Samstag, 21. Dezember 2013

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mittwoch, 14. august

Heute war ich wieder mit Locherrammen beschäftigt. Geht bei hartem Boden und erforderten Tiefen von 70cm ganz schön in die Arme und den Hunger. Leider sind die Portionen im Projekt doch eher zu klein weswegen ich abends, zuhause angekommen mir erst einmal den Bauch voll schlage.

donnerstag, 15. august

Wie jeden Donnerstag waren heute wieder die Kinder dran. Die deutschen Kinderlieder krakelten sie mittlerweile recht textsicher. Sie waren so beschäftigt zu singen, dass sie sogar vergaßen sich während der Fahrt zu prügeln. Einer unserer Besucher aus Peru war heute mitgekommen um sich meine Arbeit einmal genauer anzuschauen. In seinem Projekt in Peru arbeitet er auch mit Kindern und stand mir die erste Stunde auch tatkräftig zu Seite. Irgendwann gab er auf, die Kinder ständig zu ermahnen, sie wieder einzufangen und auf ihren Platz zu setzen, und ihre Raufereien zu schlichten. Es war einfach unmöglich sie ruhig zu stellen. Später teilte er mir mit, dass er dachte seine Projektkinder seien frech und etwas ungezogen. Dass aber selbst die Kleinsten schon machten was sie wollen und Autoritäten für sie nur zum Verpetzen der Anderen da sind, war ihm neu. Willkommen bei Suma Qamaña dachte ich mir. Zu Mittagszeit ging er nachhause und ich beschäftigte mich als die Kinder gegangen waren mit der Verbesserung des Hühnerstalls.

freitag, 16. august

Wie es gestern aufgehört hatte, so ging es heute weiter. Zickezacke Hühnerkacke. Ich wagte mich in das kleine Hühnerhaus und begann den gesamten Boden heraus zu hacken. Kein leichtes Unterfangen wenn man schon kniend am Dachfirst anstößt. Die ausgefallenen Federn stoben, der Staub des Hühnerstalls und ein unangenehmer Geruch drangen mir in die Nase. Nach 3 Stunden war der gesamte Schmodder endlich draußen, die unterste Schicht hatte ja immerhin schon 4 Jahre darauf warten müssen, wieder an die frische Luft zu gelangen. Es war schon kurz vor Feierabend als ich mich wieder aus dem Häuschen wagte. Schnell ging es ans Bodenzementieren, so dass der Belag übers Wochenende trocknen konnte. Wie die gesamten letzten Arbeitswochen machte ich Überstunden. Als ich zuhause ankam war ich vom Arbeitstag geschafft und schlief gleich ein. Unser Besuch samt meinem Mitbewohner hatte sich nach Cusco aufgemacht. Endlich ein paar Tage Ruhe, wie ich mir dachte.

samstag, 17. august

Ich hatte weder getrunken noch sonst etwas zu mir genommen. Dennoch hatte ich nicht mal Kraft die Bettdecke zurück zu schlagen. Ich war so geschwächt, dass ich den gesamten Tag durchschlief. Ich fühlte mich fiebrig und hatte komische Träume. Wenn ich mal wach war, war ich zu absolut überhaupt nichts zu gebrauchen. Abends schaute meine Gastcousine, die Ärztin ist für kurze Zeit vorbei. Sie überprüfte mich und meinte mit Sicht auf die Symptome, ob ich mit Hühnern zu tun habe. Es könnte wahrscheinlich eine Hühnergrippe sein. Ich hätte die letzten Tage wohl lieber mit Mundschutz arbeiten sollen, dachte ich mir. Dann war ich schon wieder zu geschwächt, und schlief weiter.

sonntag, 18. august

Ich befand mich seit mehr als 30h im Bett und konnte mich noch immer kaum bewegen. Irgendetwas hatte mich übel erwischt. Das ganze Liegen tat mittlerweile schon weh, ich hatte mich buchstäblich wund gelegen. Mittags versuchte ich mit der Familie zum Essen zu gehen, was für kurze Zeit auch gut ging. Kaum zuhause angekommen, hatte ich keine andere Möglichkeit als mich erneut hinzulegen. Körperlich und geistig war totale Sense.

montag, 19. august

Mir ging es nach dem Aufwachen schon erheblich besser als die Tage zuvor. Die Medikamente hatten ihre Wirkung gezeigt. Dennoch fühlte ich mich noch lange nicht fit um zur Arbeit zu gehen. Die Kraftlosigkeit des Wochenendes war in eine große Lustlosigkeit umgeschlagen. So verbrachte ich einen weiteren Tag im Bett.

dienstag, 20. august

Die Lust- und Antriebslosigkeit hielt an. Hunger hatte ich auch keinen, was auch ganz gut war, da mir wieder eine „dieta blanca“ verschrieben worden war: trockener Reis und Kartoffeln, möglicherweise eine ungewürzte, fade Suppe, dazu Trockengebäck. Kein Essen, dass einen wieder zu Kräften bringen würde.
Ich war mittlerweile wieder einigermaßen bei Kräften und konnte wieder hin und her laufen. Die Hühnergrippe hatte ich mit gewaltigem Gewichtsverlust einigermaßen überstanden, dabei dachte ich, die wäre schon längst aus der Mode. Aber in Bolivien sind wohl sogar die Krankheiten hinterher. Anderseits hatten die Viren wahrscheinlich in den mumifizierten Hühnerhäufchen überlebt.



Donnerstag, 19. Dezember 2013

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mittwoch, 7. august

In der Arbeit waren wir beschäftigt den frisch gelieferten Hafer an seinem neuen Aufbewahrungsort zu verstauen. Die letzten Tage war ich stets körperlich gefragt, weswegen ich abends meist müde nachhause kam. Kurz bevor die andere Freiwillige und ich Suma verlassen wollten, begann ein Sturm aufzuziehen. Der Himmel verdunkelte sich und eine rote Sandwolke fegte aus Richtung El Alto über das gesamte Tal. Als sie uns erreichte, saßen wir schon im Minibus. So hatte ich mir immer einen Wüstensturm vorgestellt, doch La Paz ist noch ein weniger entfernt von einer solchen. Der wüste Sturm hatte irgendwo roten Staub aufgetrieben und färbte alles rot. Die Weitsicht betrug höchstens 10m, der Rest lag hinter dem seltsamen Naturschauspiel versteckt. Der Busfahrer meinte, dass dies für August normal sei. Die Winde zögen vom Titikakasee über das trockene Altiplano und bließen dabei ein wenig der staubigen Erde mit. Es war noch immer Trockenzeit, weswegen sich die Erde am Tag stark aufheizt und bei Dämmerung die Luftströmungen in Küstennähe starke Winde verursachen. Die Wolke begleitete mich bis zur Fahrt ins Zentrum. In den Nachrichten gab es am Abend Bilder der verschluckten Stadt zu sehen. So normal schien diese Laune der Natur doch nicht gewesen zu sein. Viele Signale waren gestört und das Fernseh-, so wie Handynetz zeitweise lahm gelegt worden. Abends unternahm ich mit meinem Mitbewohner und unseren Freunden aus Peru, die noch immer in der Stadt weilten, etwas.

