Cochabambinos mit Zierhunden und iPads, was mir nach dem vorherigen Einlasserlebnis etwas aufstoß.
Danach ging es die dritte Halbzeit, zu der auch ich eingeladen wurde. Das Heimteam lädt dabei die Gästemannschaft zu Essen und vor allem Trinken ein. Typisch bolivianisch in alkoholischer Form. Nach einigem Flaxen und Bauchvollschlagen, verabschiedeten und bedankten wir uns und machten uns auf den Weg zu einer Bar. Obwohl alle vom CL-Finale sprachen, hatte es keinen Fernseher gegeben und die Partie war schon im vollen Gange, was wir uns auf keinen Fall entgehen lassen wollten.
Wir saßen gemütlich draußen mit kurzer Hose, was in La Paz zurzeit undenkbar scheint und genossen das spannende deutsch-deutsche Finale.
Anschließend trafen wir uns mit meinen Freunden.
In der Nacht gingen wir zu einem Konzert bei dem eine meiner Freundinnen auflegte. Bevor das Konzert losging waren wir in das riesige Haus einer der Freunde aus Cochabamba eingeladen. Ein Anbau, der größer als so mancher Wohnraum war diente als Aufenthaltsraum. Man hätte Billiard, Tischfußball oder Videospiele an einem riesigen Fernseher spielen, sich in einem Musikraum voller Instrumente selber beschallen, in einem der Fitnessgeräte auspowern, im Pool ein paar Runden drehen und sich anschließend in der Sauna wieder aufwärmen können. Zudem gab es noch einen großzügigen, schön angelegten Garten, was in der sonstigen bolivianischen Raumaufteilung nicht üblich ist. Kurzum eine wahre Villa.
Das es in manchen Privathaushalten in Bolivien genug Geld zu geben scheint um abgelegene Dörfer mit einem Trinkwasseranschluss zu versorgen, wage ich nicht zu bezweifeln.
Als der Alkohol leer war ging es dann zur Open-Air-Party im Hinterhof, die alleine wegen des Lärmpegels so nie in der Nachbarschaft anderer Häuser stattfinden dürfte. Es wurde so ausschweifend und euphorisch getanzt, dass um 12 die Luft schon wieder raus war.
Dennoch wollten alle bleiben, weswegen ich dann erst um 0330 im Hostel zum schlafen kam.

sonntag, 26. mai

Nach dem Aufstehen ließen wir das Frühstück aus und begannen uns mit einer der vielen Spezialitäten Cochabambas, das landesweit für seine Küche bekannt ist, den Bauch voll zu schlagen. Alleine das frischgemachte Käse- und Chirimoyaeis eines Milchladens wäre eine Reise wert. Gepaart mit dem angenehmen Wetter, dem entspannten Straßenbild mit seinen Bäumen, rumflatternden Minipapageien, angenehmen Bars, nicht zu vergessen den aufgeschlossenen Leuten, ist Cbba eine sehr lebenswerte Stadt. Dann machten wir uns noch auf das Wahrzeichen Cbbas zu besichtigen: eine weiße, riesige Jesusstatur, die auf einer Bergformation in mitten des Cbbastals über der Stadt ragt und an den berühmten Riojesus erinnert. Den Weg nach oben nahmen wir in einer der gelben Zubringer Gondeln um oben den Ausblick und die lärmenden Sonntagsausflugsfamilien zu genießen.
Wieder unten trafen wir uns zum Nachmittagsessen um anschließend zum Familienappartement einer der Mädels zu gehen. Freunde gefunden zu haben, mit denen mal sowohl reden als auch Spaß haben konnte, noch dazu bolivianische, füllte mich fast etwas mit Stolz. Ein schönes, spaßiges Wochenende, das vom [Nicht-]Arbeitsfrust und langweiligen Familienalltag ablenkte, war vorrüber. Zum Abschluss des Leckereienmarathons gab es noch den Elefantenohrenhamburger zu essen. Der safaritaugliche Name stammt vom flachgeklopften Fleischstück, das von seinen Maßen mindestens an ein Babyelefantenohr erinnert. Von diesem kurzen Städttrip nahm ich einiges mit, vor allem das man innerbolivianische Klischees Glauben schenken darf. Die Klischees der Freundlichkeit der Menschen, des leckeren Essens, das an jeder Ecke erhältlich ist, der hübscheren Menschen und des angenehmen Klimas, kann ich trotz ihrer Oberflächlichkeit allesamt bestätigen.
Abends ging es dann im Bus zurück.

montag, 27. mai

Als wir im Morgengrauen im bitterkalten La Paz ankamen, war ich viel ausgeschlafener als noch auf der Hinfahrt, so langsam gewöhne ich mich an die viel zu kleinen Bussitze.
Zuhause duschte ich, machte etwas Sport und entspannte meinen strapazierten Magen, dem die vielen Leckereien leider doch zu gesetzt hatten. Da ich das zur Arbeit fahren ja aufgegeben hatte, machte ich mir einen entspannten Tag zuhause.

dienstag, 28. mai

Entspannen war die Devise. 

sechzehnte woche

mittwoch, 15. mai     

Um drei Uhr morgens wachte ich in unbequemer Sitzposition wieder auf. Wir standen erneut. Leute drängelten sich am Ausgang. Nicht schon wieder, dachte ich mir. Aber zu meiner Verwunderung waren wir bereits in La Paz angekommen. Nur in einem völlig anderen Viertel. Der Busfahrer war wohl etwas schneller gefahren und machte nun auch beim aussteigen Druck. Wir suchten hastig unser Zeug zusammen und stellten es auf die Straße. Fehlte etwas? Der Geldbeutel meines Freundes war nicht mehr da. Wahrscheinlich war er aus der lockeren Hosentasche gefallen. Nun war er unauffindbar. Wir suchten überall. Hektik. Wir mussten raus, der Bus warf die Motoren an. Dann erfuhren wir, dass wir doch noch am Busterminal halten würden. Schnell holten wir das Gepäck wieder in den Bus und suchten weiter. Unsere bolivianischen Mitreisenden wollten beim Suchen nicht helfen, selbst aufzustehen, um unter ihren Sitzen nachschauen zu können, war ihnen schon lästig.
Unter Hochdruck suchten wir weiter, der Geldbeutel war wohl einfach verschwunden. Jetzt waren wir wirklich angekommen und mussten endgültig aussteigen. Auch die letzten suchenden Blicke konnten ihn nicht ausmachen. Wir gaben auf. Eine andere Touristin vermisste ihr TabletPC, welches sich ebenfalls während der Fahrt in Luft aufgelöst hatte. Das hatte ich hier noch nie erlebt. Die Antigringostimmung war stark umgeschlagen, wir waren sogar beklaut worden. Eine Person hatte wohl die Gunst der Stunde genutzt und freute sich nun der neuen Güter, die man wohl nächsten Donnerstag in El Alto auf dem Markt erwerben konnte, Urlaubsbilder inklusive. Sonst hatte ich alle Bolivianer stets als hilfsbereite und freundliche Menschen erlebt. Wir nahmen ein Taxi zu seiner Wohnung, wo ich noch zwei Stunden pennte. Ich nahm einen Bus nachhause, wo eine nette Dame in mir und meinem Riesenrucksack einen Touristen erkannte und mir hilfreiche Tipps für La Paz gab. Da war sie wieder die mir bekannte bolivianische Gastfreundlichkeit, die ich schon verloren geglaubt hatte wieder. Zuhause angekommen duschte ich den Stress und Staub der Fahrt weg und kehrte zum Zeit absitzen im Büro wieder ins Zentrum zurück.

donnerstag, 16. mai

Die Tage im Urwald hatte ich wohl nichts verpasst und im Projekt hatte sich wohl auch nichts verändert. Langweiliges Warten stand auf dem Programm.

freitag, 17. mai

Heute trafen wir uns in El Alto um in einer Schule die Lehrer für unser Projekt zu gewinnen. Die Lehrer trudelten nacheinander ein, selbst als der Powerpointvortrag schon weit fortgeschritten war, öffnete sich immer wieder die Tür und wir verdoppelten uns. Bei einer Fragerunde, bei der erst wir Fragen stellten und dann die Lehrer selbst, fiel auf, wie ungebildet in Sachen Natur so mancher Lehrkörper doch war. Nach eineinhalb Stunden war mein Arbeitstag schon wieder beendet und der andere Freiwillige und ich begaben uns auf Pflanzensuche für unsere Terrasse. Beim Ausgraben in verlassenen Grünstreifen wurden wir so einige Male von Passanten begutachtet und ob unserer Aktivität befragt. Spitzhacke und Handschaufel wurden dann schnell versteckt und die Aussicht über La Paz genießen wurde als Ausrede gegeben. Danach wurden wir noch seltsamer betrachtet.

