mittwoch, 1. mai
Der Tag der Arbeit spendiert auch hier einen freien Tag. In
meinem Fall klingt das eher ironisch, denn viel zu Arbeiten hatte ich bis jetzt
bekanntermaßen nicht. Die Familie wollte den zusätzlichen freien Tag für
gemeinsame Aktivitäten nutzen und gemütlich mit dem Frühstück beginnen. So
wartete ich, bis gegen zehn ein Signal kam. Gleich geht’s los. 2 Stunden
später, war jedoch immer noch niemand in der Küche anzutreffen. Es folgte die
Bekanntgabe, dass wir jetzt gemeinsam Mittagessen würden. Eine weitere halbe
Stunde später ging es tatsächlich los. Während der Fahrt wurden noch einmal
Witze aufgewärmt und Äußerungen getätigt, bei denen ich am liebsten
ausgestiegen wäre. Tat ich aber nicht, denn ich hatte Hunger. Es wurde Fisch gegessen,
der hier egal welcher Sorte frittiert wird. Deshalb ist es theoretisch egal,
für welchen man sich entscheidet, da alle nahezu gleich schmecken. Als
Nachtisch gab es eine kalte Fischsuppe, die einen Platz in meinem
bolivianischen Kochbuch verdient hat. Mit vollem Bauch ging es zum
Fußballgucken mit anderen Freiwilligen in eine Bar. Anschließend wollten wir im
Kino oder beim Billiard den Tag gemütlich ausklingen lassen. Wir hatten die
Rechnung aber ohne die anderen Einwohner La Paz gemacht, die gänzlich ähnliche
Pläne hatten. Es schien als seien alle Familien zum fröhlichen 40min-Schlange
stehen in die Vergnügungszentren gekommen. Es war die Hölle los. Nach einer
Reise durch die Stadt stellten wir fest, dass es überall ähnlich aussah, oder
die Läden geschlossen hatten. Wir sahen unsere Niederlage ein und gönnten uns
Kaffe und Kuchen, bevor es wieder nachhause ging. Meine Familie hatte wohl doch
keine Lust auf gemeinsame Aktivitäten gehabt, und so fand ich sie als ich
wieder zuhause war, gemütlich in ihren Betten liegen.
donnerstag, 2. mai
In der Arbeit stand heute zur Abwechslung gemeinschaftliches
vor den Bildschirmsitzen auf dem Plan. Nachmittags traf ich mich mit 2
Bolivianerinnen, die ich bei einer Fiesta kennen gelernt hatte. Wir verstanden
uns sehr gut, redeten, alberten rum, und wichen dem Hagelgewitter aus, welches
plötzlich eingesetzt hatte. Möglicherweise hatte ich gerade den gesamten
Nachmittag mit meinen ersten selbst entdeckten bolivianischen Freunden
verbracht.
freitag, 3. mai
Seltsamerweise hatten sich meine Kollegen vorgenommen, den
heutigen Tag mit allgemeinen Bürostuhlwärmen zu verbringen. So langsam wird mir
diese Flexibilität und Rotation des Arbeitsalltags im Zusammenhang mit der
irrsinnigen Kreativität der Arbeitszeitgestaltung zu viel. Ich hoffe es dauert
nicht mehr all zu lang, bis ich endlich das Zeichen für einen Wechsel erhalte.
Teilweise nehme ich die aus der Langeweile resultierende Schläfrigkeit bis weit
in den Nachmittag mit, indem ich kaum Motivation verspüre etwas zu unternehmen.
Das meine Fußballmannschaft, es nicht einmal mehr auf die Reihe bekommt einen
Platz zu reservieren, verstärkt mein körperliches Unbehagen zudem. Um acht Uhr
abends kam tatsächlich noch eine Einladung, zum heute um zehn stattfindenden
Fußballspiel. Endlich, das Spiel machte zwar wenig Spaß aber wir gewannen. Nach
meiner Sperre hielt ich mich heute zurück und beging nicht ein einziges Foul.
Nach Spielende wollten wir noch gemeinsam etwas trinken gehen, doch auf dem Weg
dorthin, verabschiedeten sich immer mehr, bis nur noch vier übrig blieben.
Einer ging kurz zum Bierchen kaufen. Nach einer Stunde war er noch nicht
zurück. Endlich kam er wieder, allerdings ohne Trinkbaren. Er hatte eine
Freundin getroffen, da kann man seine Kollegen ohne ein Zeichen auch einmal
gerne länger warten lassen. Aus dem Trinken wurde dann doch nichts mehr und wir
waren umsonst ins Zentrum gefahren.
samstag, 4. mai
Das Olympiabad hatte diese Woche eröffnet. Mit der anderen
Freiwilligen machte ich mich auf den Weg, das riesige, neue Hallenbad
einzuweihen. Endlich angekommen merkten wir, dass einweihen schwierig werden
würde. Mit großen Getöse hatte diese Woche die Einweihungsfeier stattgefunden,
aber anscheinend nur der Umkleidekabinen. Noch am Tor wurde uns mitgeteilt,
dass es wohl noch 2 Monate oder länger daueren würde, bis man tatsächlich
schwimmen gehen könnte. Was noch fehlte, wollte man uns nicht erzählen.