donnerstag, 8. august

Der Sturm hatte sein Werk getan und so waren etliche Bäume und anderer Müll auf die Straßen geweht worden. Ein Spezialsägetrupp sägte gerade die Straße zum Gefängnis frei, wo wir auf die Kinder warteten. Und wir hatten viel Zeit zu warten. In letzter Zeit dauerte es vom ersten Türe klopfen und fragen, ob die Kinder kommen könnten bis zum Einsteigen in den Bus eine dreiviertel Stunde. Eindeutig zu lang. In der Wartezeit redeten der Chaffeur und ich häufig mir dem kleinen dicken Polizisten, der die deutsche Botschaft bewachte. Sie liegt Mauer an Mauer mit dem Frauengefängnis, ein interessanter Ort für eine Botschaft. Der Polizist erzählt gerne aus dem inneren der Botschaft und wie nett der Botschafter, seine Frau und seine Kinder doch seien, die im alten Herrenhaus hinter den Mauern wohnen. Noch in diesem Monat würde jedoch ein neuer Botschafter einziehen. Die Vorbereitungen für den Umzug liefen bereits.
Mit den Kindern war heute kaum etwas anzufangen. Das Ziel des Jahres war es, den Kindern das Lesen und Schreiben mit Spaß näher zu bringen, da lesen bekanntlich bildet und Bildung Türen öffnet. Doch sobald man nur ein Buch in die Hand nimmt, wird gestreikt. Buch wird mit Schule, Schule Zwang und Langeweile assoziiert. Ein Buch bedeutet also immer Langeweile und.
Die Mädchen mit denen ich arbeitete sollte, wollten partout nicht lesen. Um etwas nicht zu tun, entwickeln sie immer eine besondere Kreativität. Sie seien krank und könnten deswegen nichts unternehmen. Statt zu lesen spielte ich also mit. Ich erklärte ihnen, dass Kranke sich leider ausruhen müssten und auch kein Spielen möglich war. Sie waren so lange krank, bis ihnen langweilig wurde. Ich beharrte allerdings darauf, dass sie sich erst auskurieren mussten. Sie versuchten mich auszutricksen, aufzustehen und sich Puppen zum Spielen zu stibitzen. Ich nervte sie weiter, liegen bleiben zu müssen, bis sie plötzlich freiwillig begannen die Bücher, die ich neben sie gelegt hatte, zu lesen. Es machte ihnen sogar Spaß und sie begannen sich über ihre kleinen Geschichten auszutauschen. Sie merkten plötzlich spielerisch wie viel Spaß lesen eigentlich machen konnte.
Eines der Mädchen, das bereits die vierte Klasse besucht, weigert sich strikt lesen zu lernen. Da sie es auch so durch jede Klasse schafft, verschärft ihre Sturheit. Sie ist sehr begabt im Manipulieren und schafft es sogar die ältern Kinder für ihre Zwecke einzuspannen. Es gibt also immer jemanden der ihre Hausaufgaben erledigt, sie verteidigt oder ihr hilft jemanden anderen fertig zu machen. Da weder die Mutter noch die Lehrer in der Schule sich ihr widersetzen nimmt sie es für selbstverständlich hin, ihren Willen Gehorsam zu leisten. Sollte jemand nicht ihrer Meinung sein, beginnt sie zu streiken. Wie immer weigerte sie sich zu Beginn etwas zu tun was ihr aufgetragen wurde. Sie könne doch überhaupt nicht lesen und brauche es auch nicht lernen. Für was denn überhaupt. Mit einer Portion extra Aufmerksamkeit schaffte ich es mühsam, sie Buchstabe für Buchstabe lesen zu lassen und zu Wörtern zusammen zu setzen. Mit Ermutigungen und Lob merkte sie, dass sie fast lesen konnte. Sie müsste nur üben, dann würde es schon klappen. Sie las also stolz weiter ohne dass ich sie zu jeden Buchstaben anstacheln musste.
Es kostet jedes Mal viel Kraft, Geduld und Zeit die Kinder zu etwas zu animieren, was wohl den größten Teil meiner Arbeit ausmacht.

Dazu trägt auch eine allgemeine Einstellung der Kinder bei. Generell haben nahezu alle Kinder, die zu Suma Qamaña kommen, ein Problem Grenzen zu akzeptieren. Die Mütter erlauben ihren Kindern nahezu alles und versuchen ihnen alle Wünsche zu erfüllen. Bei ihren „hijitos“ [den Söhnen oder kleinen Prinzen] ist dies noch ausgeprägter. Die Lehrer haben Mitleid mit den armen „Gefängniskindern“ und wollen ihnen durch Strafen oder Ermahnungen das Leben nicht noch schwerer machen. Von außerhalb werden sie vor allem zu Weihnachten mit Geschenken und Mitleid überhäuft. Sie leben ihre „Opferrolle“ als „Gefängniskind“, die ihnen viel Aufmerksamkeit einbringt. Ihre Mütter trichtern ihnen geradezu ein, dass ihnen geholfen und geschenkt werden muss. Es ist also der Normalzustand, dass ihnen geholfen werden muss. Aufgrund dieser Haltung ist es im Allgemeinen schwierig mit den Kindern konstruktiv zu arbeiten und immer haufenweise Überzeugsarbeit notwendig. Tanzt man nicht nach ihrer Pfeife ist man der Böse und es wird versucht jemand Anderen zu finden, der ihre Wünsche erfüllt. Zum Beispiel die Chefin. Es passiert nicht selten, dass ein Kinder zur Direktorin rennt und ihr erzählt, dass „Profe Niklas“ erlaubt hat auf den Spielplatz zu gehen. Zurück bei mir wird dann behauptet, dass die Direktorin aufgetragen hat, man solle jetzt auf den Spielplatz gehen.
Da die eigene Opferrolle einem Vorteile bringt, möchten viele Frauen, das Gefängnis auch nicht verlassen. In der Freiheit hätten sie und ihrer Kinder nämlich gar nichts. Es ist ein gefährlicher Teufelskreis. Die Kinder erfahren zwar Zuwendung, die meistens jedoch nur geheuchelt ist. Bei wahren Problemen wird ihnen kaum geholfen und eine Erziehung die Grenzen aufzeigt, erfahren sie überhaupt nicht. Das Leben im Gefängnis ist nach wie vor kein Zuckerschlecken und definitiv kein Ort in dem Kinder aufwachsen sollten. Es herrscht ein rauer Umgangston und das Leben ist von Egoismus geprägt. Man lebt in seinem Mirokosmos, aus dem man aufgrund mangelnder Anreize nicht entfliehen möchte. Wenn denn Müttern wie Kindern keine Optionen aufgezeigt werden, werden sie es später in der Freiheit schwer haben in der „normalen“ Gesellschaft zu Recht zu kommen. Es ist schwierig Lösungsansätze für diese Lage zu finden, und der Regierung ist dieser kleine Rand der Gesellschaft nahezu egal. Mich hingegen beschäftigt das Schicksal der Kinder, die in diesen Zustand hineingeboren worden, sehr. Es ist interessant und hilfreich sich über die Verhaltenshintergründe der Kinder Gedanken zu machen. Dennoch wünsche ich mir manchmal Hilfe von einem Profi oder einer Person, die mich in diesen Fragen leitet oder unterstützt. Gespräche mit den Gasteltern die beide Pädagogen sind, helfen mir zwar weiter. Aber nicht jeder Freiwillige hat das Glück im unmittelbaren Umfeld auf solches Wissen zurückgreifen zu können. Eine bessere Koordination der Organisation oder des Projekts wären für einen erfolgreichen Arbeitseinsatz mehr als hilfreich.

freitag, 9. august

Heute musste ich lange arbeiten und war über die Ablenkung recht glücklich. Abends gingen wir mit den anderen Freiwilligen feiern, über was ich noch glücklicher war. Endlich mal wieder abschalten. Heute hätte meine Freundin kommen sollen, war aber bekanntermaßen verhindert. Es war ein schöner Abend und meine Gedanken konnten sich ein wenig erholen.

samstag, 10. august

Der Tag plätscherte vorbei und abends ging es wieder ins Nachtleben mit unserem Besuch. Besuch kann anstrengend sein. Wegen eines Missverständnisses war ich auf einmal alleine in der Bar. Ihr Handy war auch nicht zu erreichen und so blieb mir nichts anderes übrig als auf ein Zeichen ihrerseits zu warten. Der Abend war also ein gebrauchter und als ich nachhause aufbrechen wollte, war meine Jacke aus der Garderobe entwendet worden. Zum Glück waren die Taschen nahezu leer. Doch die praktische Lederjacke, mit der ich mich immer mehr angefreundet hatte war nicht mehr aufzutreiben. Wenigstens bedeutete das weniger Gewicht für den Rückflug in einigen Monaten.

sonntag, 11. august

Nachmittags machten wir uns auf, den Classico Bolivens zu sehen. Das Fußballderby aus La Paz zwischen Bolivar und The Strongest zieht jedes Mal die Massen an. Auch unser Besuch wollte einmal bei diesem Spektakel dabei sein, dass sich als langweiligstes und schlechtestes Fußballspiel entpuppte, für das sich je Eintritt gezahlt hatte. Wir saßen in der prallen Sonne und wären wohl vor Langeweile, Müdigkeit und Hitze fast eingedöst, hätten wir nicht versucht, den Stadionbesuch auf irgendeine Weise spannend zu machen. Deprimiert für einen solchen Grottenkick überhaupt Zeit verschwendet zu haben, machten wir uns auf der Einladung eines Freundes nachzukommen. Er hatte uns alle zu den besten Spagetti in ganz La Paz zu sich nachhause eingeladen. Voller Erwartung und Hunger fuhren wir durch die gesamte Stadt. Als wir um 1900 ankamen, war der Gastgeber noch beim Einkauf, den wir als er ankam gleich bezahlen durften. Für ein paar Nudeln und andere Zutaten zahlten wir mehr als in jedem Restaurant La Paz für drei Gänge. Dann hieß es 2einhalb Stunden warten bis ein kleiner Teller verkochter Nudeln mit mäßiger Soße vor uns stand. Wegen des Hungers, des Preises und des ewigen Wartens waren wir alle ein wenig gereizt und vielleicht ein wenig undankbar. Wir hatten uns wohl mehr von den groß angekündigten, besten Spagettis erhofft. Dass man in Bolivien nach dem man Eingeladen wird zur Kasse gebeten wird, ist übrigens vor allem in der jüngeren Generation Gang und Gebe. Der Sonntag wurde trotzdem mit einem unzufriedenen Gefühl abgeschlossen. Durch all die Deutschen um einen herum hatte ich wohl ein wenig meiner bolivianischen Lockerheit abgelegt.

montag, 12. august

Es hieß wieder schuften. Bis September musste jedes Gehege erneuert und ein weiteres errichtet werden. Ich war also damit beschäftigt mit einer Eisenstange Löcher für Pfosten in den Boden zu rammen. Müde kam ich zuhause an.

dienstag, 13. august

Ein erneuter Busfahrerstreik machte es unmöglich zur Arbeit zu kommen. Mit unserem Besuch ging es also auf Touritour. Eine bolivianische Premiere für mich. Zum ersten Mal ging es durch Touriviertel samt Alpakapullover, Mützen uns sonstige Souvenirläden.