samstag, 18. mai

Vor diesen Tag hatte ich schon seit Wochen Angst. Die Einladung zum Straßenfest in El Alto mit meinen Arbeitskollegen. Nicht die etwas gefährlichere Oberstadt oder meine Zusage beim Kostümtanzen waren hierfür der Grund. Nein, der Alkohol der wie bei jedem Fest in Strömen fließen würde und zudem ich bei jeder Gelegenheit als einziger Gringo eingeladen würde, machten mir Sorgen.
Es ging gleich gut los. Um 1030 traf ich mich mit einem Arbeitskollegen, der mich im Auto zum Fest mitnehmen würde. Seit Auftreten machte mir nicht gerade Mut, dass der Saufgelage vielleicht doch mit Mineralwasser abgehalten werden würde. Aus der Arbeit kannte ich ihn im Anzug und stets gut gekämmt und so erkannte ich ihn fast nicht, als er mich etwas verkatert und unausgeschlafen im Schlabberlook zu seinem Auto winkte. Wie geht’s? Ganz gut und selbst? Ich bin besoffen… nein Spaß, war seine Antwort. Na toll. Um zwölf sollten wir oben ankommen um das Kostüm anzupassen und einige Tanzschritte zu üben. Anstatt direkt aufzubrechen fuhren wir noch zu Besuch bei seinem Freund vorbei. Dort angekommen wurde ich direkt auf ein Bier eingeladen und es war noch nicht mal elf. Als wir am Straßenrand vor seinem Haus die erste Flasche geleert hatten, lud er uns ein einzutreten. Mit weiterem Bier in der Hand stellte er mir voller Stolz seine Werkstatt vor. Alle Werkbänke waren aus dem europäischen Ausland nach Südamerika importiert wurden und als sie dort nicht mehr gebraucht wurden, hatte er sich ihrer angenommen, sie repariert, ergänzt und wieder einsatzfähig gemacht. Zurzeit stellt er Stromkastentüren aus Metall her und versucht einigen Lernwilligen Grundkenntnisse in der Mechanik und im Maschinenbau zu vermitteln. Eine sehr lobenswerte Aufgabe, da ein bolivianisches Ausbildungssystem komplett fehlt. Bei weiteren Flaschen Bier redeten wir weiter über Ausbildung und Bolivien im Allgemeinen und meine Fragen, warum wir um eins noch nicht losgefahren waren, wurden kräftig ignoriert. Es war sehr nett und gemütlich und auch die Frequenz der Klogänge nahm zu. Als wir dann zu dritt die zwölfte 0,5l-Flasche geleert hatten war es bereits zwei Uhr. Ich hatte nicht zu viel erwartet. Noch bevor ich überhaupt in El Alto angekommen war, hatte ich bereits 2l Bier getankt, die ich Gottseidank nur in der Blase spürte.
Auf der Fahrt nach oben, wurden wir von jedem noch so alten Fahrzeug überholt und wegen unserer Schlangenlinien angehupt. Mir war echt nicht geheuer. Mein Kollege, der mich sicher zum Fest fahren wollte, waren die paar Gläser Gerstensaft nicht nur in seiner Fahrweise anzumerken. Ich dachte mir nichts weiter dabei, ich war ja in Bolivien. Der vorzeitige Höhepunkt war das Anhalten am Straßenrand auf der steilansteigenden Autobahn um sich zu erleichtern. An der Mautstation hatte man wohl mitbekommen, dass ein nicht ganz zuzurechnendes Fahrzeug unterwegs war, mein Kollege musste aussteigen und ein Polizist stieg ein und fuhr das Auto 100m weiter, um am Straßenrand zu halten.
Nach einer halben Stunde und einiger Diskussion hatte mein Kollege seinen Führerschein wieder. Was wohl in Deutschland bei so offensichtlicher Trunkenheit passiert wäre? Vielleicht hatte die Polizei auch einfach nur Mitleid mit dem armen Gringo gehabt, der zusätzlich im Auto saß.
Es war nun drei Uhr, aber anstatt direkt zum Fest zu fahren, wollte er mir erst noch sein Haus zeigen. Enten, Hühner, mehrere Hunde und ein grüner Papagei tümmelten sich im Innenhof eines kleinen Wohnhauses. Ich fühlte mich wie auf einem Miniaturbauernhof. Typische bolivianische Unordnung herrschte in allen Zimmern, trotzdem war es ein fröhlicher Ort. Stolz erzählte er mir von seinen Tieren und seinen Kindern, für die er jeden Tag in 2 Jobs arbeitete, kochte, zur Schule brachte und einen kleinen Getränkeeckladen betrieb. Ein weiteres normales bolivianisches Alltagsleben, das ich kennen lernen durfte. Eine weitere Person, die vor lauter Arbeiten kaum schläft, nur um das wichtigste für seine Familie erwirtschaften zu können.
Um 1630 also nur viereinhalb Stunden später waren wir tatsächlich am Fest angekommen. Die Verspätung war wohl überhaupt kein Problem gewesen. Man überreichte mir das Tanzkostüm und die dazupassenden Schuhe, die mir nicht passten. Obwohl ich fünfmal nach meiner Schuhgröße gefragt worden war, standen nun ein Paar 41er bereit. Sie fielen größer aus, sagte man mir. Nicht jammern dachte ich mir, denn bei GNTM hatte ich gelernt, dass man selbst bei großen Modenschauen in zu engem Schuhwerk über den Catwalk laufen muss. Mein Catwalk war die hiesige Schotterstraße die zum kargen Haupttanzplatz führte. Nach einer Flasche Begrüßungsbier zog ich zum Startpunkt los. Um auf Temperaturen zu kommen, wurde auch hier jedem Tänzer 2 Flaschen Bier in die Hand gedrückt, die man mit seiner Gruppe teilte. Da aber jedes Gruppenmitglied diese Flaschen erhalten hatte, kam man am Ende wieder in den Genuss eines Liters Bier. Natürlich wurde ich von allen beobachtet und ein angetrunkener Bürger/ oder Stadtviertelmeister schüttelte mir die Hand, Autos, die vorbei fuhren hupten, lachten und jubelten mir zu. Zusätzlich zum Gruppenbier luden mich weitere Herrschaften zu einem kleinen Umtrunk ein. Seltsamerweise spürte ich immer noch nichts vom Alkohol, nur dass das ganze Bier wohl recht nährhaltig war. Trotz ausgebliebenen Mittagsessen verspürte ich noch keinen Hunger.
Es wurde kälter, zum Glück hatte ich mich warm eingepackt und der Alkohol half wohl zusätzlich beim Wärmen.
In einem traditionell denkenden und spärlichen Stadtteil war ich also Teil eines faschingsähnlichen Gruppentanzzuges. Die Prozession ging los. Der Blaskapelle und ihren Tönen hörte man den Bierkonsum deutlich an. Am Ende meiner Gruppe versuchte ich schnell die schwerfälligen Tanzschritte der Morenada nachzuahmen.
Die Morenanda ist ein beliebter bolivianischer Festivitätentanz. Man streitet sich zwar über ihre Ursprünge, ist sich aber einig, dass sie eine Mischung aus indigenen Tänzen und afro-bolivianischen Elementen ist. Es scheint als würden in ihr die schwerfälligen Bewegungen der ausgelaugten schwarzen Minenarbeiter nachgeahmt werden und ist somit eher Klagelied als Freudentanz. Wie wichtig meinen Mittänzern die ursprüngliche Bedeutung des Tanzes ist, ist mir nicht bekannt.
Alle 20min gab es eine Pause in der weiteres Bier getrunken wurde und es die Möglichkeit gab, Fotos zu machen. Komischerweise war ich nicht unentdeckt geblieben und ich kam mir tatsächlich wie auf dem Catwalk vor. Von allen Seiten kamen Personen und schossen Fotos von mir. In den Pausen musste ich rund hundertmal mit meist weiblichen Fotopartnern in eine Kamera grinsen. Der Fotograf, der die Bilder direkt ausdruckte und verkaufte, machte wohl ein gutes Geschäft und ich hätte ihn fast um eine Gewinnteilhabe gebeten. Nach jedem Foto wurde auf das Foto angestoßen.
Zum Glück gibt es beim Biertrinken zwei bolivianische Rituale, die den Konsum einschränken können ohne unhöflich zu sein. Statt wie in Deutschland waagrecht einzuschenken um einer übermäßigen Schaumentwicklung entgegen zu wirken, tut man hier genau das Gegenteil. Beim traditionellen Senkrechteinschenken entsteht viel Schaum. Je mehr Schaum der Becher enthält, desto mehr Glück wird man im Leben haben. Aller Schaum, der über dem Becherrand steht wird mit der Hand abgeschöpft und in die Hosentasche gesteckt. Der Glaube besagt, dass der mit der höchsten Schaumkrone sein Geld am Besten wird vermehren können.
Der zweite Brauch ist die Gabe an Pachamama – Mutter Erde. Die Ayamaras sehen sich als Nachkommen der heiligen Mutter Erde – Pachamama, in der sie nach dem Tod zurückkehren. Um ihr und all ihren Ahnen Respekt zu erweisen und eine Freude zu tun, werden ihr immer wieder Opfergaben zu Teil. Bei Festivitäten gilt der erste und der letzte Schluck immer Mutter Erde. Man ist sich bewusst, woher man kommt und lässt Pachamama auch gerne an den überirdenen Freuden Teil haben.
Gerade in El Alto, wo ich mich in einer traditionell denkenden Gesellschaft befand, wird diesen alten Bräuchen noch viel Beachtung geschenkt. Doch selbst bei meiner Gastfamilie kann man diese Bräuche, zu denen weit mehr als Bierrituale gehören, immer noch beobachten.
Ich schenkte also mit der Zeit großzügig Glücksschaum aus und zeigte mich Pachamama sehr gütig. Mein Überleben war gesichert. Es wurde langsam weiter gezogen. Um unterwegs nicht zu verdursten wurden kleine Gläschen mit leuchtend gefärbtem Alkohol gereicht. Es war mittlerweile dunkel und noch kälter geworden. Der Einmarsch auf den Hauptplatz stand bevor. Ich sollte als Erster und Aushängeschild der Gruppe einlaufen, nett winken, gute Miene machen und das ganze ohne Maske. So konnte auch jeder sehen, dass dieser große Gringo, ein Freund der Gruppe war. So gab ich mir Mühe alles umzusetzen. Die Zuschauer starrten mich ungläubig an, aber das war mir egal. Nach ein paar Minuten Tanzeinlage vor schräger Musik war mein Auftritt vorbei. Die Festivitäten für heute auch, was mich wunderte. Vielleicht war es einfach zu kalt geworden.
Ich fuhr mit meinen Kollegen zu dessen Wohnung, wo wir uns bei Tee [zum Glück ohne Schuss] mit seiner Frau und Kindern über Bolivien und Deutschland unterhielten. Anschließend fuhr ich mit den öffentlichen Transportmitteln eineinhalb Stunden in den allen Belangen entgegengesetzten Stadtteil, wo ich wohne. Gegen 1130 war ich wieder zuhause, aß erstmals an diesem Tag etwas und legte mich dann schlafen. Zwar war ich nicht besoffen geworden, so wie ich das befürchtet hatte, aber Bier hatte ich für die nächsten Wochen genug gesehen. Beim Hinlegen spürte ich die über den Tag getankten Getränke. Etwas über 6 effektiv getrunkene Liter hatte ich gezählt, dazu kamen ein paar Schnäpse und ca. ein Liter für Pachamama. Gute Nacht.

sonntag, 19. mai

Heute schlief ich aus. Aus dem Besuch bei der großen Tanzveranstaltung in La Paz, auf dem auch meine Gastgeschwister tanzen würden, wurde leider nichts. Da meine Gastmutter und –oma aus mangelnden Parkmöglichkeiten und einsetzenden Regenschauern keine Chance sahen, dort einen schönen Nachmittag zu verbringen.

montag, 20. mai

In der Arbeit hieß es wieder Smalltalken und Zeit absitzen. Nachmittags ging es nachhause und als ich dachte der Tag sei schon vorbei, wurde ich in einen Loriotsketch versetzt.
Niklas, komm doch mal runter hieß es um 2000. Auf dem fast unbenutzten Sofa saßen schön aufgereiht mein Gastvater, -mutter und –bruder. Alle hatten die Haare schön und waren relativ gekleidet. Ich hatte schon mein abendliches Sportoutfit an und kam mir Fehl am Platz vor.
Es begann die beste Staubsaugervorführshow die ich bis jetzt erleben durfte. Zwei junge Studenten stellten mit auswendig gelernten Text und charmanten, schleimigen Auftreten den RAINBOW 2000 vor. Kein Staubsauger, nein ein Gesundheits- und Allzweckblaswunder wurde uns angeboten, der mit dem richtigen Aufsatz perfekt beim Haaretrocknen helfen würde. Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur Blasen kann. Zwischenzeitlich konnte ich mich vor lauter Ähnlichkeit zum berühmten Loriotsketch kaum auf dem Sofa halten. Die komödiantische Vorführung konnte von den anderen natürlich nicht verstanden werden, weshalb ich so manchen komischen Blick erntete. Nachdem jeder einmal Probe gesaugt hatte, aufgesetztes Lachen wegen eines Verläuferwitzes ertönt war, die Schädlichkeit aller Milben und toxischer Pilze, die sich überall im Haus eingenistet hatten, bis zum Erbrechen wiederholt worden waren und über die sagenhafte Saugfähigkeit gestaunt worden war, kam es zum Verkaufsgespräch. Erst wurde vorgerechnet, dass in der 40jährigen Lebensspanne, der neuen Wundermaschine, die beim Saugen angenehme Düfte nach Wunsch versprühte, US$300.000 eingespart würden. Dann wurden schmeichelnde Komplimente an das schöne Haus und dessen Eigentümer verteilt. Endlich wurde der Preis des RAINBOW 2000 genannt.