Möglicherweise hatte man vergessen Wasserleitungen zu den Becken zu legen,
dachten wir uns. Statt uns sportlich zu betätigen, gingen wir Frühstücken.
Zum Mittagessen war meine Gastoma anwesend, die erneut
unterhaltsame Geschichten zum Besten gab. Das Spannendste ist zu erraten,
welcher Teil der Wahrheit entspricht. Heute plauderte sie mit mir über das
Familienleben. Wir saßen in meinem Zimmer und die Türe war weit geöffnet.
Nebenan saß meine Gastschwester ab Computer, was Abuelita aber nicht davon
abhielt mehrmals lauthals zu erklären, dass eben diese Gastschwester zu
korpulent – nein, zu fett sei. Dann verriet sie mir, dass sie ihren Bruder
hasse, der in Amerika wohnt. Er sende ihr nie Geld zum Geburtstag, lediglich
Glückwunschkarten, mit denen man ja weis Gott nichts anfangen könne. Auch wenn
er mal zu Besuch sei, ließe er sie nie an seinem Reichtum teilhaben. Er sei für
sie schon seit Jahren gestorben. Ich musste mehr als stutzen, aber ich
verstand, woher meine Gastmutter einige ihrer Denkweisen erhalten hatte, welche
sie auch an ihre Kinder weitergibt.
Gegen Teilen des Reichtums kann ich nichts einwenden. Wenn
dieses Teilen jedoch nur Mittel ist, anderen Reichen eine kleine Freunde zu
machen, oder ihnen zu zeigen, wie viel man selber besitzt, kann ich dieses
Teilen nicht als ehrenhafte Geste oder als Nächstenliebe verstehen. Vor
sozialen Problemen werden die Augen geschlossen und bei Angestellten beschwert
man sich über zu hohe Gehälter und behandelt sie wie eine andere Sorte
Menschen.
Natürlich hängt dies mit dem klaren Aufstiegsgedanken meiner
Familie zusammen, der hier für jedoch keine Entschuldigung ist. Bis vor wenigen
Jahren hatten indigen aussehende Familien, wie es meine ist, weniger Rechte und
höhere Hürden Bildung und somit höhere Ämter zu erhalten. Nun ist dies jedoch
möglich und einige versuchen mit aller Macht in diese neuen Kreise vorzustoßen.
In den Köpfen ist die andere Hautfarbe und Sprache jedoch noch immer mit
Ungebildetsein, Armut und etwas Niederem verbunden. Diesem versucht man zu
entfliehen. Am Beispiel meiner Familie ist gut zu erkennen. Die Kinder gehen in
einen Kindergarten in einem nobleren Viertel, später auf eine Privatschule, von
der gerne erzählt wird, welche Töchter und Söhne einflussreicher Personen in derselben
Lehranstalt die Bänke drücken. Mit dem nötigen Kleingeld folgte vor einem Jahr
der Umzug in eines der besten Viertel La Pazs. Und auch sonst wird vor allem
auf Außenwirkung und Präsentation Wert gelegt. So kommt es mir zumindest vor.
Denn Freundschaften zu reichen Eltern der Schule gibt es keine merklichen. Auch
„weiße“ Freunde, deren Vorbild man irgendwie nacheifert, habe ich noch nicht im
Haus gesehen. Ich finde es schade, dass man sich teilweise verstellen muss und
trotz der ganzen Mühe, strahlende Fröhlich- und Glücklichkeit nicht zu erkennen
ist. Alles geht seinen Gang aber nach wahrer Freude und Spaß am Leben muss man
in den Ecken des leblosen Riesendomizils doch lange suchen. Dennoch tue ich mir
schwer Mitleid zu empfinden und kann es ehrlich gesagt nicht. Meiner Meinung
nach hat man meistens eine Wahl.
So fühle ich es zumindest momentan, aber natürlich ist dies
wohl eine sehr allgemeine Analyse, die auf weiteren Gründen ruht, oder von
jemand anderem anders wahrgenommen werden kann. Auch die Stimmung und Gemüter
wandeln häufiger, weswegen diese Aussagen
wohl eher auf eine Momentaufnahme zutreffen.
Jedoch möchte ich noch einmal klar stellen, dass ich nicht
unglücklich bin. Manchmal nerven gewisse Aktionen, während in anderen Momenten
auch wieder Herzlichkeit aufblüht. Es ist wohl die Summe die alles etwas
vertrübt.
sonntag, 5. mai
Ohne Frühstück ging es wie so oft direkt zum Mittagessen
über. In diesem Haus wird eben einfach gerne geschlafen und nicht so gerne
gefrühstückt.