Aufgrund der letzten Tage fühlte ich mich sowieso erstmals wie ein Tourist und hatte einen ganz anderen Blick auf die Stadt, wie ich sie normalerweise gewohnt war. Mir wurde wieder bewusst auf wie viel Seiten man La Paz kennen lernen konnte. Die Stadt ist ein Rätsel.

Sonntag, 11. August 2013

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mittwoch, 31. juli

Jetzt bin ich also schon sechs Monate hier, habe einen Familien- und Projektwechsel hinter mir und bin zum zweiten Mal in der Eingewöhnungsphase. Ein kleiner Rückblick wird bald erscheinen.

donnerstag, 1. august

Die Kinder kamen wie jeden Donnerstag, wie immer nervten sie ein wenig, wollten sich ständig schlägern und hatten keine Lust dem geplanten Programm zu folgen. Wir wollten im August versuchen den Kindern in einen fortführenden, themengesteuerten Aktionsplan des Unterricht etwas interessanter gestalten. Wir hatten uns für die vier Elemente, Feuer, Wasser, Erde, Luft entschieden. Doch selbst mit Plan fällt es schwierig diesen durchzusetzen. Ständig wird nach Schlupflöchern gesucht etwas nicht machen zu müssen, ständig müssen die Kinder neu motiviert und an ihren Platz zurück gescheucht werden, so dass von ruhigen  Bastelarbeiten bis zum Ausgelassen spielen jedes Mal Konfliktpotential entsteht. Andauernd auf der Hut sein, dabei freundlich bleiben und nicht die Geduld verlieren sind harte Übungen.
Irgendwie war ich all das mittlerweile gewohnt und musste mich zur Mittagspause nicht auf einer Sportmatte in einer der Aulas ausruhen.
Zuhause angekommen war ich überrascht bekannte, deutsche Gesichter in unserem Haus zu sehen. Aus Peru waren Freunde von uns eingetroffen, die dort ebenfalls als Freiwillige arbeiteten.


freitag, 2. august

Es war mal wieder Marschzeit. Zum Tag des Landbewohners „Dia del Campesino“ fanden überall auf den ländlichen Gebieten Märsche statt. Jeder Kleinort und verschiedene Nachbarschaften konnte seinen Stolz mit Fahnen bewaffnet zur Schau stellen. Heute war in meinem Arbeitsortsteil K’añuma [Achocalla] auf dem Sportplatz großes Schaulaufen angesagt. Auch Suma Qamaña war eingeladen. Als wir ankamen, standen nahezu alle Teilnehmer in Reih und Glied. Man hatte sich heraus geputzt. Die Frauen kamen in Feströcken und hatten sich Goldbroschen an den Hut gesteckt. Die Männer trugen Anzug, die wohl schon seit Jahren bei derlei Festzügen eingesetzt worden waren. Ihr Haupt hatten sie ebenfalls behütet und man konnte sogar den ein oder anderen im Poncho beobachten. Wir waren gerade rechtzeitig gekommen, denn der Marsch hatte schon begonnen. Es ging einmal rund um den Sportplatz, vorbei an einer kleinen Bühne, bei der Musik gespielt und jede Institution vorgestellt wurde. Bei diesem Längsgelauf galt es, den Zuschauern, die sich an der Route aufgestellt hatten zuzuwinken. Unsere Delagation war zwar eine der kleinsten, wir hatten weder einen Tanz noch ein Musikstück eingeübt, dennoch starrten uns alle an. Die Zusammenstellung war einfach seltsam. Die Direktorin eine modern gekleidete Bolivianerin, unsere Köchin eine traditionell gekleidete Bolivianerin, unser Hausmeister im Festtagsoutfit und vier Europäer, die aus der Menge herausstachen. Erstens durch die Größe und zweitens durch Haut- und Haarfarbe, als auch Mode. Als man beim Vorbeilaufen kritisch beäugt wurde, war einem wieder einmal bewusst, dass man doch anders aussah.

Als jede Gruppe die Tribüne passiert und sich an der Laufstrecke eingereiht hatte, begann das Programm. Reden über Unabhängigkeit und die Stärke und Wichtigkeit der Landbevölkerung ließen erahnen, dass sich dieser Stolz erst eingeredet werden musste. Noch war wenigen Jahren waren die Campesinos, die hauptsächlich indigen sind, als der minderste Teil der bolivianischen Bevölkerung angesehen und schikaniert worden. Gesetze und herablassende Behandlung ließen die Indigenen, als Menschen minderer Klasse darstehen. So brannte es sich selbst in den Köpfen der Indigenen ein, etwas Schlechteres zu sein. Die eigene Sprache wie Aymara oder Quechua wird versucht den Kindern fernzuhalten, damit sie im Spanischen keine Sprachnachteile besitzen. Selbst ich bekomme dieses noch weitverbreitete, anhaltende Minderwertigkeitsgefühl fast täglich zu spüren. Die Art wie ich behandelt und mit mir gesprochen wird, ist häufig von Ehrfurcht geprägt. Wenn ich mit den Marktfrauen rede, scheint es manchmal, als sei es ihnen eine Ehre, dass ein Weißer mit ihnen spricht. Oft ist jedoch auch eine Portion Hass, auf die ewigen Besatzer beigemischt. Am Anfang des Jahres fühlte ich mich in solchen Situationen mulmig. Sich so zu verhalten zeigt jedoch auch, dass man einen Unterschied zwischen sich und der anderen Person fühlt. Und gerade das ist falsch, es gibt keinen. Wir sind alle gleich. Vielleicht kommt es manchen Personen mit denen ich rede deshalb so komisch vor, da sie von mir „normal“ behandelt werden.
Dieser Rassismus ist natürlich noch immer fest in den Köpfen aller verankert und es wird die schwierige Aufgabe der jetzigen und kommenden Generationen sein, diesen zu beseitigen. Nur wenn alle wissen sie sind gleich, kann ein Land zusammen arbeiten und den nächsten Schritt nach vorne wagen. Momentan klafft jedoch noch einer großer Riss zwischen Stadt- und Landbevölkerung.

Jede Gruppe sollte sich anschließend durch einen Vertreter auf die Bühne vorstellen. Nach all den Hasstiraden auf die spanischen Unterwerfer, schien es ein wenig seltsam, als unsere spanische Architektin in Mitten all der traditionellen Röcke und Hüte mit hohen Schuhen, Makeup und Zaraklamotten auf der Bühne stand und ein paar Worte über ihre Arbeit verlor. Auch sie fühlte sich merkbar unwohl und machte meinen zuvor ausgesprochenen Punkt mehr als deutlich. Der Kolonialismus ist selbst nach fast 200 Jahren Unabhängigkeit noch immer zu spüren. Das Programm wurde dann durch einige Darbietungen aufgelockert. Kinder in Kostümen sangen zwischen den Redepausen oder führten theatralisch Gedichte vor.
Es wirkte wie ein großes Dorffest.
Nach der Essenspause führten die Schulen des Ortes traditionelle Tänze in ebensolchen Gewändern auf. Es war nett anzuschauen und auch wir wurden nett angeschaut. Jeder schien sich zu fragen, was diese Gringos auf einem abgelegenen Sportplatz zu suchen hatten. Als nichts Neues passierte hatten wir genug gesehen und wollten gehen, was gar nicht einfach war. Nahezu alle Minibusfahrer Achocallas hatten sich versammelt, ihren Bus nahe des Sportplatzes abgestellt und teilten sich nun mehrere Kästen Bier. Ob mit denen noch zu rechnen war, war zu bezweifeln. Auch der Sportplatz hatte bereits einige torkelnde Väter aufzubieten. Ein Herr mit mächtiger Fahne war auf der Suche nach seinen Kindern. Es tat ihm Leid, dass sie ihm in diesem Zustand sehen würden aber er würde mich trotzdem zu jedem Ort Boliviens als Fremdenführer begleiten. Eine eigenwillige Argumentation. Früher war er wohl Fremdenführer gewesen, wie er danach erklärte. Als mir sein Atem zu viel geworden war, versuchte ich mich zu entfernen. Dass er seine Kinder suchte, hatte er schon vergessen und er war froh, dass ich ihn daran erinnert hatte. Ich konnte also diskret das Gespräch verlassen und letztlich fanden wir sogar einen nüchternen Bus.