                                   US$     2400                für einen RAINBOW 2000

Für einen Staubsauger? Die Vorführung war zwar beeindruckend gewesen, aber en serio? Viele 7köpfige bolivianische Familien müssen mit weniger Budget für ein ganzes Jahr auskommen… Allein die Frechheit ein solches Produkt in diesem Land anzubieten schockte mich. Wie ich schon häufig gemerkt hatte, scheint es hier Leute zu geben, die bereit sind dies auszugeben. Ich war schockiert. Auch meiner Gastfamilie war das Konsumgrinsen aus dem Gesicht verschwunden. Sie hatten sich schon fröhlich saugend durch ein absolut sauberes und keimfreies Haus schweben sehen. Der Preis war selbst ihnen zu viel. Die vorher so freundlichen Vorzeigeschwiegersöhne waren auf einmal gar nicht mehr freundlich. Das müsse man sich doch leisten können, die Gesundheit der Familie sei schließlich unbezahlbar, appellierten sie an den Stolz meines Gastvaters. In seinem Kopf ratterte es. Eine Dreistheit so ein Produkt zu verkaufen. Ratenzahlung gehe nicht, aber wer hätte das auch nötig. Gerade dieses Selbstbewusstsein etwas Besseres zu sein, für die Geld keine Rolle spielt, wurde gezielt angegriffen. Ekelhaft. Natürlich hatten die beiden Studis Provisions- und Verkaufsdruck, doch man hat immer eine Wahl für welche Firma man arbeitet, zumal beide nicht auf dieses Geld angewiesen wären. Ich war angewidert aber dennoch gespannt, wie das lange Hin- und Her über Preise und Bonusgaben wohl enden würden, weshalb ich noch auf dem Sofa sitzen blieb. Letztendlich einigte man sich auf eine Galgenfrist bis morgen Mittag, in der geklärt werden sollte, wie man die Ratenzahlung hinbekommen könne. Um 1130 hatte der Spuk sein Ende und ich hatte ein neues Erlebnis der Oberschichtenprobleme, oder zumindest der Gerne-dazu-gehören-woller im ärmsten Land Südamerikas erlebt.

dienstag, 21. mai


Ein langweiliger Tag, an dem ich zum wiederholten Male im AFS-Büro gewesen war. Der Projektwechsel schien anscheinend voran getrieben worden, in spätestens einer Woche sollte ich wechseln können. Aber das war mir schon vor 4 Wochen mitgeteilt worden. 

Mittwoch, 22. Mai 2013

15. woche - grüne hölle

mittwoch, 8. mai

Im Büro herrschte wieder gähnende Arbeitsleere. Und gegähnt wurde genug. Nach Absitzschluss besuchte ich Abuelita zum Mittagessen. Sie hatte wieder mehr als reichlich gekocht und dementsprechend voll rollte ich nach dem Erfahren weiterer Familiengeheimnisse zum nächsten Treffpunkt den Berg hinunter. Es galt endlich den bevorstehenden Trip zu planen, der morgen beginnen sollte. Mit dem anderen Freiwilligen ging es zum Busticketerwerb und dem Suchen nach einer geeigneten Reiseorganisation für eine Tour vor Ort. Das Büro des Busveranstalters fand sich in einem abgehalfterten Hauseingang in einem der günstigsten Viertel La Pazs wieder. Das Ticket war mit 7€ für eine 15-stündige Fahrt sehr billig und wir würden noch erfahren warum.
Wir fuhren wieder ins Zentrum um uns in der Touristengasse nach dem günstigsten Preis für eine Urwaldtour zu erkundigen und wurden schnell fündig. Mit welcher Dreistigkeit uns schwindelerregende Preise genannt wurden war beeindruckend. Als wir ihnen dann erzählten, dass wir in einem anderen Laden, das gleiche Angebot für die Hälfte des uns soeben genannten Preises offeriert bekommen hatten, wurde dieses wie selbstverständlich unterboten. Obwohl man uns vorher weismachen wollte, dass man uns schon den absolut niedrigsten Preis genannt hatte. So langsam zahlt sich etwas bolivianische Erfahrung aus, vor allem wie manchmal mit Touristen umgegangen werden will. Meistens wird man gerecht behandelt, dennoch gibt es einige schwarze Schafe, die einen auch gerne Mal eine Tafel Schokolade für das dreifache des Preises verkaufen wollen.
Zufrieden endlich Planungssicherheit zu haben ging es Richtung Kungfutraining. Nach einem Nachmittag voller Programm ging es nachhause, wo noch die ersten Sachen gepackt wurden.

donnerstag, 9. mai

Es ging früh raus aus den Federn, um zu packen und zu hoffen alles Notwendige in einen Eintagesrucksack unterbringen zu können, was glückte. Danach fuhr ich zum Haus des anderen Freiwilligen um weitere Vorbereitungen zu treffen. Proviant sollte gekauft werden: Brot, Schinken, Käse, Früchte und das wichtigste einen Orangenkuchen. Kuchen und andere Patisseriewaren sind hier für uns mehr als bezahlbar und mehr als essbar. Eine riesige Schokotorte gibt es zum Beispiel für 9€, mit mehreren kleinen Gebäckstücken für eine Großfamilie verlässt man den Laden unter 5€. Wie bereits erzählt ist Essen hier im Vergleich fast zu billig, wenn man sieht, wie viel halbgenutztes Essen in den Straßengräben verkümmert. Dennoch wird sich beschwert, da die die Preise die letzten Jahre in die Höhe geschossen sind. Für Früchte zahlt man beinahe das Zehnfache des Preises im Vergleich zu vergangenen Jahren. Kaum verwunderlich, dass die jährliche Inflation beinahe 10% beträgt. In La Paz scheint es, als wenn die Bewohner diese Preisanstiege noch auffangen könnten. In ärmeren Landstrichen, in denen es keine Arbeitgeber gibt, die ihre Löhne an die neuen Preise anpassen können, sieht es nicht ganz so wohlig aus. Mit diesen Problemen im Hinterkopf fühlt man sich hilflos nicht entscheidend entgegen wirken zu können. Zumindest tue ich das. Im Unterton der meisten Bolivianer, die ich kennen lernen durfte, spielt dies jedoch weniger eine Rolle. Man achtet wohl doch lieber auf sich selbst. In welchem Land ist dies nicht der Fall?
Unser Augenmerk galt jetzt allerdings den Kronjuwelen unseres Proviants, einem großen Trockenkuchen für 1.5€. Mit einem großen Beutel voll Essbarem standen wir überpünktlich am Abfahrtsplatz. Wir hofften auf eine pünktliche Reise mit wenigen Hindernissen.
Zur Zeit werden in Bolivien aus Protest Straßen blockiert. Und da es nun einmal wenige gibt, und Umfahrtstraßen ein Wunschtraum sind, sind ganze Landstriche abgeschnitten. Der Staat versucht drastische Lohn- oder Rentenkürzungen durchzuführen, teilweise bis zu 70%. Viele Menschen bangen, zusätzlich zur eben erwähnten Preissteigerung um ihre Existenz. Um sich Gehöhr zu verschaffen, gilt es hier als probates Mittel die Infrastruktur zu manipulieren. Vor allem die wütenden Mineros [Minenarbeiter], deren Betriebe verstaatlicht sind, berufen sich auf diese Art des Protests. Steine werden auf wichtige Straßen und Autobahnen gerollt,  Barrikaden errichtet und mit Dynamit Lärm gemacht. Innerhalb weniger Augenblicke können wichtigste Verbindungsstraßen unpassierbar gemacht werden. Diese so genannten „Bloqueos“ spielen sich jedoch vor allem im Süden, dem Landstrich der meisten Minen ab, weswegen wir unsere Reise in den Norden nicht verschieben wollten.
Wir betrachteten, wie auf die Dächer, der ohnehin schon hohen Doppeldeckerbusse älteren Jahrgangs allerlei Gepäck verfrachtet wurde. Händler nutzen diese billige Art zu Reisen, als Transportmöglichkeit für ihre in entlegeneren Regionen zu verkaufenden Güter. Bunte Klamottensäcke, eingeschweißte Bügelbretter, Flachbildfernseher, Radios, rosa Kinderfahrräder, Kartoffeln und manchmal auch Hühner werden fachgerecht verstaut. Dabei wird vergessen, dass die Stromleitungen, die überall notdürftig über die Straßen hängen, niedriger sind, als Doppeldecker ohne 2m Aufbau.
Der Bus vor uns setzte zur Abfahrt an. Einige ahnten das nicht zu vermeidende Unglück und eine kleine Menschentraube blickte gebannt Richtung schwarzer Kabel. RUUUMMS! Trotz hastiger Da-ist-kein-Platz-Rufe waren einige Haushalte jetzt ohne Strom oder Fernsehsignal. Ein Mithelfer musste auf das 4m-Dach klettern und mit seinen Händen die Kabel über das auffragende Gepäck stemmen. Unter dem Beifall aller Gaffer, auch uns, die wir einfach nur lachten, versuchte der Halter die Balance auf dem fahrenden Untergrund zu halten und balancierte mit Kabeln in der Hand am Gepäckaufbau vorbei. Welch ein Spektakel. Sollen wir dir ein Messer hochwerfen, wurde gemeinerweise geschrieen. Der arme Kerl krabbelte sichtlich verwirrt vom Dach zurück ins Fenster um nur kurz darauf erneut das Dach zu besteigen. Seltsamerweise hingen schon wieder einige Kabel tiefer in die Straße. Der gute Mann wirkte etwas verwirrt beim nächsten Abstieg und schüttelte sich mehrere Male. Hatte bestimmt mehr gebritzelt als Ahoibrause.
Die Beladung unseres Busses dauerte eine Stunde, weshalb sich auch unsere Abfahrtszeit um diese Spanne verschob. Wir wurden einige Male unverständlicherweise angeschnauzt, dass wir im Weg stünden, obwohl ihr gemütlich neben anderen Wartenden warteten. Scheiß Gringos eben.
Endlich gings los. Kartenkontrolle gab es keine, dafür winzige Sitze und wenig Platz für Gepäck. Um dem Kessel der Stadt der La Paz zu entfliehen, kämpfte sich der überladene Endsechziger im Schneckentempo die Höhe hinauf. Eine Frau, die die Abfahrt verpasst hatte, holte uns sogar noch zu Fuß ein. Kabel nahmen wir keine mit, der Helfer war sicherheitshalber nach dem Beladen direkt oben geblieben. Man hatte gelernt. Schreckliche peru-bolivianische Schlager zwangen einem wegzuhören oder in unserem Fall mit Volksmusikgesten mitzusingen, da die Texte so banal waren, dass man sie nach spätestens zweimal hören auswendig kannte. Nebensitzende schauten uns, vor allem mich, der voller Inbrunst sang, wohl verwundert an.
Die karge Berglandschaft änderte sich zur Weite des Altiplanos. Seen plätscherten langsam vorbei. Politische Parolen und dumme Sprüche an Felswänden huschten vorüber. Das schöne Landschaftsbild wurde nur von Tonnen von Müll beschädigt die sich am Straßenrand türmten. Selbst eine heilige Stätte war heillos übersäht. Möglicherweise Opfergaben für den Berggeist. Wie man die hochsensible Natur hier oben, die einigen sogar als mystisch gilt, so verschandeln kann, bleibt mir ein Rätsel. Es spricht der Recyclingaufklärer.
Selbst bei der Abfahrt wurde die 20km/h Schwelle nicht überschritten. Ein gutes Zeichen, wenigstens die Bremsen funktionierten [noch]. Sogar kleine Dörfer mit Essenständen hatten sich an der Straße angesiedelt, aber auch alte Steinruinensiedlungen sprossen aus den kleinen Tälern. Erstaunlich, wo manche Menschen hausen.
Atemberaubend die Landschaft, mit ihren Gipfeln und Tälern, durch die sich die Asphaltschlange genagt hatte. Die Vegetation begann sich bei weiterer Abfahrt langsam zum ändern. Immer mehr Pflanzen – Regenwaldpflanzen. Man konnte ihn in der Ferne schon sehen. Die Nebelwälder begannen. Wolken schmiegen sich an die Gipfel und lassen sie nicht wieder los. Dass man innerhalb einer Stunde Schneckentempo, in unterschiedlichste Welten eintreten kann, verzauberte mich. Diese Fahrt war bis jetzt schon ihr Geld wert. Bergkurvenleidigen ist diese Holperpistenfahrt jedoch abzuraten. Warum man für etwas mehr als 200km Luftlinie 15h Fahrtzeit benötigt, hatte ich spätestens jetzt bei Straßenbelagssicht und Fortbewegungsgeschwindigkeit verstanden.
Nach immer mehr Bäumen und Hälserecken nach der beindruckenden Kulisse kam es wie es kommen musste. Es ging nicht weiter wir blieben stehen. Ein Stück unbefestigter Hang hatte sich oberhalb der Straße auf einer Baustelle gelöst. Die Straße war unpassierbar und mit Geröll überschüttet. Ob dies Absicht der Bauarbeiter war [Stichwort Blockade] oder einfach nur Dummheit, konnte uns keiner beantworten. Wie man überhaupt einen naturgemäß bewaldeteten Steilhang abroden kann, ohne an Erdrutsche zu denken, darf man sich gar nicht erst fragen…
Da standen wir also mit anderen Reisenden oder Lkwfahrern und genossen die schöne Aussicht ins Tal und die Ruhe der Motoren. Ein paar Findige witterten Geschäfte und versuchten Früchte, Getränke und Wassereis zu verkaufen.
Nach 45min ging es auf einmal weiter. Die Karawane setzte sich in Gang. In größeren Orten wurde zum Entleeren und Befüllen der Passagiere und Fahrer Rast gemacht. Wir unterhielten uns mit anderen Ausländern und gaben zuhause Bescheid, dass wir noch am Leben waren. Die Straße wurde immer abenteuerlicher, das Licht immer weniger. Teilweise war der Weg so eng, dass man dachte der breite Bus müsse gleich rechts am Fels kratzen oder links die Böschung runter poltern. Wenn Gegenverkehr kam, am besten andere Riesenfahrzeuge, begann es spannend zu werden. Bei wenig Licht, da ja Energie gespart werden sollte, unfesten Untergrund und wenigen Zentimetern neben dem steilen Abhang, bei dem selbst die nicht vorhandene Leitplanke nicht geholfen hätte, wurde nach hinten und vorne rangiert bis die Gegenseite passiert hatte. Wir hatten das Vergnügen am linken Fenster zu sitzen, also direkt ab Abhang, da auf einmal zu Linksverkehr gewechselt worden war. Bei Blick aus dem Fenster, meinten wir bei einer der Rückwärtsaktionen den linken Hinterreifen nicht mehr auf der Straße zu sehen. Es war einiges geboten, doch irgendwie blieben wir ruhig und begannen erst einmal gemütlich zu vespern. Der waghalsige La-Paz-Verkehr hatte uns schon abgehärtet und wir besaßen ein Urvertrauen in unser Fahrergespann. Auch das auf dieser Strecke noch Elefantenrennen und Überholmanöver gestartet wurden nahmen wir mit einem müden Lächeln hin. Wir lachten noch einige Male laut über diese seltsamen Situationen und Bolivien und beschlossen dann zu schlafen.

