Montag, 20. Mai 2013

14. woche


mittwoch, 1. mai

Der Tag der Arbeit spendiert auch hier einen freien Tag. In meinem Fall klingt das eher ironisch, denn viel zu Arbeiten hatte ich bis jetzt bekanntermaßen nicht. Die Familie wollte den zusätzlichen freien Tag für gemeinsame Aktivitäten nutzen und gemütlich mit dem Frühstück beginnen. So wartete ich, bis gegen zehn ein Signal kam. Gleich geht’s los. 2 Stunden später, war jedoch immer noch niemand in der Küche anzutreffen. Es folgte die Bekanntgabe, dass wir jetzt gemeinsam Mittagessen würden. Eine weitere halbe Stunde später ging es tatsächlich los. Während der Fahrt wurden noch einmal Witze aufgewärmt und Äußerungen getätigt, bei denen ich am liebsten ausgestiegen wäre. Tat ich aber nicht, denn ich hatte Hunger. Es wurde Fisch gegessen, der hier egal welcher Sorte frittiert wird. Deshalb ist es theoretisch egal, für welchen man sich entscheidet, da alle nahezu gleich schmecken. Als Nachtisch gab es eine kalte Fischsuppe, die einen Platz in meinem bolivianischen Kochbuch verdient hat. Mit vollem Bauch ging es zum Fußballgucken mit anderen Freiwilligen in eine Bar. Anschließend wollten wir im Kino oder beim Billiard den Tag gemütlich ausklingen lassen. Wir hatten die Rechnung aber ohne die anderen Einwohner La Paz gemacht, die gänzlich ähnliche Pläne hatten. Es schien als seien alle Familien zum fröhlichen 40min-Schlange stehen in die Vergnügungszentren gekommen. Es war die Hölle los. Nach einer Reise durch die Stadt stellten wir fest, dass es überall ähnlich aussah, oder die Läden geschlossen hatten. Wir sahen unsere Niederlage ein und gönnten uns Kaffe und Kuchen, bevor es wieder nachhause ging. Meine Familie hatte wohl doch keine Lust auf gemeinsame Aktivitäten gehabt, und so fand ich sie als ich wieder zuhause war, gemütlich in ihren Betten liegen.

donnerstag, 2. mai

In der Arbeit stand heute zur Abwechslung gemeinschaftliches vor den Bildschirmsitzen auf dem Plan. Nachmittags traf ich mich mit 2 Bolivianerinnen, die ich bei einer Fiesta kennen gelernt hatte. Wir verstanden uns sehr gut, redeten, alberten rum, und wichen dem Hagelgewitter aus, welches plötzlich eingesetzt hatte. Möglicherweise hatte ich gerade den gesamten Nachmittag mit meinen ersten selbst entdeckten bolivianischen Freunden verbracht.

freitag, 3. mai

Seltsamerweise hatten sich meine Kollegen vorgenommen, den heutigen Tag mit allgemeinen Bürostuhlwärmen zu verbringen. So langsam wird mir diese Flexibilität und Rotation des Arbeitsalltags im Zusammenhang mit der irrsinnigen Kreativität der Arbeitszeitgestaltung zu viel. Ich hoffe es dauert nicht mehr all zu lang, bis ich endlich das Zeichen für einen Wechsel erhalte. Teilweise nehme ich die aus der Langeweile resultierende Schläfrigkeit bis weit in den Nachmittag mit, indem ich kaum Motivation verspüre etwas zu unternehmen. Das meine Fußballmannschaft, es nicht einmal mehr auf die Reihe bekommt einen Platz zu reservieren, verstärkt mein körperliches Unbehagen zudem. Um acht Uhr abends kam tatsächlich noch eine Einladung, zum heute um zehn stattfindenden Fußballspiel. Endlich, das Spiel machte zwar wenig Spaß aber wir gewannen. Nach meiner Sperre hielt ich mich heute zurück und beging nicht ein einziges Foul. Nach Spielende wollten wir noch gemeinsam etwas trinken gehen, doch auf dem Weg dorthin, verabschiedeten sich immer mehr, bis nur noch vier übrig blieben. Einer ging kurz zum Bierchen kaufen. Nach einer Stunde war er noch nicht zurück. Endlich kam er wieder, allerdings ohne Trinkbaren. Er hatte eine Freundin getroffen, da kann man seine Kollegen ohne ein Zeichen auch einmal gerne länger warten lassen. Aus dem Trinken wurde dann doch nichts mehr und wir waren umsonst ins Zentrum gefahren.