samstag, 3. august

Seit 6 Monaten hatte ich mich auf nächste Woche gefreut. Meine Freundin wollte mich besuchen kommen. Aber wenn ich in Bolivien eine Sache gelernt habe, dann diese. Man kann noch so gut planen, am Ende geht immer etwas schief – so auch ihr Bein – und alles kommt anders. Sie hatte sich ihr Bein im Urlaub verdreht und wie sich zuhause bei deutschen Ärzten herausstellte, die Bänder gerissen. Ein Urlaub in Bolivien war zu riskant und konnte nicht stattfinden. Ich war am Boden zerstört und hatte auf gar nichts Lust. Ich versuchte mich mit dem Besuch eines Rugbyspiels meines Mitbewohners abzulenken. Aber selbst von zuhause rauskommen half nicht.
Dass die Suche nach dem Mittagessen sich hinzog, half nicht gerade zur Hebung der Stimmung bei. Als meine Gastschwestern in einem Lokal begannen sich mit der Bedienung anzulegen, weil das Essen solange auf sich warten lies, war endlich etwas los.. Die Essenssuche ging also weiter. Wir schlängelten uns im Auto durch den fürchterlichen Samstagnachmittagsverkehr und die Suche nach einem passenden Essensort dauerte an. An allen gab es etwas auszusetzen. Diese Prozedur kannte ich aus meiner Exgastfamilie. Als wir letztlich ein Lokal fanden, dass alle zufrieden stellte, war das Mittagessen schon fast aus. Satt aber betrübt ließ ich das Wochenende schon Samstagmittag nach dem gerade noch ergatterten Mittagessen ausklingen.

sonntag, 4.august

Das Wochenende hatte ich bereits ausklingen lassen, dennoch ging ich morgens zum Schulgottesdienst meines Gastbruders. Unter freiem Himmel im mit Pflanzenbewachsenen Altarhof der Schule fand die Messe statt. Der Pfarrer war lustig, die Stimmung entspannt und zwischendurch spielten mein Gastbruder und seine Band christliche Lieder in halbrockiger Version, zum Mitsingen.

montag, 5. august

Die Arbeit verlief ohne große Ereignisse, außer das den gesamten August über viele Renovierungsarbeiten anstehen würden. Morgen war zwar wieder Feiertag aber mir war noch lange nicht nach Feiern zu Mute.

dienstag, 6. august

Unsere Freunde waren wieder aus der Salzwüste zurückgekehrt, die sie drei Tage lang besucht hatten. Als Mitbringsel hatten sie kein Stück Salz sondern einen süßen Hund namens Salar [benannt nach der Wüste] dabei. Ihn hatten sie unterwegs aufgegabelt und hofften ihn bei uns unterzubringen. Sie hatten die Rechnung jedoch ohne meine Gastmutter gemacht, die entschieden gegen eine weitere Töle war. Bei kurzem Blick auf unsere beiden Trotteln von Bellknäueln mehr als verständlich. Mein Gastbruder fand auf einen Facebookstatuts „habe hund zu vergeben“ innerhalb einer Stunde vier Interessenten, die Salar sofort abholen würden. Meiner Meinung sagt dies viel über die Bolivianer-Hundbeziehung aus. Klein und süß wird gerne genommen. Für was soll ich lange über Vor- und Nachteile eines Hundes nachdenken? Und wieso sollte ich mich überhaupt über Bedürfnisse eines Hundes informieren? Wenn er mal groß ist und zu viel frisst oder nervt kann man ihn immer noch aussetzen.
Zum Nationalfeiertag gab es heute eine national beliebte Speise. „Pique Machu“, ein Gericht aus Kartoffeln, Tomaten, Paprika, Würstchen und Fleisch. In großer Runde: Verwandte, andere Freiwillige und Freunde saßen wir erstmals zum Essen im Hof. Nach dem leckeren Mittagessen war der Hund so schnell weg wie er gekommen war. Nein, er war nicht in unseren Mägen verarbeitet worden, sondern eine entfernte Facebookfreundin hatte den Kleinen zwischenzeitlich abgeholt.
Die weiteren Festivitäten des Nationalfeiertags bestanden in Biertrinken im Hof, dass mit steigendem Pegel in die Wohnung des Gastonkels verlagert wurde. Wegen eines Telefonats hatte ich leider den Einstieg verpasst, und als ich auch endlich in die Wohnung kam, war die Stimmung schon erheitert.

Eigentlich könnte man annehmen, dass jedes Land seinen Nationalfeiertag stolzer feiert als Deutschland. Ich hatte in Bolivien Paraden, Feuerwerke und schwülstige Reden erwartet. Stattdessen erklärte man uns, dass die wenigen abgehaltenen Paraden und Feste bereits gestern oder am Wochenende stattgefunden hatten, um am Mittwoch wieder nüchtern zu sein. Feiertage sind in Bolivien getarnte Katertage für die Feier des Vorabends. Wir hätten wohl eher für morgen einen Feiertag benötigt.

Mittwoch, 7. August 2013

26

mittwoch, 24. juli – dienstag, 30. juli

Die Woche konnte schon dem Alltag zugeschrieben werden. Donnerstags morgens kamen die Kinder aus Obrajes und nachmittags die Kinder aus Achocalla, mit denen wir auf der Rutsche Kegeln spielten. Also nicht mit Kindern sondern mit Kegel und Ball. Freitags gab es kleine Ausbesserungsarbeiten zu tätigen. Ich hoffte, das Wochenende normal verbringen zu können. Ohne Reisen, ohne Umzug, ohne Hausarbeit und ohne Durchfall. Zum Glück hatte ich Glück und meine Wünsche wurden wahr. Am Samstag fand der Kostüm- und Tanzumzug der Universitäten statt. Das ganze Jahr hatten alle Fachschaften aller Universitäten traditionelle Tänze einstudiert um diese samt Trachten bei der „Entrada Universitaria“ vorzuführen. Die gesamte Hauptstraße war seit den Morgenstunden gesperrt und mit Verkaufständen, vor allem für Bier gesäumt. Um einen Blick auf das bunte Treiben der Tänzerinnen und Tänzer zu werfen, musste man erhöhte Stellmöglichkeiten finden. Planen und übermäßige Tribünen versperrten teilweise die Sicht. Die Vorführung begann bereits morgens um neun, die Stimmung jedoch erst als es dunkel wurde. Die Tänze und Kostüme waren umwerfend schön und demonstrierten die ganze Vielfalt Boliviens. Man hatte viele Stunden Training in Choreografien und Abläufe gesteckt und dieser Ehrgeiz zahlte sich jetzt aus. Anders als sonstige Umzüge, bei denen es darum ging seinen alkoholisierten Körper ohne größere Verluste ins Ziel zu retten, wurde hier Kultur geboten. Da Studenten meist jüngere Leute sind, verfolgten die Tänze ein ganz anderes Tempo. Es tanzten jedoch nicht nur Studentengruppen, sondern auch ehemalige Studenten, oder eigentlich jeder, der eine Gruppe angemeldet hatte.  Nachdem wir uns ein wenig die morgendlichen Tänze angeschaut hatten, entschieden wir abends noch einmal vorbei zu schauen. Mit ein paar anderen Freiwilligen trafen wir uns zum Stimmung anheitern. Der abendliche Reigen durch die Straßen schien auch auf Grunde des größeren Alkoholpegels der Tänzerinnen und Tänzer nicht mehr ganz so koordiniert. Eine Gruppe entdeckte die Gringos am Straßenrand und lud sie ein, sie ein wenig zu begleiten. So waren wir plötzlich mittendrin und bekamen allerlei Kopfbedeckungen und Flöten in die Hand gedrückt. Auch das ein oder andere Getränk war dabei. Die Stimmung war prächtig und ausgelassen. Die darauf folgende Gruppe lud uns abermals ein, den Weg gemeinsam zurück zulegen und so waren wir endgültig Teil des Zuges. Am Straßenrand riefen uns begeisterte Damen zu und winkten uns zu sich her. Ich gab auf zu zählen auf wie vielen Erinnerungsfotos wir letztlich Modell gestanden hatten. Wir tanzten, sangen mit und hatten Spaß. Es war wohl einer der besten Abende in Bolivien bis jetzt. An einem Punkt traf ich meinen Exgastvater der mich halb lallend zum Mittagessen einlud. Er solle mich morgen anrufen, wenn es sicher wäre. Der Anruf blieb aus, worüber ich nicht unglücklich war.

Sonntags bis dienstags passierte nichts weiter nennenswertes, weswegen der aktuelle Wochenbericht schon jetzt endet.