freitag, 10. mai
Der Himmel wechselte sein schwarzes Nachtkleid. Er schien sich jedoch nicht sicher zu sein, was er denn anziehen wollte. Zuerst legte er die Sterne ab und begann zu dunkelblau zu tendieren. Am unteren Rand spielte dies mit der Zeit ins moosgrünliche, später ins pastellgelbe, ins orange und rötliche. Wie eine zu hissende Fahne zogen sie in dieser Reihenfolge nach oben und begannen sich in der Weite zu verlieren. Durch die dunklen Schemen der tropischen Pflanzen konnte man die ersten Sonnenstrahlen erahnen. Unbeschreiblich. Eigentlich war ich totmüde aber diesen Anblick konnte ich meinen Augen nicht vorenthalten. Der Bus schaukelte behäbig über die Lehmschotterpiste, die nun völlig gerade Rurrenabaque anvisierte. Kleine Häusersiedlungen zogen zu beiden Seiten ab und an vorbei. Manche Häuser waren massiv gebaut und hatten teilweise bis zu drei Stockwerke, andere bestanden aus Holz und waren mit Palmblättern bedeckt. Hühner, Kühe, Schweine und natürlich Hunde begannen zwischen den Bananenstauden im sonst kargen Vorgarten zu erwachen. Wir hielten mehrmals an und ich dachte wir wären angekommen. Leute luden Tonnen von Dachgepäck ab, was die Fahrt weiter verzögerte, den Bus danach aber merklich schneller werden ließ. Unsere versprochene Ankunftszeit um 5 war längst vorbei gezogen. Unsere Tour sollte um neun beginnen, noch war Zeit. Die Bananenplantagen, simple Fußballfelder, einfachste Schulgelände und weitere Häuser hoppelten zwischen Grünstücken an den Fenstern vorbei. In der Ferne wuchsen grünbewachsene Bergketten in den mittlerweile hellgewordenen Himmel. Bäume, deren Blattwerk erst in der Höhe zu wachsen begann, reckten sich aus den flachen Plantagenland in die Höhe. Ich fühlte mich an eines der Tahitigemälde Paul Gaughins erinnert und verstand seine Faszination für Farbwahl.
Leute stiegen aus und zu. Am liebsten wäre ich selber gerne ausgestiegen um den Eindruck malerisch festzuhalten oder zumindest zu fotografieren. Das Wackeln und die verschmutzten Fenster machten dies aber unmöglich. Im Kopf zu speichern blieb wohl die einzige Möglichkeit. Kinder versuchten bei Halten Getränke und Früchte im Bus zu verkaufen. Die Landschaft begann sich zu ändern. Die Bäume wurden höher und wuchsen dichter. Vögel flatterten neben dem Bus und landeten auf der parallellaufenden Stromleitung. Eine solche Landschaft hatte ich noch nie gesehen und es war mehr als beeindruckend. Ob ich hier allerdings leben wollte ist eine andere Frage, alles wirkte romantisch, wohl aber nur auf kurzen Aus-dem-Fenster-Blick. Das Leben ist hier bestimmt kein Zuckerschlecken, wenn man die Kleidung der Bewohner und ihre Einnahmequelle, unprofessionelle Landwirtschaft, betrachtet. Ich dachte an eines der vielen hier rum huschenden Kinder. Wie mochte es wohl sein hier aufzuwachsen? Wohl unwahrscheinlich sich dies zu vorstellen zu können. Unweigerlich dachte ich an meine ersten Dschungelerlebnisse und dass sogleich Colonel Hathis und seine Dschungelpatrouille aus dem Unterholz brechen würden. Obwohl wir von Indien einige weitere Kilometer entfernt waren.
Die vielen Bäume hatten mich mittlerweile müde gemacht und ich begann zu dösen. Um neun waren wir noch immer unterwegs, wir wurden nervös unsere Tour zu verpassen und stopften uns zur Beruhigung den Rest des Kuchens rein. Die schwüle Wärme und das lange Sitzen waren ungemütlich geworden und tatsächlich waren wir um elf endlich am Busterminal im Zielort angelangt. Wir telefonierten mit dem Touranbieter, der uns abholte und erklärte, dass wir heute wohl nicht mehr aufbrechen könnten. Morgen wäre das kein Problem. Mit Motorrädern fuhren wir zum Büro, wo alles genauer geklärt wurde. Wir suchten ein Hostel für die kommende Nacht und wurden fündig. Großes Zimmer, Dusche, die zwar etwas gewöhnungsbedürftig war und gemütliche Betten. 2,5€ pro Nase, pro Nacht. Die Temperatur und der niedrige Druck des Tieflandes hatten uns unglaublich schläfrig gemacht. Wir ruhten uns kurz aus, da wir sowieso nichts zu tun hatten. Etwas aufgetankt begannen wir danach eine kleine Tour durch den Dschungelort. Touristenläden, Bars, Restaurants, die mit internationalen Speisen warben, bestimmten den Hauptkern des Örtchens. Wir liefen am Fluss entlang. Ein brauner Drecksfluss, der einige Kilometer später in den Amazonas münden würde. Etwas abseits vom Trubel der Hauptstraße nahm der Ort ein anderes Bild an. Dem milden Wetter geschuldete, leicht gebaute Familienhäuser, Schreinereien und sonstige Dorfgebäude wechselten die Touristenschuppen ab. Nun folgten teurere Hotelreservate mit eigenen Pools. Durch das rechteckig aufgebaute Straßensystem brausten dutzende von Motorrädern, die einen für überteuerte Preise anboten, mitzunehmen. Mit Flip-Flops, Sonnenbrille und angenehm warmen Temperaturen fühlten wir uns wie im Urlaub.
Dieser Ort war gänzlich darauf ausgelegt. Tourismus so weit das Auge reichte, was man auch an den Preisen merkte, die an einigen Orten deutlich teurer als in La Paz waren. In einer der Gassen trafen wir die anderen Touristen aus dem Bus wieder, und verabredeten uns mit den drei Mädels zum Abendessen. Wir wollten uns zuvor aber noch den Ausblick über die Stadt und das Flusstal gönnen und machten uns auf dem Weg zur Aussichtsplattform auf einem von Pflanzen überwucherten Auslegerberg. In einer Viertelstunde sei man oben, es könnte ab und an etwas steiler werden, wurde uns gesagt. Wir waren fasziniert von den einfachen Häusern, die da am Rande des Urwalds Verstecken spielten. Bunte Wäsche, spielende Kinder und gackernde Hände lugten zwischen den vereinzelten Bäumen hervor. Der Pfad durch den Urwald am Bach entlang machte Freude auf mehr. Riesige Schmetterlinge tanzten vorbei und nicht mal die Gedanken an die hinderliche Fahrt konnte unser breites Grinsen vertreiben. Viva Bolivia. Es könnte steil werden, war untertrieben. Mit Flip-Flops auf lehmigen Boden und Lianen und Wurzelen in den Händen kraxelten wir hinauf. Selbst hier in der schönen Natur auf engem Pfad, lag überall Plastikmüll. Wenigstens waren wir auf dem richtigen Weg. Ab und zu kamen uns junge Leute und Kinder entgegen, grüßten freundlich und lachten uns aus, wie wir uns nach oben kämpften.
Endlich oben. Es bot sich eine tolle Aussicht und die gedämpften Laute des Ortes, die nach oben schwebten, verschmolzen mit den Geräuschen des Urwalds zu einer Melodie der Sorglosigkeit. Wir waren im Urwald in Bolivien, der Aufstieg und die Sonne hatten uns erhitzt und wir waren unglaublich glücklich. In der Ferne erstreckte sich das Amazonasgebiet. Viele Rauchschwaden, die aus dem Gebiet aufstiegen verdarben uns die Laune. Brandrodung zur Landgewinnung für Viehzucht direkt am Fluss. Welch Traum für Ökologen. Irgendwo muss das ganze Fleisch der fleischverwöhnten Bolivianer wohl herkommen. Traurig zu sehen, wie die Einzigartigkeit und Unendlichkeit dieser Natur mit Füßen getreten wird.
Unter unseren Füßen konnte man die aus Quadraten bestehende Kleinstadt / Dorf erkennen. Rurrenabaque liegt strategisch günstig an der Schwelle zwischen bergigen Urwaldgebiet und flacher Sumpflandschaft. Der Fluss teilt sich auf Höhe der Stadt in zwei Arme auf. Früher war der Ort von Indianern aufgrund seiner Lage als Wohnort ausgesucht worden und war seit jeher Austauschort der verschieden Dschungelvölker. Mit der Anbindung an La Paz fanden Waren der Hochzone ihren Weg in den Dschungel. Im Laufe der Zeit entwickelte sich R. zum Handelsplatz für Tropenholz und Tierpelze. Jesuiten und Spanier brachten eine neue Sprache und den Katholizismus in die Zone und drängten alte Bräuche, Religionen, Sprachen und Dialekte stark zurück. Dennoch werden vereinzelt immer noch Dialekte und Sprachen gesprochen, alte Bräuche ausgeübt oder mit anderen vermischt. Dieser Stolz auf die eigene Vergangenheit nimmt gerade wieder zu. Einzelne Gruppen, die mit dem modernem Trubel nichts zu tun haben wollen, leben nach wie vor zurückgezogen in den Wäldern und pflegen ein Leben, wie noch vor hunderten von Jahren. Die ganze Kraft dieses Kulturzusammenstoßes war für mich in den Eindrücken hier auf dem Hügel über der Stadt deutlich zu spüren. Was wurde hier alles zerstört, was ging verloren, welche Schicksale spielten sich hier ab. Und nicht nur hier, in ganz Süd- und Nordamerika. Hier kann sich gerne jeder selber Gedanken machen, sofern er noch am Lesen ist.
Wieder unten suchten wir den Weg zu einem kleinen Wasserfall um uns etwas abzukühlen. Die Abendsonne und angenehme Sommernachtsbrise wurde beim schlendern durch die Gassen genossen. Überall wurde gegrüßt und sich gefreut, dass wir Spanisch sprachen. Abends wurden ein paar Bierchen gelehrt, etwas gegessen und mit anderen Touristen Erfahrungen ausgetauscht. Mit zwei Münchner Polizisten, die im Stadtviertel des anderen Freiwilligen stationiert waren, wurden witzige Geschichten über München und Eindrücke ihrer Peru-Bolivien-Reise ausgetauscht. Wie klein die Welt doch ist.
samstag, 11. mai
Endlich sollte es wirklich losgehen. Voller Vorfreude machten uns früh auf die Socken und gingen zum Frühstück zu einer uns empfohlenen Bäckerei. Ein Franzose mitten im bolivianischen Urwald. Es fühlte sich falsch an. Mancher Pariser Pattiseur wäre ob seiner leckeren Gebäckstücke neidisch gewesen, perfekt für uns Touris. Nach einigen Warteminuten im Büro ging es mit 6 Israelis gemeinsam ins Boot, welches uns zu unserem Lager im Urwald bringen sollte. Bevor es den Fluss hinauf ging, wurde noch Nationalparkeintritt gezahlt und Regeln erklärt. Endlich begann die 3einhalbstündige Fahrt. Vorbei an kleinen Siedlungen und anderen Schnellbooten, die Einheimische und Bananen geladen hatten. Vorbei an hohen baumbewachsenen Bergen und Ufern, auf denen es sich Reiher und Komorane gemütlich gemacht hatten. Diese Eindrücke sind schwer in Worte zu fassen. Der Schipper kannte seinen Fluss und ständig wurden Seiten gewechselt und Strudeln und flachen Stellen ausgewichen. Wie oft er in diesem undurchschaubaren, braunen Etwas schon aufgelaufen war, um sich gut auszukennen, traute ich mich nicht zu fragen. Man vergaß die Zeit und die Sonne machte schläfrig. Nach einiger Fahrt ließ man die Bergkette hinter sich, es wurde flacher und man konnte Bananenplantagen erkennen, die am Flussufer betrieben wurden. In der flachen Landschaft konnte man nun nur noch die Eingänge ins tiefe Grün erspähen. Endlich kamen wir an und das Boot wurde entladen. Auf einmal wurde sich bei uns zwei entschuldigt und erklärt, dass das sonst nicht ihre Art sei. Wir verstanden nicht, was falsch gelaufen war. Als wir zwei den Fluss wieder runter fuhren wurde uns erklärt, dass ein kleiner Organisationsfehler vorlag. Die andere Gruppe hatte für 4 Tage gebucht, wir jedoch nur für 3, man hatte uns aber fälschlicherweise zusammen gesteckt.