samstag, 4. mai

Das Olympiabad hatte diese Woche eröffnet. Mit der anderen Freiwilligen machte ich mich auf den Weg, das riesige, neue Hallenbad einzuweihen. Endlich angekommen merkten wir, dass einweihen schwierig werden würde. Mit großen Getöse hatte diese Woche die Einweihungsfeier stattgefunden, aber anscheinend nur der Umkleidekabinen. Noch am Tor wurde uns mitgeteilt, dass es wohl noch 2 Monate oder länger daueren würde, bis man tatsächlich schwimmen gehen könnte. Was noch fehlte, wollte man uns nicht erzählen. Möglicherweise hatte man vergessen Wasserleitungen zu den Becken zu legen, dachten wir uns. Statt uns sportlich zu betätigen, gingen wir Frühstücken.
Zum Mittagessen war meine Gastoma anwesend, die erneut unterhaltsame Geschichten zum Besten gab. Das Spannendste ist zu erraten, welcher Teil der Wahrheit entspricht. Heute plauderte sie mit mir über das Familienleben. Wir saßen in meinem Zimmer und die Türe war weit geöffnet. Nebenan saß meine Gastschwester ab Computer, was Abuelita aber nicht davon abhielt mehrmals lauthals zu erklären, dass eben diese Gastschwester zu korpulent – nein, zu fett sei. Dann verriet sie mir, dass sie ihren Bruder hasse, der in Amerika wohnt. Er sende ihr nie Geld zum Geburtstag, lediglich Glückwunschkarten, mit denen man ja weis Gott nichts anfangen könne. Auch wenn er mal zu Besuch sei, ließe er sie nie an seinem Reichtum teilhaben. Er sei für sie schon seit Jahren gestorben. Ich musste mehr als stutzen, aber ich verstand, woher meine Gastmutter einige ihrer Denkweisen erhalten hatte, welche sie auch an ihre Kinder weitergibt.
Gegen Teilen des Reichtums kann ich nichts einwenden. Wenn dieses Teilen jedoch nur Mittel ist, anderen Reichen eine kleine Freunde zu machen, oder ihnen zu zeigen, wie viel man selber besitzt, kann ich dieses Teilen nicht als ehrenhafte Geste oder als Nächstenliebe verstehen. Vor sozialen Problemen werden die Augen geschlossen und bei Angestellten beschwert man sich über zu hohe Gehälter und behandelt sie wie eine andere Sorte Menschen.
Natürlich hängt dies mit dem klaren Aufstiegsgedanken meiner Familie zusammen, der hier für jedoch keine Entschuldigung ist. Bis vor wenigen Jahren hatten indigen aussehende Familien, wie es meine ist, weniger Rechte und höhere Hürden Bildung und somit höhere Ämter zu erhalten. Nun ist dies jedoch möglich und einige versuchen mit aller Macht in diese neuen Kreise vorzustoßen. In den Köpfen ist die andere Hautfarbe und Sprache jedoch noch immer mit Ungebildetsein, Armut und etwas Niederem verbunden. Diesem versucht man zu entfliehen. Am Beispiel meiner Familie ist gut zu erkennen. Die Kinder gehen in einen Kindergarten in einem nobleren Viertel, später auf eine Privatschule, von der gerne erzählt wird, welche Töchter und Söhne einflussreicher Personen in derselben Lehranstalt die Bänke drücken. Mit dem nötigen Kleingeld folgte vor einem Jahr der Umzug in eines der besten Viertel La Pazs. Und auch sonst wird vor allem auf Außenwirkung und Präsentation Wert gelegt. So kommt es mir zumindest vor. Denn Freundschaften zu reichen Eltern der Schule gibt es keine merklichen. Auch „weiße“ Freunde, deren Vorbild man irgendwie nacheifert, habe ich noch nicht im Haus gesehen. Ich finde es schade, dass man sich teilweise verstellen muss und trotz der ganzen Mühe, strahlende Fröhlich- und Glücklichkeit nicht zu erkennen ist. Alles geht seinen Gang aber nach wahrer Freude und Spaß am Leben muss man in den Ecken des leblosen Riesendomizils doch lange suchen. Dennoch tue ich mir schwer Mitleid zu empfinden und kann es ehrlich gesagt nicht. Meiner Meinung nach hat man meistens eine Wahl.
So fühle ich es zumindest momentan, aber natürlich ist dies wohl eine sehr allgemeine Analyse, die auf weiteren Gründen ruht, oder von jemand anderem anders wahrgenommen werden kann. Auch die Stimmung und Gemüter wandeln häufiger, weswegen diese Aussagen  wohl eher auf eine Momentaufnahme zutreffen.
Jedoch möchte ich noch einmal klar stellen, dass ich nicht unglücklich bin. Manchmal nerven gewisse Aktionen, während in anderen Momenten auch wieder Herzlichkeit aufblüht. Es ist wohl die Summe die alles etwas vertrübt.