Donnerstag, 25. Juli 2013

25

mittwoch, 17. juli

Heute ging es normal zur Arbeit. Ausnahmsweise hatte ich ein längeres Gespräch mit meiner Mitfreiwilligen während der Arbeitszeit, es gab allerdings auch wenig zu tun. Wir überlegten uns, wie wir die nächsten Wochen gestalten wollten.

donnerstag, 18. juli

Um die Kinder auf der Busfahrt ruhig zu stellen, sangen wir wieder „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ und es funktionierte einwandfrei. Mittlerweile kannten sie den Text schon so gut, dass man nach der Ankunft in Achocalla den ganzen Tag jemanden „DRO CHONOSEN“ singen hören konnte. Heute hatte ich meine Bande das erste Mal richtig im Griff und als sie gingen überhaupt nicht ausgelaugt. Wenn man weis, was man erreichen will, und die Kinder dies spüren, fällt vieles leichter.
In der Mittagspause machte ich einen kleinen Spaziergang durch die Umgebung und blieb bei einem Haus mit riesigem Kakteengarten stehen. Eigentlich wollte ich ein paar Kaktusfeigen kaufen, doch die einzige Person die ich traf, war eine gebrechliche Frau, die nur Aymara sprach. Sie verstand mich ebenso wenig wie ich sie, nicht einmal Arme fuchteltn konnte weiter helfen, da sie nahezu blind war. Als ich gerade gehen wollte, kam ihr Sohn vorbei, der Spanisch sprach und mir eine Tüte der entstachelten Feigen verkaufte.
Nachmittags kamen 5 Kinder Achocallas ins Projekt und ich gab ihnen eine kleine Fußballtrainingsstunde. Nicht einmal die Grundtechniken des Fußballs wie passen, annehmen, zusammen spielen werden den Kindern im Sportunterricht beigebracht, der fast nur aus Fußball besteht.
Seit meinem Umzug fahre ich jeden Morgen und jeden Abend über El Alto zur Arbeit und nach Hause. Eigentlich ging das um ca. eine halbe Stunde schneller als über die Zona Sur und den Feierabendstau. Doch mittlerweile merkte ich, das das chaotische Fahr- und Straßensystem El Altos ebenfalls ständigen Stillstand produzierten. Heute dauerte der Nachhauseweg wieder ewig, was allerdings auch daran lag, dass ich in eine andere Busnummer eingestiegen war. Statt über die Hauptstraße zum Endpunkt CEJA zu gelangen, machte der Bus eine Rundfahrt durch El Alto. Da nahezu alles gleich aussieht, würde eine 10-minütige Rundfahrt völlig reichen. Meine endete, als der Bus nach eineinhalb Stunden durch die Hexengasse tuckerte.
Auf beiden Straßenseiten standen dicht aneinander gereiht, kleine Gestelle, die mit blauer Plane überzogen waren. Die blaue Plane ist ein nahezu sicheres Indiz, dass in dieser Unterkunft mit übernatürlichen Kräften gearbeitet wird. Hinter den Eingängen verstecken sich seltsame Zutaten, die man käuflich erwerben kann. Mumifizierte Lamaföten gehören hier noch zum Standardinventar. Man kann sich auf unterschiedliche Weisen, wie z.B. Kokablatt lesen, in die Zukunft schauen lassen. Es gibt jedoch auch Meister, die einem von Schwüren befreien oder neue legen können. Die Sonne war beinahe untergegangen. Vor jedem blauen Zelt loderten Feuerstellen in der Dämmerung. Das verbrennende Geruchsholz verbreitete einen seltsamen Duft. Kinder spielten auf der Straße und Hexenmeister baten mich bei ihnen einzutreten. Nur das Vorbeilaufen war bereits ein magisches Erlebnis. Ich fühlte mich ein wenig mulmig, was wohl auch daran lag, dass nahezu alle Augen auf mich gerichtet waren. Vielleicht sogar die, die hinter den blauen Planen in Gläsern eingelegt waren. Was ein Gringito in dieser Straße verloren hatte, konnten wohl selbst ihre Voraussagungen nicht erklären. Irgendwann hatte ich den seltsamen Ort hinter mir gelassen und stieg in den Bus Richtung Heimat. Zum Glück hatte ich mich nicht verlaufen, denn zur Dunkelheit konnte es als auffälliger Weißer in diesen Vierteln ein bisschen ungemütlich werden.

freitag, 19. juli

Meine Arbeit bestand heute im Lama, Alpakaversorgen. Das hieß Kot wegräumen, Wasserschalen putzen, Essen geben, allerdings auch die süße Eulalia mit Milch zu füttern. Sie sprang umher und rannte mit gesenktem Kopf durchs Gehege um ihr Gleichgewicht nicht zu verlieren. Tierbabies könnte man stundenlang bei ihren unbeholfenen und trotteligen Bewegungen zuschauen, doch ich musste auch noch die Spielsachen in den Klassenzimmern sortieren. Auf einmal wurde mir schlecht und ich konnte es nur noch liegend auf dem Boden aushalten. Was hatte ich jetzt schon wieder Falsches gegessen? Den Nachmittagskindern war mein Unwohlsein egal, der Lehrer musste mitspielen, egal wie er sich am Boden krümmte.
Es war als hätte man mich all meiner Kräfte beraubt und ich schaffte es nach strapziöser Fahrt gerade noch nachhause ins Bett. War ich gestern in der Hexengasse in einen Fluch getreten?

samstag, 20. juli

Ich blieb ans Bett gefesselt.

sonntag, 21 juli

Meine Gastfamilie pflegte und hegte mich, doch aus dem Bett konnte ich noch immer nicht steigen.

montag, 22. juli

Mir ging es wieder besser und so ging es zur Arbeit, Tomatenstangen schnitzen und Ordnung ins Chaos der halbfunktionstüchtigen Spielzeuge bringen. Auch zuhause war die Ordnung ja ein großes Problem, weswegen mein Mitbewohner und ich entschieden eine große Mülltonne als Geburtstagsgeschenk für unsere Gastmutter zu kaufen. Kein besonders herzliches, dafür umso praktischer und dringend benötigtes Geschenk. Die Mülltüten, die sich im Hof stapelten und von unseren Hunden nach Essbaren durchsucht wurden, waren keine adäquate Innenhofverschönerung.

dienstag, 23. juli

Die Kinder hatte ich auch heute gut im Griff und so entschied ich, einen kleinen Spaziergang mit ihnen zu unternehmen. Zumal es nicht die Kleinen waren, die überall entwischen konnten, sondern die Großen, die schon ein wenig über die Folgen ihres Handelns nachdachten. Wir verfolgten den vertrockneten Flusslauf, ich erklärte ein wenig über Pflanzen und wie es kommen konnte, dass der Fluss gerade Urlaub machte. Überall entdeckten sie gespenstische Formen. Eine Wurzel war auf einmal das abgefallene Horn des Teufels und ein roter Stein ein Drachenei. Sie steigerten sich dermaßen in ihre Gruselgeschichten hinein, dass sie es an diesem seltsamen Ort mit der Angst zu tun bekamen. Als wir ein harmloses Loch passierten, sahen sie darin die Höhle eines Ungeheuers, erschreckten sich so stark, dass sie schnurstraks zurück zu Suma Qamaña rannten.
Dieses Faible für Horrorgeschichten stammt aus dem Gefängnis, wo Mütter und Geschwister ständig Geschichten über die Unterwelt zum Besten geben. Diese Schauermärchen hatten sich wohl schon so stark in Köpfen der Kinder eingebrannt, das sie manchmal ohne Grund Gespenster sahen. Ich hatte mich schon häufiger gewundert, warum sie im Projekt so häufig über Gespenster sahen oder nicht mehr kommen wollten, weil es hier spukte. Schon zum zweiten Mal innerhalb einer Woche war ich Zeuge des stark ausgeprägten Aberglaubens der bolivianischen Andenregion geworden.
Ich durfte früher gehen um zuhause am Geburtstagsessen meiner Gastmutter teilzuhaben.

Wir aßen, plauderten nett und genossen die Sonnenstrahlen im Hof.

Freitag, 19. Juli 2013

24

mittwoch, 10. juli

Die Krankheit streckte mich immer noch dahin und ließ mich kaum aus dem Bett aufstehen. Freitags hatte ich frische Milch aus dem Projekt mitgebracht, die mittlerweile leider nicht mehr ganz so frisch war und nur noch zu Quark verarbeitet werden konnte.

Vielleicht wäre es an dieser Stelle einmal Zeit, meinen neuen Wohnort und die Gastfamilie vorzustellen.
Ich wohne mittlerweile nicht mehr in der reichen Zona Sur, sondern oberhalb des Zentrums in der Nähe der Märkte zwischen Hauptfriedhof und Busterminal. Erzählt man Paceños von diesem Distrikt als Wohnort erhält man verwunderte Blicke. Mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit sind der andere Freiwillige und ich die einzigen lebenden Europäer oberhalb des Zentrums. Es sei gefährlich, hässlich und kalt, bei Nacht solle man sich gar nicht erst vor die Tür bewegen. Hässlich trifft zu, wie auf nahezu den ganzen Rest der Stadt. Zur Kälte: es mag tatsächlich einen Grad kälter sein als in der tiefer gelegenen Zona Sur. Es mochte vielleicht ein wenig gefährlicher sein, aber letztendlich benötigen Paceños Stereotypen um sich das Leben leichter zu machen. Stereotypen helfen ihnen außerdem in einem Gespräch auf das gleiche Endergebnis zu kommen um einem Streit aus dem Weg zu gehen. Ein Wohnort ist zugleich Statussymbol mit dem geprahlt werden kann. Mein neues Wohnviertel fällt zwar weit aus der Statuslinie gefällt mir aber umso besser. Es ist authentisch bolivianisch, d.h. etwas abgehalftert dafür lebhaft und zentrumsnah. Alles was Achumani, mein vorheriges Wohnviertel nicht ist.