Nach 15min weiterer Fahrt durften auch wir aussteigen und wurden erstaunt von einem Guide empfangen. Wir legten an und traten samt Gepäck und Verpflegung in die Pforte zum Urwald ein. Das Camp in dem wir angekommen waren, war erst vor wenigen Tagen zu Bauen begonnen worden, weshalb es noch keine Häuser geschweige denn eine Küche gab. Als Erstes ging es ans Nachtlager bauen. Mit Macheten wurde Bäume gefällt und Lianen geschnitten, aus denen wir ein Holzgestell errichteten. Eine Plastikplane als Dach und eine als Boden rundeten die Häuslichkeit ab. Ein Mosiktonetz wurde über den Schlafplatz gehängt und fertig war die Laube. Auf einem Gaskocher wurde schnell gekocht, als plötzlich weitere Guides aus dem Dickicht auftauchten und uns verstaunt anschauten. Eigentlich sollten erst in 3 Monaten Touristen an diesen Ort geführt werden, da vorher noch Vieles vorbereitet werden musste: Behausungen, Küche, Klos, Sitzmöglichkeiten, Regenschutz und Wege durch den Wald. Wir hatten also das erwünschte Vollnaturerlebnis. Wir wurden noch kurz ausgelacht, da wir noch immer in kurzer Hose und T-Shirt dasaßen und uns über Mückenstiche wunderten. Lange Ärmel und Hosen waren, trotz schwüler Hitze echt angebracht
Nach dem Mittagessen zogen wir zu dritt im Gänsemarsch in den Wald. Eine grüne Hölle. Wir bewunderten Pflanzen, die man aus dem Wohnzimmer kennt und Bäume so hoch, dass man beim Hochschauen eine Genickstarre bekam. Es war beeindruckend. Gleich müsste man doch auf die Glaswand eines Gewächshauses stoßen, dachte sich unser europäisches Gehirn, als es immer weiter und weiter ging. Aber wir waren nicht im Botanischen Garten eines alten Kaisers sondern tatsächlich im Dschungel. Farbenfrohe Blumen gab es hier jedoch nicht zu sehen, da nur wenig Sonnenlicht direkt den Boden erreichte. Stattdessen ging es weiter durch das ewige Grüne. Das Laufen im schwülen Untergrund war anstrengend, obwohl man erstaunlich gut vorankam und die Machete unseres Guides kaum zum Einsatz kam. Der Boden war von kleinen Trieben übersäht, die gegen ihre Kontrahenten am Boden um Licht kämpften und sich in die Höhe zu katapultieren versuchten. Es ging vorbei an Baumriesen, mit nicht endenden Grundwurzeln, umgefallenen Bäumen und weiterem Grün. Man vergaß die Zeit und fiel in eine Art Trance. Das Grün beruhigte ungemein. Tierstimmen drangen durch den Urwald. Vögel und Affen gaben Freiluftkonzerte. Nur sehen konnte man sie nicht, da sie sich lieber in den Wipfeln aufhielten, die bis zu 70m über uns endeten. Stattdessen machten wir Bekanntschaft mit einigen Insekten. Auf einmal schwirrte ein schwarz glänzendes, hornissenartiges Wesen, über den Weg. Wir sollten es ja nicht berühren, da dessen Stich tödlich enden würde. Es hatte wohl einiges an Gift geladen, da es zu schwer zum Fliegen schien. Mit aller Kraft hob es immer wieder ab, nur um anschließend wieder auf den Boden zu plumpsen. Käfer und Spinnen waren gerngesehene Gäste und auch die Haut eines 2m langen Tausendfüßlers, lag abgestreift zwischen hohlen Baumstämmen. Am faszinierendsten waren jedoch die Ameisen. An die 30 Sorten verrichteten hier ihre Arbeit. Emsige Blattschneider, deren platt gelaufene Autobahnen man durch das Unterholz verfolgen konnte und zu ihrer schrebergartengroßen Hauptstadt führten. In Kammern im Boden sammeln sie die geschnittenen Blätter, um diese verrotten zu lassen und anschließend die darauf wachsenden Pilze zu ernten. Daumengroße Wegelagerer, die nur in kleinen Kolonien von 10 bis 100 ihr Unwesen trieben und andere Ameisen überfielen um diese zu verspeisen. Unauffällige Verwandlungskünstler, die sich in den Autobahnen untermogelten, um später in den Geburtskammern des anderen Stammes Eier zu plündern. Oder rote Ameisen, die mit einer Baumsorte in Symbiose leben, um nur einige zu nennen. Unser Guide erklärte uns viel über Pflanzen und Tiere und begann immer wieder Tiergeräusche nachzuahmen um doch noch ein paar größere Gesellen anzulocken. Nach 4 Stunden Wanderung ohne Tiersichtung wurde sogar er ungeduldig. Tukane kreischten über unseren Köpfen, aber sie zu sehen war zwecklos.
An einem stillstehenden Bach lockte unser Guide mit Klopfgeräuschen Kaimane und kleine Krokodile zur Schau ans Ufer. Es war dunkel geworden und mit Taschenlampen bewaffnet bahnten wir uns den Weg zurück. Die Orientierungsgabe unseres Guides im Grünen Meer war mir schon vorher ungeheuerlich, als wir sogar im Dunklen sicher den Weg zurück fanden, fehlten mir für diese Leistung die Worte. Es wurde gegessen und mit den anderen Guides geflachst, die uns munter an ihrem Leben teilhaben ließen. Eine besondere Gruppe Menschen, die den Großteil ihres Lebens hier im Dschungels verbringen und dies schon seit Jahren. Am Abend hatten sie mit einfachsten Angelschnüren drei kapitale Forellen gefangen, die wir nun frittiert zum Abendessen verspeisten. Der größte dieser Mordsfische maß mehr als einen Meter. Letztendlich hatten wir nur durch den Zufall des Organisationsfehlers das Glück, dieses unverfälschte Naturerlebnis zu erleben. Auch das ist Bolivien.
In der Nacht fand ich kaum Schlaf, da das Moskitonetz nicht für Menschen mit längeren Körpermaßen auslegt war und ich somit an allen anstoßenden Körperteilen ausgesaugt wurde. Dass der Schlafuntergrund zudem mehr als unbequem war, und noch immer eine schwüle Hitze am Urwaldboden herrschte machte das Entfliehen ins Land der Träume nicht gerade einfacher.
sonntag, 12. mai
Nach dem Frühstück brachen wir zu einer achtstündigen Wanderung auf. Die Wolken über dem Dschungel ließen das Klima um einiges angenehmer erscheinen, und das gestrige Schwitzen wurde zu keinem Zeitraum erreicht.
Unser Guide hatte gemerkt, wie meine Nase ständig lief und gab mir kurz darauf eine Pflanzenwurzel zum Einatmen. Der Geruch war lecker, jedoch so intensiv, dass sich meine Nase innerhalb weniger Sekunden vollständig entleerte und ich wieder frei atmen konnte. Diese Wurzel wurde in der traditionellen Medizin der Urwaldeinwohner genau für dieses Gesundheitsproblem eingesetzt. Im Laufe des Tages bekamen wir weitere Einblicke in die grüne Apotheke, die uns umgab und hauptsächlich aus weiteren Pflanzenbestandteilen bestand. Wir passierten Kautschukbäume, deren Narben darauf schließen ließen, dass sie noch vor einigen Jahren zur Gummigewinnung angezapft worden waren. Auch andere Narben im Urwald ließen erahnen wie noch vor Nationalpark- und Kontrollzeiten [ca. 17 Jahre], dieser gnadenlos ausgebeutet worden war und tiefer im Dschungel noch immer wird. So kamen wir zum Beispiel an mehreren abgesägten Baumstümpfen vorbei, deren Durchmesser ca. 3m betrag. 5m weiter begann der verwesende Oberteil des Baumes, welcher noch 50m weiter ins Dickicht ragte. Tropenholzräuber hatten sich nur ein 3langes Stück dieser Mahagonibäume herausgeschnitten und den Rest den holzfressenden Insekten überlassen. Welche Verschwendung eines fast Jahrtausende alten Baumes, der Lebensgrundlage für hunderte von Tieren war. In ihrer Eile hatten die Räuber ein bereits zu Recht gesägtes Brett auf dem Boden hinterlassen, welches dort nun vor sich hin verrottete.
Unser Guide erzählte uns auch, dass Wilderei hier noch immer betrieben werde, wie schwierig es allerdings sei, dies in diesem riesigen Gebiet zu stoppen. Die Wilderer kennen sich bestens aus, sind deshalb kaum aufzufinden und wissen Routen, die nicht überwacht werden können. Dennoch hat die Errichtung des Nationalparks viel zum Schutz dieses Heiligtums beigetragen und auch Jaguare oder andere Großtiere werden wieder häufiger gesichtet. Wir waren wieder auf der Pirsch und hatten mittlerweile einige Affen und Vögel besichtigen und hören können.
Plötzlich tat sich eine Lichtung auf und ein Paradies für Schweine öffnete vor unseren Augen seine Pforten. Kein Zooplaner hätte dieses fußballfeldgroße Schlammloch mit umgefallenen Baumstümpfen, früchtetragenden Palmen und Versteckmöglichkeiten besser planen können. Ein Wunder der Natur. Leider waren zurzeit keine Schweine anwesend, was aber auch unser Glück war. Nur so hatten wir die Möglichkeit, welche der am Boden liegenden Früchte zu probieren, die erst vor wenigen Minuten heruntergefallen waren und noch nicht von Schweinen verzehrt worden waren.
Es ging weiter durchs unendliche Grüne und das beruhigende Umfeld hatte uns wieder in einen Trancezustand gebracht, der uns immer weiter laufen ließ. Noch immer bestaunten wir all die Pflanzen und Tiergeräusche, die uns umgaben. Und blödelten bei seltsamen Pflanzenformen oder Tiergeräuschen ein wenig herum. Z.B. erinnerte das Pfeifen eines Vogels an das männliche Pfeifen in der Fußgängerzone, welches vorbeilaufenden Damen gespendet wird. Tiere hatten wir wohl verhältnismäßig wenig direkt sehen können, da auch unser Guide nach 6 Stunden wandern schon ungeduldig geworden war.
Auf einmal hörten wir lautes Rascheln und eine Gruppe Nasenbären watschelte wenige Meter entfernt von Ast zu Ast. Sofort waren wir im Jägermodus und pirschten uns langsam heran. Adrenalin und ein breites Grinsen machten sich breit. Unsere ersten Tiere, so gut sichtbar und so viele.
Zufrieden machten wir uns auf dem Rückweg. Am Fluss der Kaimane entdeckten wir ein herrenloses Boot. Wie es dort hingekommen war, konnte uns auch unser Guide nicht erklären, möglicherweise wurde es einst von Wilderern benutzt. Mit Stöcken und einem Paddel bewegten wir uns auf dem Urwaldfluss entlang. Die Ansicht war atemberaubend und ich kam mir wie der Kameramann einer Urwalddoku vor. Da entdeckten wir am Ufer Urhühner, die uns mit lauten Kreischen willkommen hießen. Wir sahen soeben die älteste noch lebende Vogelart der Welt, einem direkten Nachkommen des Archaeopteryx.
Ich fühlte mich in eine andere Zeit versetzt, so urtümlich kam mir die Umgebung vor. Wasserpflanzen, große Seerosen, umgekippte Baumstämme, Libellen, Kaimane unter dem Boot und diese fast flugunfähigen Vögel, deren Kraft nur ausreicht um 20m unter großen Höhenverlust durch die Luft zu segelflattern.