sonntag, 5. mai

Ohne Frühstück ging es wie so oft direkt zum Mittagessen über. In diesem Haus wird eben einfach gerne geschlafen und nicht so gerne gefrühstückt.
Anschließend brach ich auf um mich mal wieder um die Terrasse des anderen Freiwilligen zu kümmern. Ich half erst beim Kochen und unterhielt mich dabei ausgiebig mit dessen Gastschwester, die meine Sichtweisen über Aufstiegsgedanken bestätigte. Immer wieder erstaunlich, wie Realität wahrgenommen werden kann. Man vergleiche die Perspektiven der beiden Gastfamilien.
Nach gemeinsamen Mittagessen, fuhren wir zu Feria in El Alto. Einem riesigen Wochenmarkt, der donnerstags und sonntags stattfindet. Auf der Fläche einer Kleinstadt, kann alles erworben werden, von Schnürsenkeln bis Pinguinen. Man muss nur wissen, wo sich was finden lässt. Selbst das ist jedoch keine Garantie, denn zwischen all den Ständen, Textilwühltischen, Essenständen und sonstigen Angeboten ist es schwer die Orientierung zu behalten. Alles wirkt wie ein riesiger Flohmarkt auf dem es alles zu geben scheint, sich dann aber nicht finden lässt.
Chinesische Produktfälschungen, Autos, Klamotten, neue oder solche, die aussehen als hätte jemand eine Altkleidersammlung geplündert und sie auf seinen Wühltisch geworfen, gestohlene Waren, die nun um ein vielfaches billiger sind als der Originalpreis. Schlichtweg alles. Diese Fülle erschlägt einen und es macht keinen Spaß ernsthaft nach Brauchbaren Ausschau zu halten. Wir erwarben letztendlich ein paar Pflanzen und hätten für 10cent fast ein Katzenbaby mitgenommen, welches später einmal die lästigen Tauben von der Terrasse fernhalten soll. So grausam waren wir natürlich nicht. Ein kleiner Touristentipp am Rande: wer sich gerne niedliche Katzen-, Hasen-, Hundebabies anschauen möchte, für den ist ein Abstecher in die Tiergasse genau das Richtige. Wer jedoch Tieraktivist ist, dem rate ich von diesem Ort der Käfige und Jungtierschaustelle ab.
Im Anschluss fuhr ich direkt nachhause, wo beim Abendessen noch geplaudert wurde und die Verwunderung groß war, als ich erzählte wie häufig mir schon Drogen angeboten wurden. Was hier in La Paz? Wo denn? Sogar in der Zona Sur? Furchtbar. Die andere Gastfamilie hatte uns sogar schon gewarnt, dass dies passieren würde. Der Blick der Realität zeigt einem wohl häufig nur, was man sehen möchte.

montag, 6. mai

Klassischer Montag. Einsammeln. Längeres Gespräch mit der Organisatorin mit Fruchtsaft und Gebäck. Telefonieren. Mittagessen. Heute gab es Herz. Recht lecker verwunderlicherweise. Zweieinhalb Stunden Kung-fu. Kaum Transportmöglichkeiten um wieder nachhause zu kommen. Erschöpft ins Bett gehen.

dienstag, 7.mai

Vormittags gab es außer Kurzsichttraining keine Aktivitäten im Büro. Nachmittags fuhren wir zum Einsammeln von PET-Flaschen und anderen Plastikmaterial zum Frauengefängnis. Die Einlasskontrollen waren mehr als lässig und auch den eingesperrten Damen ging es gut zu gehen. Bei Sonnenschein saß man draußen, schnackte und strickte und beobachtete heimlich wie wir die Sammelbehälter leerten und in große Säcke umluden. Mir kam es vor wie auf einem Dorfplatz, an dem man sich zum trauten Beisammensein und Austausch trifft. Im Brunnen wurde Geschirr gewaschen, an Leinen hing Wäsche zum trocknen. Dreckige Tauben flatterten hier und dort zwischen Röcken und Jeans umher und suchten nach Abfällen. Beklemmend kam es mir zu keinen Zeitpunkt vor, was auch daran liegen kann, dass ich mich mittlerweile an Mauern gewöhnt habe, die jedes Gebäude umgeben. Wenn diese auch ein wenig höher war, aber einem ernsthaften Fluchtversuch wohl keine Gegenwehr bieten würde.
Zu meiner Beruhigung gab es noch einen weniger freizügigen Trakt für Frauen mit geritzterem Kerbholz, den man mir aber nicht präsentieren wollte. Wie es in einem deutschen Gefängnis aussehe, konnte ich leider nicht sagen. Ich stelle es mir jedoch geordneter und strenger bewacht vor. Vier dösende Polizisten am Eingang kannte ich bis jetzt eher aus einem Western.
Anschließend fuhr ich in die Stadt um mit AFS wegen meinem Projekt, meinem Pass, und einer bevorstehenden Reise zu reden. Am Wochenende sollte es in den Urwald gehen.
Leider war alles wenig aufschlussreich und so fuhr ich wieder nachhause.
Eine Alltagswoche war vorbei gezogen.

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