Das Haus gehört der Familie, in der jeder Nachkömmling ein Stockwerk besitzt. Die gesamte Grundstücksfläche ist etwa gleichgroß wie die meines Exhauses, nur das sich nun nicht fünf sondern sechzehn Nasen die Fläche teilen. Es gibt keinen von Gärtnern gepflegten Garten mit Rasen und Grilllaube, sondern stattdessen einen Betonhof in dem ein ausgebauter Campinghänger steht. Statt drei Autos hängt an der Hauswand ein selbstgebauter Basketballkorb.
Im Erdgeschoss lebt meine Familie. Gastmutter und Gastvater besitzen ein Schlafzimmer, das sie momentan mit meiner 22-jährigen Gastschwester teilen. Nebenan schläft mein 16-jähriger Gastbruder, der vor einer Woche von seinem Austauschjahr aus Amerika zurückkam. Er schläft im Zimmer seiner Schwester, da seins durch den anderen Freiwilligen belegt ist. Meine 34-jährige Gastschwester wohnt noch zuhause in ihrem Zimmer. Des Weitern gibt es ein kleines Bad, bei dem ich mich die ersten Tage zum Duschen überwinden musste, da man es also schlecht gereinigt bezeichnen könnte. Das zweite noch kleinere Bad befindet sich im Hof. Die Ein-Bad-Pro-Bewohner-Politik aus Achumani würde hier schon aus Platzmangel scheitern. So gibt es noch das Durchgangs-Couch-Bibiolthek-Trocken-Einmüllzimmer, die kleine Küche und das Ess-Näh-Altarzimmer, in dessen Ecke nun mein Bettchen steht.

Die ersten Tage war immer etwas los. Statt zuvor so spät wie möglich zur Eingangstür hineinzuschleichen, konnte ich es jetzt kaum erwarten wieder zuhause zu sein. Jeden Abend wurde nach dem gemeinsamen Abendtee noch lange zusammen gesessen und Geschichten ausgetauscht. Meist waren wir nicht alleine sondern Freunde meiner Gastgeschwister belebten das Appartement zusätzlich. Mein Gastbruder erfüllte die Wohnung druchgehend mit Gitarrenklang, dem ich langsam, so schön er auch sein mochte, die Stille vorzog. Die war im gesamten Haus schwierig zu finden. Durch die dünnen Fenster wehten ständig Straßengeräusche hinein. Die ersten Nächte wurde ich von plötzlichen Bellanfällen, der dummen Haushunde Gorda oder Cosmo, aus dem Schlaf gezerrt. „Stubenrein“ schien den beiden Kötern sowohl auf spanisch als auch auf hundisch ein Fremdwort zu sein. Zimmertüren mussten immer verschlossen werden, außer man wollte sein Territorium neu markiert haben oder Socken suchen gehen. Auch in Achumani hatte ich jedoch schon einmal das Vergnügen neben einer wohlriechenden Wurst, die über Nacht ins Zimmer geschwebt war, aufzuwachen.
Zusammengefasst hatte ich nach dem Umzug etwas an Komfort, Ruhe und Privatsphäre eingebüßt, jedoch in Wärme, Freude und Zusammengehörigkeitsgefühl eingetauscht. Ein mehr als fairer Tausch und eine der großen Lehren dieses Jahres für mich. Alle schönen Dinge können menschliche Wärme nicht ersetzen.  

donnerstag, 11. juli

Auch heute war es nichts mit Arbeit. Meine Gastschwestern samt –cousins überredeten mich dennoch am Pasta- und Weinabend teilzunehemen. Leider konnte ich am Genuss nicht teilhaben, da Geschmacksnerven und Appetit noch immer blockiert waren.

freitag, 12. juli

Heute Abend sollte ich einen weiteren Teil der Gastfamilie kennen lernen. Meine Gasttante und ihren Sohn. Die Tante wohnte im Gegensatz zu uns in einem großen Anwesen. Hier gab es nicht das Problem, dass dreckiges Geschirr die Küche blockierte, da eine Empleada, im Haus wohnte sich diesem annahm. Ein Betten- und Platzmangel wäre hier auch fremd gewesen. Alle Zimmer des Hauses waren dezent, stilvoll und gemütlich eingerichtet, so dass man sich wohl kaum in einem bolivianischen Haushalt befinden konnte. Doch ohne Bewohner erinnert selbst das schönste Haus an ein Einrichtungshaus. Der riesige Garten wurde von Hunden und gerade gejäteten Unkraut bevölkert. Obwohl der Cousin schon studiert hatte und bereits seit einigen Jahren als selbstständiger Grafikdesigner arbeitete, wohnte er noch immer im Anbau bei Mutti. Der Anbau war absolut modern eingerichtet und hätte in Europa als Beispiel für jugendliches Wohnen herhalten können. Die vielen Actionfiguren und Videospiele im Schrank waren wohl Überbleibsel und Indikatoren des noch immer gehätschelten Sohnemanns. Mit zwei Familienpizzen und Eis bewaffnet, machten sich mein bolivianischer Gastbruder, mein deutscher Gastbruder und meine zwei über dreißigjährigen Gastcousins an einen Videospielabend. Ich fühlte mich als vierzehn/fünfzehnjähriger zurück gesetzt. Eine sorgenfreie Zeit.

samstag, 13. juli

Nach dem mich die drei wunderschönen Hunde meines Gastcousins wach geschleckt hatten, gab es Frühstück. Wir sollten noch kurz zum Mittagessen bleiben. Als wir um acht Uhr abends das Haus verließen hatten wir einen weiteren Teil der Verwandtschaft kennen gelernt. Eine nette Runde, in der gesungen und gegessen wurde und man jedem erklären musste wer man war und was man machte. Als meine Gasttante begann die Frauen zum Spülen, Basteln und sich um die Kinder Kümmern zu animieren und die Männer unter sich Gespräche führen lies, war ich verwundert. Eine aktive Feministin, wie sie meine Gasttante ist, trägt absichtlich zur Geschlechtrennung bei? Irgendetwas stimmte mit meiner Logik nicht überein. Der gesamte Tag half die Beziehungen innerhalb der Familie zu verstehen und warum meine Gastfamilie, die komplett anders gestrickt war mit diesem Teil wenig zu tun haben wollte.

sonntag, 14. juli

Obwohl ich keinen übertriebenen Sauberkeitsfimmel besitze, zogen mich das ganze dreckige Geschirr und der unappetitliche Küchenboden wie magisch zum Saubermachen an. Das wird mir in diesem Haus wohl noch häufiger passieren. Den Hausfrauentag machte ich mit mehrstündigem Kochen endgültig perfekt. Zum Dank für all ihre Mühen kochte ich der Familie Rösti mit Geschnetzeltem. Der Käsekuchen aus selbst gepresstem Quark machte jedoch Probleme. Der Höllenofen hatte ihn bereits nach fünfzehn Minuten fertig gebacken und die Kruste anbrennen lassen. So schnell werde ich den unkontrollierbaren Gasofen wohl nicht mehr einsetzen. Erschöpft von einem Tag in der Küche und all dem Probieren ging es ins Bett.

montag, 15. juli

Der Weg zur Arbeit dauerte nur zwei Stunden statt sonst der Hälfte. Einen Tag vor dem großen Jahrestag zur Gründung von La Paz hatte jede Kleinstgemeinschaft vom Lehrerkollegium bis zum Truthahnclub zum Marschieren aufgerufen. Die einzigen Zugangsstraßen sind wohl der Beste Ort um seinen Stolz kundzutun. Im Projekt war ich beschäftigt Stangen für die Tomaten zu schnitzen. Außerdem machte ich Bekanntschaft mit Eulalia. Das kleine Alpakababy war letzte Woche während meiner Krankheitsabwesenheit geschlüpft. Der Weg zurück nahm wieder 2 Stunden in Anspruch, da nun auch der Club der Ausschläfer seinen Marsch begonnen hatte. Endlich zuhause gingen wie mit meiner Gastschwester und Freunden zum Lasagneessen und anschließend aus.
In allen Straßen brannten Feuer, saßen Cholitas, die Essen und Hochprozentiges verkauften. Aus Stangen waren zeltähnliche Gebilde aufgebaut an denen grün-rote Lampions hingen. Die Farben der Stadt La Paz. Zwischen Cholitas und Gestängen ragten rießige Boxentürme hervor, die in schlechter Qualität „Musik“ herum plärrten. Es schien als wollte ganz La Paz zur Straßenfiesta werden.
In einer Bar waren wir damit beschäftigt einen fanatischen Bolivianer, der Deutschland liebte, abzuwimmeln. Er war so froh, dass unser Land „etwas“ gegen die Juden unternommen hatte, dass er unsere Gegenargumentation links liegen lies und uns zum Ausdruck seines Dankes seinen Kaschmirschal schenkte. Abzulehnen hatte keinen Sinn und ich beschloss um solchen Generve in Zukunft aus dem Weg zu gehen, bei Herkunftsfragen wieder mit Slowakei zu antworten. Zur Feier des Tages gingen wir zum ersten Mal nicht in einen Gringoladen aus, was wir auch gleich bereuen sollten. Es war nicht viel los und bis auf ein paar Singleseñoritas war keiner begeistert als wir in den Club eintraten. Weder die Achtziger noch die Neunziger konnten uns vom Tanzen abhalten. Erst als mein deutscher Mitbewohner plötzlich auf dem Klo verschwand, war die gute Stimmung dahin. Er hatte etwas in den Drink bekommen und k.O. lag er nun da. Zum Glück waren wir zu mehreren und konnten ihm helfen. Alleine hätte es auch ganz anders ausgehen können. Sein Geldbeutel war trotzdem weg. Das war wohl einer der letzten Besuche im einheimischen Nachtlokal.