Wir stellten das Boot wieder an seine Stelle, obwohl ich dem Flusslauf noch Stunden hätte folgen können. Auf dem Rückweg sprang eine Affenbande über unseren Köpfen von Baum zu Baum.
Nach 8 Stunden waren wir zurück im Camp, wo wir uns mit Mittagessen, der mittlerweile eingetroffenen Köchin stärkten. Zur Erfrischung gingen wir anschließend an den Fluss, wo wir uns in der Strömung treiben ließen, den Fluss schwimmend überquerten und anschließend die zum Nachtquartier aufstobenden Papageienscharen am Abendhimmel beobachteten. Wie im Traum. Die Mücken und das Abendessen zwangen uns zurück zum Lager. Wieder wurde kräftig gespeist und uns anschließend erklärt, dass sie noch nie Touristen gesehen hätten, die im Fluss schwimmen waren. Witzige Anekdoten über dumme Touris wurden beim Schein einer Kerze zum Besten gegeben, begleitet vom klatschenden Geräusch auf die Beine, das beim Moskitovertreiben erzeugt wurde. Gegen Acht ging es zum Schlafen, da wir am nächsten Morgen früh aufbrechen würden. Doch auch heute war mir das Schlafen nicht vergönnt. Erst verarbeitete ich die Eindrucksflut in meinem Kopf und begann dann zu dösen, bis ich auf einmal dringend aufs Klo musste. Die Entscheidung bei Nacht fünfhundert Meter in den Urwald zu laufen um mit meiner Notdurft keine Tiere ans Camp zu locken viel mir nicht leicht, war aber unumgänglich. Die wohl seltsamste Begebenheit an der ich jemals sch***** war. Affen waren auf mich aufmerksam geworden und machten über mir Geräusche. Ein Foto schossen sie zum Glück nicht, zumindest bemerkte ich kein Blitzlicht. Dieser nächtliche Adrenalinschiss – ähh -schuss, hatte mich wieder wachgerüttelt und bis um halb vier fand ich keinen Schlaf.   
montag, 13. mai
Ohne Frühstück ging es um fünf Uhr los. Nur die über den Boden und Bäume huschenden Lichtkegel der Taschenlampen spendeten Licht. Einige Male blieb ich in Spinnweben hängen, die ich nicht kommen sah. Unser Schleichen durch den Untergrund wurde vom Rufen der ersten Vögel und Affen begleitet, die auch so langsam erwachten. Ab und an hörte man es in der Nähe knistern und knacken. Es wurde heller und man konnte zumindest die Schatten der Bäume wieder erkennen.
Unser Guide hatte das Geräusch einer Schweineherde ausgemacht und wir näherten uns leise ihrem Aufenthaltsort, dem Schweinehimmel von gestern. Ich hatte nicht gemerkt, dass wir uns überhaupt hier in der Gegend befanden. Nun hieß es leise zu sein und die Herde von 50 Tieren nicht zu erschrecken. Angespannt tippelten wir nach vorne, auch das Grunzen wurde lauter. Irgendwie hatten sie uns dann doch bemerkt, es wurde gequietscht und gekeift und sie stoben aufgeregt davon, zurück ins Unterholz. Vielleicht hatten uns unsere grummelnden Mägen verraten. Es war neun und wir hatten noch nicht gefrühstückt. Eine Grapefruit sollte genügen.
Nach einer Weile im Grünen befanden wir uns in einer Senke, in der der Untergrund auf einmal aus Sand bestand. Seltsam, wie viele unterschiedliche Kleinlebensräume sich hier auftaten. Im Sand entdeckten wir Spuren kleiner Wildkatzen und schließlich die eines Jaguars, dem König des hiesigen Dschungels. Sie schien frisch zu sein und wir folgten ihr. Vorher hatten wir schon teilweise die Konzentration verloren nun war der Jägertrieb geweckt. Wir entdeckten seinen Kot, der nicht älter als 4 Stunden war und Schweineborsten enthielt. Wir folgten seiner Spur im weichen Untergrund, an einer Stelle hatte er sich im Sand gewälzt. Es war mehr als aufregend und entschädigte für alle Stunden, die wir durchs Gehölz getrottet waren. Wir ließen von der Fährte ab und gingen zurück.
Heute hatten wir mehr Glück mit Tieren. Unser Guide konnte jeden Ruf zuordnen und während wir noch nach der Himmelsrichtung suchten, hatte er das Tier schon geortet. Zwar war es schwierig die Tiere fotographisch festzuhalten, da sie sich gut zu verstecken wussten, aber wenigstens konnten wir sie sehen. Nach einigen erfolglosen Versuchen machten wir ein Araquartett ausfindig, welches ich sogar schaffte zu fotografieren.
Zufrieden mit der heutigen Ausbeute machten wir uns zurück auf den Weg zum Camp, während wir wohl einige Umwege liefen. Endlich gab es Frühstück: Fischkopfsuppe mit Brot und frittierten Kochbananen. Genau den Fischköpfen, die seit vorgestern von Fliegen und anderem Insekt befallen auf dem Tisch standen. Es kostete uns ein wenig Überwindung das Fischfleisch vom Kopf zu nagen. Hauptsache es stärkt mich dachte ich mir…
Anschließend mussten wir schon zusammen packen, bevor es nochmals in den Dschungel ging. Unseren Guide hatte wohl die Abenteuerlust gepackt. Ohne jeglichen Pfad schlugen wir uns durchs Gebüsch, krabbelten durch Dornenhecken oder sumpfigen Morast. Weitere Vögel krakelten über uns und auf einmal stoppte unser Guide. Jetzt konnten auch wir es hören, eine Schweineherde näherte sich. Wir duckten uns ins Dickicht. Im Entengang pirschten wir uns voran. Da kamen sie. Nun bekam ich meine Dschungelpatrouille doch noch zu Gesicht. Zwar waren es keine Elefanten, die in ca. 4m Entfernung Rüssel an Schwanz ihren grunzenden Marsch vorführten, dafür an die 130 Wildschweine. Wir waren begeistert und als der Trott vorbei gezogen war, machten wir uns auf den Rückweg. Natürlich wurde wieder gekrochen, durch kniehohe Pflanzen gesteppt und über Flüsse gefallene Baumstämme als Brücken verwendet. Wie man jetzt noch die Orientierung behalten konnte war mir schleierhaft, unser Guide war sch auch nicht mehr 100%ig sicher, zumindest kamen wir an einigen Stellen häufiger vorbei. Wir hatten mittlerweile genug grün gesehen und wollten nur noch zurück zum Camp und mit dem Boot Richtung Rurre. Dieser mangelnden Konzentration war es wohl auch geschuldet, dass es noch einmal brenzlig wurde. Mit der Machete war ein Weg zu zwei über ein Gewässer führenden Baumstämmen geschlagen worden. Wir balancierten auf die andere Seite. Plötzlich gab einer der beiden Baumstämme nach. 5 Sekunden vorher war ich noch auf diesem gestanden und landete glücklicherweise nicht im Wasser. Mein Freund jedoch schon. Mit pitschnassen Füßen hieften wir ihn wieder heraus. Unser Guide lachte nur und meinte, welch Glück, dass die Kaimane nicht schnell genug angekommen waren. Nun hatten wir, vor allem mein Kumpel genug vom Urwald. Und bald erreichten wir zur letzten Stärkung das Camp.
Nach dem heutigen Schwitzen, Strapazen, und dauerhaften Grün kam uns eine kühle, dunkle Limonade einer weltberühmten Limonadenfabrik wie ein Geschenk des Himmels vor. Wir beluden das Boot und dann ging es flussabwärts in Richtung Zivilisation. Eine Seefahrt, die ist lustig. Eine Seefahrt, die ist schön, denn da kann man in 3 Stunden viele tolle Sachen sehen…
Wieder im Ort unterhielten wir uns freundlich mit unserem Veranstalterbüro, die sich freuten, dass Touristen mit ihnen Spanisch redeten. Daraufhin boten sie uns eine Dusche in ihrem Privatbad an, die wir dankend annahmen. Wir begaben uns auf den Markt um Proviant für die Fahrt zu kaufen, von der wir wussten, dass man nie weis, wie lange diese geht. Und wir sollten Recht behalten.
Unser für 1900 gemeldeter Bus würde erst um 2300 ankommen, was unsere Dschungelfreude kein bisschen trüben konnte. Dass dies die Ausnahme war, konnten wir an den Gesichtern der anderen Touris ausmachen. Allen voran eine schwäbische Lehrerin, die mit ihrem nervigen Organ ein Maulen an den Tag legte, dass wir beide ihr liebend gerne eine reinge…- Gute-Nacht-Geschichte erzählt hätten. Außerdem lernten wir an ihrem Beispiel, das es nicht unmöglich ist ein schwäbisches Spanisch bzw. Englisch zu reden. Wie man einen solchen Akzent in eine Fremdsprache einbauen kann, ist mir schleierhaft und für mich eine absolute Meisterleistung. Nunja, wir waren also nicht allein.
Wir gingen gemütlich essen und als um elf noch immer kein Bus in Sicht war, vertrieben wir uns die Wartezeit mit den Südamerikatouris. Der tagelang fehlende Schlaf machte sich bei mir breit und so schlief ich auf einer handgeschnitzten Holzbank ein und wurde erst wach, als unser Bus um 2:30 zu röhren begann. Nichts wie rein und weiterschlafen.
dienstag, 14. mai
Auf einer holprigen Bergstraße wachte ich kurz auf, die Sonne ging gerade auf und zwischen den vorbeirauschenden Wipfeln konnte man in die nebelbesetzten Täler spähen. Ein beeindruckender Anblick, der leider unmöglich fotographisch festhaltbar war. Ich nickte wieder ein und wachte kurz auf, als tumultartiger Lärm der bolivianischen Reisegäste entbrannte. „Wir sind viel zu spät, wieso will jemand aussteigen und Essen kaufen?“ Bolivianische Gelassenheit konnte man in diesen Zeilen nicht erkennen, die sich vor allem gegen ein paar Gringos richteten, die auf Wegzehrung verzichtet und nun verständlicherweise Hunger hatten. Zum Glück war ich müde und schlief trotz aller Unverschämtheiten wieder ein. Ein Stunde später sollte ich wieder erwachen.
Wir standen. In acht Stunden ginge es weiter. Wir waren an einem Bloqueo angelangt. Auch das noch. Mitten in der Pampa sollten wir nun warten bis es weiter ging. Zum Glück hatten wir bei Essen und Trinken vorgesorgt und gönnten uns ein Frühstück. Die Anderen waren auf einen kleinen Laden am Straßenrand angewiesen, der mit dem Notstand das Geschäft seines Lebens machte, auch mit Hilfe von stark angezogenen Preisen. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Nicht beim Lesen, nicht beim Schwimmen an einem nahe gelegenen Fluss, nicht beim Sonnenbaden, nicht beim Versuch zu Schlafen, nicht beim Reden mit den anderen Touris. Diese Trennung von Bolivianern und Ausländern kam mir doch sehr sonderbar vor, da ich bis jetzt immer freundlich aufgenommen worden war. Uns beiden wurde deutlich, welch Glück es doch war, eine längere Zeit in diesem Land verbringen zu dürfen und nicht nur einseitige Touristenerfahrungen machen zu können. Auch der Kontakt mit Bolivianern begrenzte sich bei unseren Mitreisenden aufs Mindeste. Wir waren uns einig diese Art von Sightseeingtourismus war nichts für uns. Danke weltwärts.
Den ganzen Tag war es erdrückend heiß und die Mücken um einiges aggressiver als ihre Kumpels aus dem Urwald. Eine Woche später waren die roten Punkte der Stiche noch immer nicht verschwunden und ließen mich an meinen komischen Ausschlag vor einigen Wochen erinnern. Die Stiche juckten ungemein, was im Urwald überhaupt nicht der Fall gewesen war.