Anschließend brach ich auf um mich mal wieder um die
Terrasse des anderen Freiwilligen zu kümmern. Ich half erst beim Kochen und
unterhielt mich dabei ausgiebig mit dessen Gastschwester, die meine Sichtweisen
über Aufstiegsgedanken bestätigte. Immer wieder erstaunlich, wie Realität
wahrgenommen werden kann. Man vergleiche die Perspektiven der beiden
Gastfamilien.
Nach gemeinsamen Mittagessen, fuhren wir zu Feria in El
Alto. Einem riesigen Wochenmarkt, der donnerstags und sonntags stattfindet. Auf
der Fläche einer Kleinstadt, kann alles erworben werden, von Schnürsenkeln bis
Pinguinen. Man muss nur wissen, wo sich was finden lässt. Selbst das ist jedoch
keine Garantie, denn zwischen all den Ständen, Textilwühltischen, Essenständen
und sonstigen Angeboten ist es schwer die Orientierung zu behalten. Alles wirkt
wie ein riesiger Flohmarkt auf dem es alles zu geben scheint, sich dann aber
nicht finden lässt.
Chinesische Produktfälschungen, Autos, Klamotten, neue oder
solche, die aussehen als hätte jemand eine Altkleidersammlung geplündert und
sie auf seinen Wühltisch geworfen, gestohlene Waren, die nun um ein vielfaches
billiger sind als der Originalpreis. Schlichtweg alles. Diese Fülle erschlägt
einen und es macht keinen Spaß ernsthaft nach Brauchbaren Ausschau zu halten.
Wir erwarben letztendlich ein paar Pflanzen und hätten für 10cent fast ein
Katzenbaby mitgenommen, welches später einmal die lästigen Tauben von der
Terrasse fernhalten soll. So grausam waren wir natürlich nicht. Ein kleiner
Touristentipp am Rande: wer sich gerne niedliche Katzen-, Hasen-, Hundebabies
anschauen möchte, für den ist ein Abstecher in die Tiergasse genau das
Richtige. Wer jedoch Tieraktivist ist, dem rate ich von diesem Ort der Käfige
und Jungtierschaustelle ab.
Im Anschluss fuhr ich direkt nachhause, wo beim Abendessen
noch geplaudert wurde und die Verwunderung groß war, als ich erzählte wie
häufig mir schon Drogen angeboten wurden. Was hier in La Paz? Wo denn? Sogar in
der Zona Sur? Furchtbar. Die andere Gastfamilie hatte uns sogar schon gewarnt,
dass dies passieren würde. Der Blick der Realität zeigt einem wohl häufig nur,
was man sehen möchte.
montag, 6. mai
Klassischer Montag. Einsammeln. Längeres Gespräch mit der
Organisatorin mit Fruchtsaft und Gebäck. Telefonieren. Mittagessen. Heute gab
es Herz. Recht lecker verwunderlicherweise. Zweieinhalb Stunden Kung-fu. Kaum
Transportmöglichkeiten um wieder nachhause zu kommen. Erschöpft ins Bett gehen.
dienstag, 7.mai
Vormittags gab es außer Kurzsichttraining keine Aktivitäten
im Büro. Nachmittags fuhren wir zum Einsammeln von PET-Flaschen und anderen
Plastikmaterial zum Frauengefängnis. Die Einlasskontrollen waren mehr als
lässig und auch den eingesperrten Damen ging es gut zu gehen. Bei Sonnenschein
saß man draußen, schnackte und strickte und beobachtete heimlich wie wir die
Sammelbehälter leerten und in große Säcke umluden. Mir kam es vor wie auf einem
Dorfplatz, an dem man sich zum trauten Beisammensein und Austausch trifft. Im
Brunnen wurde Geschirr gewaschen, an Leinen hing Wäsche zum trocknen. Dreckige
Tauben flatterten hier und dort zwischen Röcken und Jeans umher und suchten
nach Abfällen. Beklemmend kam es mir zu keinen Zeitpunkt vor, was auch daran
liegen kann, dass ich mich mittlerweile an Mauern gewöhnt habe, die jedes
Gebäude umgeben. Wenn diese auch ein wenig höher war, aber einem ernsthaften
Fluchtversuch wohl keine Gegenwehr bieten würde.
Zu meiner Beruhigung gab es noch einen weniger freizügigen
Trakt für Frauen mit geritzterem Kerbholz, den man mir aber nicht präsentieren
wollte. Wie es in einem deutschen Gefängnis aussehe, konnte ich leider nicht
sagen. Ich stelle es mir jedoch geordneter und strenger bewacht vor. Vier
dösende Polizisten am Eingang kannte ich bis jetzt eher aus einem Western.
Anschließend fuhr ich in die Stadt um mit AFS wegen meinem
Projekt, meinem Pass, und einer bevorstehenden Reise zu reden. Am Wochenende
sollte es in den Urwald gehen.
Leider war alles wenig aufschlussreich und so fuhr ich
wieder nachhause.
Eine Alltagswoche war vorbei gezogen.
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