dienstag, 16. juli

Als Festessen stand heute Zunge, Magen und Hasenkeule auf dem Speiseplan. All diese Köstlichkeiten wurden auf dem Markt gekauft. In den Straßen und Rinnsteinen schliefen mehr Nachteulen als sonst ihren Rausch aus. Zum ersten Mal seit meinem Einzug war die gesamte Familie im Haus. Nach einem Kochmarathon bei dem jeder seinen Part erfüllt hatte, stand eines der schmackhaftesten Essen, die ich bis jetzt in Bolivien verzehrt hatte auf dem Tisch.


Mittwoch, 10. Juli 2013

23

mittwoch, 3. juli

Nach dem gestrigen Chaos mit den Kindern, beredeten wir heute, wie wir in Zukunft ein erneutes Waterloo vermeiden wollten. Gemeinsam mit der Direktorin überlegten wir uns einige Ideen. Die Runde verlief sehr positiv wie alle Planungsgespräche, die ich bis jetzt in Bolivien miterleben durfte. Ob bei der Arbeit, im Fußball oder etwas mit Freunden unternehmen, im Ideenansatz lagen alle nahe an der Perfektion, doch an der Ausführung hatte bis jetzt immer gemangelt. Hoffen wir diesmal auf das Beste. Nachmittags war ich damit beschäftigt mit dem Pickel einen Platz für das Tierfutterstroh in die Erde zu hacken.

donnerstag, 4. juli

Vor zwei Wochen war die Gründerin und Präsidentin Silvia der Stiftung und des Projekts aus Buenos Aires eingetroffen. Sie wollte sich in den nächsten Wochen einen Überblick über Suma Qamaña schaffen, um dann mit neuen Ideen dem Projekt einen Anschub zu verpassen. Boliviens Regierung beschloss vor einigen Wochen den Fokus des Lehrplans zu ändern. In Zukunft sollte die Natur mit all ihren Themen im Mittelpunkt stehen und außerdem eine Verbindung zwischen den Fächern hergestellt werden. Als ausgebildete Pädagogin, die seit Jahren in diesem Lehrbereich forscht und Bücher veröffentlicht, möchte sie Lehrern in Seminaren auf unserem Gelände ihre Erkenntnisse mit auf den Weg geben und helfen den Sinn hinter den neuen Lehrmethoden vermitteln. Heute sollte der Anfang dieses Projekts stattfinden, bei dem Suma Qamaña beiläufig zu einer Einnahmequelle verholfen, als auch dessen Bekanntheit gesteigert werden sollte.
Um zu sehen, ob diese Idee umsetzbar wäre, begannen wir heute mit allen Schuldirektoren aus Achocalla, dem Distrikt in welchem sich Suma Qamaña befindet. Auch für die andere Freiwillige und mich könnte es sehr lehrreich sein, Tipps zum Umgang mit Kindern und Lehrmöglichkeiten zu erhalten. Bis jetzt mussten wir uns wohl eher auf Gefühl und Improvisation bei der Arbeit mit den Kindern verlassen, was häufiger noch mehr Probleme produzierte anstatt sie zu lösen.
Die Direktoren sollten heute in die Rolle von Kindern schlüpfen, um so die Wirkung der neuen Methoden zu erleben. Bevor es losgehen konnte, mussten wir jedoch noch vor deren Ankunft alles Mögliche vorbereiten. Das hieß Arbeitsblätter kopieren, sortieren und zusammen tackern, einen Präsentationsraum herrichten und Stühle schleppen, ... Warum man dies nicht schon die letzten Tagen, statt im letzten Stress vorbereiten konnte, war die bolivianische Frage.
Die Direktoren sangen, lernten in einer Präsentation und einer Art Schnitzeljagd das Projekt kennen und wurden beim Kochen mit hauseigenen Zutaten eingebunden. Sie waren sehr interessiert, diskutierten angeregt über die spielerischen Methoden und waren am Ende so begeistert, dass sie uns ankündigten bald mit ihrem gesamten Kollegium bei uns einzutreffen.
Der Tag war also ein voller Erfolg. Ich war die ganze Zeit als Fotograf und Assistent beschäftigt und half bei Fragen über Tiere und Pflanzen mit Erklärungen.
Eigentlich hatte meine Gastfamilie, schon seit Monaten geplant gemeinsam dienstag in die Salzwüste Salar Uyuni fahren, doch das Projekt hatte sein Veto eingelegt. Der heutige Donnerstag sei eines der wichtigsten Events des Jahres, das ich auf keinen Fall verpassen konnte. Meine Tätigkeit und Lehrerfahrung des Tages lag jedoch gegen null.
So brachen wir nach komplizierter Umplanung erst heute Abend auf. Obwohl das Busterminal nur 5 Minuten Fußweg von zuhause weg liegt, schafften wir es, den Bus zu verpassen, der glücklicherweise für uns noch einmal umkehrte.
Meine Arbeitswoche, der Stress des Umzugs der Vorwoche und der daraus resultierende Schlafmangel hatten mich so müde gemacht, dass ich im Bus sofort einschlief.

freitag, 5. juli

Anscheinend war ich der Einzige der auf der Horrorholperstrecke nach Uyuni geschlafen hatte. Der Rest der Familie hatte es anhand ihrer Augen und Klagen wohl nicht. Ich musste wohl sehr müde gewesen sein, da ich sonst der letzte bin der in Bussen schlafen kann, erst Recht auf Boliviens Schotterpisten. Kaum aus dem Bus ausgestiegen, wurden wir schon wild von Verkäuferinnen belagert, die der Hoffnung waren uns noch eine Tour an drehen zu können. Wir waren jedoch schon versorgt und wurden sogleich von unserem Guide abgeholt. Nach einem kleinen Frühstück und Gang durch den Ort Uyuni, der ohne Zweifel als Schauplatz für einen Western hätte dienen können. Staubige, leere Straßen, spärlich wachsende Bäume, Häuser deren Putz kaum noch bröckeln konnte, ab und an Personen, die mit ins Gesicht gezogenen Hut im Hauseingang hockten. Dazu fegte ein Wind, der durch die Gassen fegte, der den Straßenhunden die Hängeohren nach oben blies. Dann begann die dreitägige Tour durch die Salzwüste und ihre surrealen Landschaften.

samstag, 6. juli

sonntag 7. juli

Bevor in den Bus nach La Paz stiegen gingen wir noch zu Abend essen. Gar nicht so leicht, wenn die Bedienung eines Restaurants nur Aymara und kein Spanisch weder rechnen kann und man Sonderwünsche stellt. Meine Gastschwestern erteilten mir anschließend eine Lehrstunde wie Frauen ihre Notdurft in der Straße verrichten. Eine bolivianische Spezialität.

montag, 8. juli

Diesmal kam ich im Bus nicht zum Schlafen. Nach gefühlten 50 Stunden im Auto in den letzten drei Tagen war ich doppelt glücklich endlich aussteigen zu dürfen. Die Arbeit musste ich auch ruhen lassen, weil ich ruhen musste.   

dienstag, 9. juli

Irgendwie hatte ich mich bei Gastbruder und Mutter angesteckt und lag flach.