Irgendwann ging es tatsächlich weiter, zu einer Zeit, zu der wir planmäßig schon seit Längeren zuhause gewesen wären. Schöne Landschaft zog vorbei aber das interessierte mich nicht. Meine Übermüdung und die schallende Nervmusik aus dem Lautsprecher über uns ließen mich fast ausrasten. Meine Musikspieler hatte die passende Antwort und obwohl ich ihn nicht mitnehmen wollte, wusste ich jetzt warum ich ihn dabei hatte. Gewohnte Klänge, ein offenes Fenster, durch das die milde, nach Sommer duftende Luft wehte, beruhigte mich und brachte mich zum Schlafen. Als ein kleiner Abendessenstop gemacht wurde, stieg allen Aussteigenden vor allem den Gringos eine Hasswelle entgegen, die ich hier so noch nie erlebt habe. Kopfschüttelend schlief ich wieder ein, ich war wohl schon gelassener als so mancher Bolivianer geworden…

Montag, 20. Mai 2013

14. woche


mittwoch, 1. mai

Der Tag der Arbeit spendiert auch hier einen freien Tag. In meinem Fall klingt das eher ironisch, denn viel zu Arbeiten hatte ich bis jetzt bekanntermaßen nicht. Die Familie wollte den zusätzlichen freien Tag für gemeinsame Aktivitäten nutzen und gemütlich mit dem Frühstück beginnen. So wartete ich, bis gegen zehn ein Signal kam. Gleich geht’s los. 2 Stunden später, war jedoch immer noch niemand in der Küche anzutreffen. Es folgte die Bekanntgabe, dass wir jetzt gemeinsam Mittagessen würden. Eine weitere halbe Stunde später ging es tatsächlich los. Während der Fahrt wurden noch einmal Witze aufgewärmt und Äußerungen getätigt, bei denen ich am liebsten ausgestiegen wäre. Tat ich aber nicht, denn ich hatte Hunger. Es wurde Fisch gegessen, der hier egal welcher Sorte frittiert wird. Deshalb ist es theoretisch egal, für welchen man sich entscheidet, da alle nahezu gleich schmecken. Als Nachtisch gab es eine kalte Fischsuppe, die einen Platz in meinem bolivianischen Kochbuch verdient hat. Mit vollem Bauch ging es zum Fußballgucken mit anderen Freiwilligen in eine Bar. Anschließend wollten wir im Kino oder beim Billiard den Tag gemütlich ausklingen lassen. Wir hatten die Rechnung aber ohne die anderen Einwohner La Paz gemacht, die gänzlich ähnliche Pläne hatten. Es schien als seien alle Familien zum fröhlichen 40min-Schlange stehen in die Vergnügungszentren gekommen. Es war die Hölle los. Nach einer Reise durch die Stadt stellten wir fest, dass es überall ähnlich aussah, oder die Läden geschlossen hatten. Wir sahen unsere Niederlage ein und gönnten uns Kaffe und Kuchen, bevor es wieder nachhause ging. Meine Familie hatte wohl doch keine Lust auf gemeinsame Aktivitäten gehabt, und so fand ich sie als ich wieder zuhause war, gemütlich in ihren Betten liegen.

donnerstag, 2. mai

In der Arbeit stand heute zur Abwechslung gemeinschaftliches vor den Bildschirmsitzen auf dem Plan. Nachmittags traf ich mich mit 2 Bolivianerinnen, die ich bei einer Fiesta kennen gelernt hatte. Wir verstanden uns sehr gut, redeten, alberten rum, und wichen dem Hagelgewitter aus, welches plötzlich eingesetzt hatte. Möglicherweise hatte ich gerade den gesamten Nachmittag mit meinen ersten selbst entdeckten bolivianischen Freunden verbracht.

freitag, 3. mai

Seltsamerweise hatten sich meine Kollegen vorgenommen, den heutigen Tag mit allgemeinen Bürostuhlwärmen zu verbringen. So langsam wird mir diese Flexibilität und Rotation des Arbeitsalltags im Zusammenhang mit der irrsinnigen Kreativität der Arbeitszeitgestaltung zu viel. Ich hoffe es dauert nicht mehr all zu lang, bis ich endlich das Zeichen für einen Wechsel erhalte. Teilweise nehme ich die aus der Langeweile resultierende Schläfrigkeit bis weit in den Nachmittag mit, indem ich kaum Motivation verspüre etwas zu unternehmen. Das meine Fußballmannschaft, es nicht einmal mehr auf die Reihe bekommt einen Platz zu reservieren, verstärkt mein körperliches Unbehagen zudem. Um acht Uhr abends kam tatsächlich noch eine Einladung, zum heute um zehn stattfindenden Fußballspiel. Endlich, das Spiel machte zwar wenig Spaß aber wir gewannen. Nach meiner Sperre hielt ich mich heute zurück und beging nicht ein einziges Foul. Nach Spielende wollten wir noch gemeinsam etwas trinken gehen, doch auf dem Weg dorthin, verabschiedeten sich immer mehr, bis nur noch vier übrig blieben. Einer ging kurz zum Bierchen kaufen. Nach einer Stunde war er noch nicht zurück. Endlich kam er wieder, allerdings ohne Trinkbaren. Er hatte eine Freundin getroffen, da kann man seine Kollegen ohne ein Zeichen auch einmal gerne länger warten lassen. Aus dem Trinken wurde dann doch nichts mehr und wir waren umsonst ins Zentrum gefahren.

samstag, 4. mai

Das Olympiabad hatte diese Woche eröffnet. Mit der anderen Freiwilligen machte ich mich auf den Weg, das riesige, neue Hallenbad einzuweihen. Endlich angekommen merkten wir, dass einweihen schwierig werden würde. Mit großen Getöse hatte diese Woche die Einweihungsfeier stattgefunden, aber anscheinend nur der Umkleidekabinen. Noch am Tor wurde uns mitgeteilt, dass es wohl noch 2 Monate oder länger daueren würde, bis man tatsächlich schwimmen gehen könnte. Was noch fehlte, wollte man uns nicht erzählen. Möglicherweise hatte man vergessen Wasserleitungen zu den Becken zu legen, dachten wir uns. Statt uns sportlich zu betätigen, gingen wir Frühstücken.
Zum Mittagessen war meine Gastoma anwesend, die erneut unterhaltsame Geschichten zum Besten gab. Das Spannendste ist zu erraten, welcher Teil der Wahrheit entspricht. Heute plauderte sie mit mir über das Familienleben. Wir saßen in meinem Zimmer und die Türe war weit geöffnet. Nebenan saß meine Gastschwester ab Computer, was Abuelita aber nicht davon abhielt mehrmals lauthals zu erklären, dass eben diese Gastschwester zu korpulent – nein, zu fett sei. Dann verriet sie mir, dass sie ihren Bruder hasse, der in Amerika wohnt. Er sende ihr nie Geld zum Geburtstag, lediglich Glückwunschkarten, mit denen man ja weis Gott nichts anfangen könne. Auch wenn er mal zu Besuch sei, ließe er sie nie an seinem Reichtum teilhaben. Er sei für sie schon seit Jahren gestorben. Ich musste mehr als stutzen, aber ich verstand, woher meine Gastmutter einige ihrer Denkweisen erhalten hatte, welche sie auch an ihre Kinder weitergibt.
Gegen Teilen des Reichtums kann ich nichts einwenden. Wenn dieses Teilen jedoch nur Mittel ist, anderen Reichen eine kleine Freunde zu machen, oder ihnen zu zeigen, wie viel man selber besitzt, kann ich dieses Teilen nicht als ehrenhafte Geste oder als Nächstenliebe verstehen. Vor sozialen Problemen werden die Augen geschlossen und bei Angestellten beschwert man sich über zu hohe Gehälter und behandelt sie wie eine andere Sorte Menschen.
Natürlich hängt dies mit dem klaren Aufstiegsgedanken meiner Familie zusammen, der hier für jedoch keine Entschuldigung ist. Bis vor wenigen Jahren hatten indigen aussehende Familien, wie es meine ist, weniger Rechte und höhere Hürden Bildung und somit höhere Ämter zu erhalten. Nun ist dies jedoch möglich und einige versuchen mit aller Macht in diese neuen Kreise vorzustoßen. In den Köpfen ist die andere Hautfarbe und Sprache jedoch noch immer mit Ungebildetsein, Armut und etwas Niederem verbunden. Diesem versucht man zu entfliehen. Am Beispiel meiner Familie ist gut zu erkennen. Die Kinder gehen in einen Kindergarten in einem nobleren Viertel, später auf eine Privatschule, von der gerne erzählt wird, welche Töchter und Söhne einflussreicher Personen in derselben Lehranstalt die Bänke drücken. Mit dem nötigen Kleingeld folgte vor einem Jahr der Umzug in eines der besten Viertel La Pazs. Und auch sonst wird vor allem auf Außenwirkung und Präsentation Wert gelegt. So kommt es mir zumindest vor. Denn Freundschaften zu reichen Eltern der Schule gibt es keine merklichen. Auch „weiße“ Freunde, deren Vorbild man irgendwie nacheifert, habe ich noch nicht im Haus gesehen. Ich finde es schade, dass man sich teilweise verstellen muss und trotz der ganzen Mühe, strahlende Fröhlich- und Glücklichkeit nicht zu erkennen ist. Alles geht seinen Gang aber nach wahrer Freude und Spaß am Leben muss man in den Ecken des leblosen Riesendomizils doch lange suchen. Dennoch tue ich mir schwer Mitleid zu empfinden und kann es ehrlich gesagt nicht. Meiner Meinung nach hat man meistens eine Wahl.
So fühle ich es zumindest momentan, aber natürlich ist dies wohl eine sehr allgemeine Analyse, die auf weiteren Gründen ruht, oder von jemand anderem anders wahrgenommen werden kann. Auch die Stimmung und Gemüter wandeln häufiger, weswegen diese Aussagen  wohl eher auf eine Momentaufnahme zutreffen.
Jedoch möchte ich noch einmal klar stellen, dass ich nicht unglücklich bin. Manchmal nerven gewisse Aktionen, während in anderen Momenten auch wieder Herzlichkeit aufblüht. Es ist wohl die Summe die alles etwas vertrübt.

sonntag, 5. mai

Ohne Frühstück ging es wie so oft direkt zum Mittagessen über. In diesem Haus wird eben einfach gerne geschlafen und nicht so gerne gefrühstückt.
Anschließend brach ich auf um mich mal wieder um die Terrasse des anderen Freiwilligen zu kümmern. Ich half erst beim Kochen und unterhielt mich dabei ausgiebig mit dessen Gastschwester, die meine Sichtweisen über Aufstiegsgedanken bestätigte. Immer wieder erstaunlich, wie Realität wahrgenommen werden kann. Man vergleiche die Perspektiven der beiden Gastfamilien.
Nach gemeinsamen Mittagessen, fuhren wir zu Feria in El Alto. Einem riesigen Wochenmarkt, der donnerstags und sonntags stattfindet. Auf der Fläche einer Kleinstadt, kann alles erworben werden, von Schnürsenkeln bis Pinguinen. Man muss nur wissen, wo sich was finden lässt. Selbst das ist jedoch keine Garantie, denn zwischen all den Ständen, Textilwühltischen, Essenständen und sonstigen Angeboten ist es schwer die Orientierung zu behalten. Alles wirkt wie ein riesiger Flohmarkt auf dem es alles zu geben scheint, sich dann aber nicht finden lässt.
Chinesische Produktfälschungen, Autos, Klamotten, neue oder solche, die aussehen als hätte jemand eine Altkleidersammlung geplündert und sie auf seinen Wühltisch geworfen, gestohlene Waren, die nun um ein vielfaches billiger sind als der Originalpreis. Schlichtweg alles. Diese Fülle erschlägt einen und es macht keinen Spaß ernsthaft nach Brauchbaren Ausschau zu halten. Wir erwarben letztendlich ein paar Pflanzen und hätten für 10cent fast ein Katzenbaby mitgenommen, welches später einmal die lästigen Tauben von der Terrasse fernhalten soll. So grausam waren wir natürlich nicht. Ein kleiner Touristentipp am Rande: wer sich gerne niedliche Katzen-, Hasen-, Hundebabies anschauen möchte, für den ist ein Abstecher in die Tiergasse genau das Richtige. Wer jedoch Tieraktivist ist, dem rate ich von diesem Ort der Käfige und Jungtierschaustelle ab.
Im Anschluss fuhr ich direkt nachhause, wo beim Abendessen noch geplaudert wurde und die Verwunderung groß war, als ich erzählte wie häufig mir schon Drogen angeboten wurden. Was hier in La Paz? Wo denn? Sogar in der Zona Sur? Furchtbar. Die andere Gastfamilie hatte uns sogar schon gewarnt, dass dies passieren würde. Der Blick der Realität zeigt einem wohl häufig nur, was man sehen möchte.

montag, 6. mai

Klassischer Montag. Einsammeln. Längeres Gespräch mit der Organisatorin mit Fruchtsaft und Gebäck. Telefonieren. Mittagessen. Heute gab es Herz. Recht lecker verwunderlicherweise. Zweieinhalb Stunden Kung-fu. Kaum Transportmöglichkeiten um wieder nachhause zu kommen. Erschöpft ins Bett gehen.

dienstag, 7.mai

Vormittags gab es außer Kurzsichttraining keine Aktivitäten im Büro. Nachmittags fuhren wir zum Einsammeln von PET-Flaschen und anderen Plastikmaterial zum Frauengefängnis. Die Einlasskontrollen waren mehr als lässig und auch den eingesperrten Damen ging es gut zu gehen. Bei Sonnenschein saß man draußen, schnackte und strickte und beobachtete heimlich wie wir die Sammelbehälter leerten und in große Säcke umluden. Mir kam es vor wie auf einem Dorfplatz, an dem man sich zum trauten Beisammensein und Austausch trifft. Im Brunnen wurde Geschirr gewaschen, an Leinen hing Wäsche zum trocknen. Dreckige Tauben flatterten hier und dort zwischen Röcken und Jeans umher und suchten nach Abfällen. Beklemmend kam es mir zu keinen Zeitpunkt vor, was auch daran liegen kann, dass ich mich mittlerweile an Mauern gewöhnt habe, die jedes Gebäude umgeben. Wenn diese auch ein wenig höher war, aber einem ernsthaften Fluchtversuch wohl keine Gegenwehr bieten würde.
Zu meiner Beruhigung gab es noch einen weniger freizügigen Trakt für Frauen mit geritzterem Kerbholz, den man mir aber nicht präsentieren wollte. Wie es in einem deutschen Gefängnis aussehe, konnte ich leider nicht sagen. Ich stelle es mir jedoch geordneter und strenger bewacht vor. Vier dösende Polizisten am Eingang kannte ich bis jetzt eher aus einem Western.
Anschließend fuhr ich in die Stadt um mit AFS wegen meinem Projekt, meinem Pass, und einer bevorstehenden Reise zu reden. Am Wochenende sollte es in den Urwald gehen.
Leider war alles wenig aufschlussreich und so fuhr ich wieder nachhause.
Eine Alltagswoche war vorbei gezogen.