22

mittwoch, 26. juni

Vor einer Woche traf eine spanische Architektin von Architekten ohne Grenzen im Projekt ein. Sie wird auf dem Gelände nebenan, das ebenfalls zu meiner Stiftung gehört, bis Ende Oktober ein Bauprojekt abschließen. Um einige der Kinder dauerhaft außerhalb des Gefängnisses unterzubringen werden 5 Wohneinheiten für jeweils fünf Kinder plus einen Lehrer gebaut. Jede Wohneinheit besitzt Schlafräume, Küche, Bad und Aufenthalts-/Esszimmer. Der gesamte Komplex wird zudem durch einen großen Aufenthaltsraum, einen Nutzgarten und ein kleines Gehege ergänzt. Drei der fünf Häuser wurden bereits letztes Jahr fertig gestellt, der Rest soll nun mit neuem Geld folgen. Es werden Arbeitskräfte benötigt und ich bin mehr als willkommen zu helfen. Diese Baustelle kommt wie gerufen für mich. Momentan gibt es an den kinderfreien Tagen leider wenig zu tun und ich spiele schon seit langem mit dem Gedanken Architekt zu werden. Meine Arbeitszeit kann ich also im doppelten Sinne nutzen. Ich werde gleichzeitig helfen und dabei etwas über das Bauen, Mitarbeiterführung und Wertstoffplanung lernen. Die Pläne stehen bereits und müssen nun an das Gelände angepasst werden. Heute durfte ich beim Grundrissemarkieren helfen. Um die runden Formen exakt auf den Boden zu bringen, wurde aus Draht und Eisenstift ein improvisierter Zirkel gebaut, mit dem wir den Grundriss in den Boden ritzten. Anschließend wurden die Markierungen mit Kalk bestreut um zu wissen, welche Bodenpartien für das Fundament heraus gegraben werden mussten. Es machte Spaß und ich hoffe, ich werde die nächsten Wochen noch häufiger die Chance haben, hier zugegen zu sein.

donnerstag, 27.juni

Auch heute kamen die Kinder nicht, die Angst nicht wieder eingelassen zu werden war zu groß. Dafür erfuhren wir heute, dass die Gefängnismütter Suma Qamaña nicht mehr trauten. In einem Fernsehbericht war die Frage aufgekommen, ob es denn schon Kapazitäten geben würde, wo alle Kinder ab Ende des Jahres untergebracht werden könnten. Ein Regierungssprecher gab zu Antwort, dass man mit vielen Organisationen in Kontakt stünde und Suma Qamaña schon jetzt 100 Kinder zum Wohnen aufnehmen könne. Pure Blufferei um von einer undurchdachten Entscheidung abzulenken. Mit uns hatte natürlich keiner gesprochen. Stattdessen warten wir noch immer auf das Einlösen unseres Vertrages mit der Regierung. Seit Januar hätte uns Geld für Transport, Essen und Unterbringung der Kinder überwiesen werden müssen. Bis heute erreichte Suma Qamaña kein Centavo. Dabei war Anfang des mit großen Bimbamborium und Fernsehdelegation dieser wichtige Schritt „für unsere Kinder“ vollzogen worden. Sich jetzt auf uns zu berufen, war einfach nur dreist und ein schwerer Imageschaden für uns. Die Mütter werden so schnell kein Vertrauen in einer Organisation finden, die ihnen ihre Kinder wegnehmen will. Über die bolivianische Regierung kann man des Öfteren nur den Kopf schütteln.
Nachmittags half ich noch einmal bei der Baustelle mit.
Abends fuhr ich das erste Mal über El Alto Richtung Stadt. Heute wurde mein neues Bett im neuen Zuhause aufgebaut. Nach einem kleinen Abendessen im neuen Familienkreis fuhr ich durch die ganze Stadt zum Nochhaus. In meiner Nochbleibe durfte ich mir weiter nichts vom bevorstehenden Wechsel anmerken lassen, was nicht weiter schwer war, da alle Familienmitglieder ausgeflogen schienen.  

freitag, 28. juni

Heute Morgen hatte ich bereits mit dem Packen begonnen. Alle Schränke waren leer und mein Rucksack voll. Ich konnte es kaum noch abwarten. Plötzlich stand meine Gastmutter im Zimmer, was sonst nie geschah. Außer der Empleada wusste noch keiner im Haus Bescheid, dass ich morgen umziehen würde. Eine Schrecksekunde. Zum Glück war schon alles im Rucksack verstaut. Noch vor ein paar Minuten war in meinem Zimmer ein Haufen zusammengelegter Klamotten und sonstiger Habseligkeiten gelegen. Hätte sie das gesehen, wäre ein unangenehmes Gespräch unausweichlich geworden.

Im Projekt hatte ich vor Tagen die Idee gehabt den gesammelten Lamakot in einer Jauchegrube zu sammeln, um ihn dann als Dünger für unsere Nutzgärten zu verwenden. Zwar war er bereits vorher als Dünger verwendet worden, doch unzersetzt und in ganzen Stücken nützen die trockenen Köttel dem Boden so wenig wie ins Beet gelegte Steine. Ich verkleidete also ein Loch mit Plastikplane und schaufelte die Exkremente hinein. Anschließend goss ich Wasser dazu um das Gemeng richtig schmackhaft zu gestalten.
Abends erfuhr ich dann warum meine Gastfamilie die letzten Abende immer erst spät nachhause gekommen war. Der Onkel, den ich sehr gern hatte, lag im Krankenhaus. Ein Problem mit seiner Leber hatte seine Haut und Augen gelb gefärbt und er war gerade noch rechtzeitig eingeliefert worden. Schön, dass man eine solche Information 3 Tage später auch endlich erfährt. Sie hatten währenddessen von AFS erfahren, dass heute unser letzter gemeinsamer Abend anstand. Es gab Pizza und Versprechen auf jeden Fall weiter in Kontakt zu bleiben, da wir eine so tolle gemeinsame Zeit gehabt hatten. Wir redeten noch ein bisschen ausführlicher und es gab von beiden Seiten kleine Schuldeingeständnisse. Außerdem interessierten sie sich das erste Mal ernsthaft für meine Arbeit. Sie waren bestürzt, dass es über 1000 Kinder in La Paz gibt, die im Gefängnis wohnen müssen. Als normaler Bürger hätte man doch überhaupt keine Möglichkeit an solche Informationen zu gelangen. Auch das mir ständig Drogen angeboten würden, lies sie ungläubig dreinblicken. Drogen an öffentlichen Plätzen, das könne nicht sein. Was seien denn die Preise und seien es gute Waren? Mir wurde wieder bewusst in welch abgekapselter Welt sie lebten und war froh ab morgen in einer Familie zu leben, die vor den hiesigen Missständen die Augen nicht verschloss und offen darüber redete. Andererseits waren die Wochen seit dem Vorfall sehr angenehm verlaufen und ich hatte mich hier wieder wohl gefühlt. Es war dennoch die richtige Entscheidung zu gehen, denn es war nur eine Frage der Zeit bis wieder etwas Seltsames, ein unvorhergesehener Ausbruch oder eine Beschuldigung geschehen würde. Die fehlende Verbindung zwischen ihnen und mir würde nie hergestellt werden können. Außerdem war es in diesem Haus einfach langweilig.

samstag, 29. juni

Gegen sechs Uhr stand ich auf um alles vorzubereiten. Die letzten Sachen wurden verpackt. Ich wollte sie auf ein leckeres gemeinsames Frühstück einladen. Die am Vortag gekauften Früchte wurden für einen Fruchtsalat geschält und geschnitten, der Tisch gedeckt und gewartet bis mein Gastvater aufstand um mit mir Salteñas kaufen zu gehen. Wie alles in der Zona Sur waren sie etwas teurer als normal, dafür ausgesprochen lecker und frisch zubereitet. Das Frühstück verlief bis auf das nicht alles aufgegessen wurde ohne Zwischenfälle. Meine Sachen und ich waren abfahrtsbereit aber der letzte Lockenwickler meiner Gastmutter musste noch gesetzt werden. Wir kamen mehr als eine Stunde zu spät am AFSbüro an. Sie hatten schon angerufen und gefragt, ob meine Familie mich nicht gehen lassen wollte. Der Abschied verlief schmerzfrei und kurz und wir verhandelten, dass wir morgen gemeinsam den kranken Gastonkel im Krankenhaus besuchen würden. Mit dem Taxi und der AFS-Mitarbeiterin ging es weiter Richtung jetzt offizieller Gastfamilie. Es war einer der wenigen Taxifahrer in La Paz, die ich bis jetzt ausschweifend reden gehört hatte.
Als wir all meine Sachen ausgepackt hatten, wurde ich freundlich zuhause wilkommen geheißen, es wurde ein gemeinsamer Tee mit der AFStante getrunken, die dabei los ließ, dass sie meine Exgastfamilie ebenfalls nicht leiden konnte, vor allem die Mutter für unberechenbar hielt. Ich räumte alles ein und legte mich erst einmal aufs Bett. All die Sachen, die ich die letzten Tage von der frühen Morgen- bis zur späten Abendstunde erledigt hatte, machten sich bemerkbar. Es war vollbracht, eine wahre Last fiel von meinem Körper.

sonntag, 30. juni

Mit meiner neuen Gastschwester ging ich nachmittags nach El Alto, auf die Feria 16 de Julio. Die Straßen eines ganzen Stadtviertel sind gefüllt mit allen Sachen, die man sich zu kaufen vorstellen kann. Vom Flugzeugsitz bis zum Pinguin, von 3m-Plüschbären bis zu gebrauchten Designerklamotten aus den USA. Und alles zu günstigsten Preisen. Ich wollte lediglich ein paar alte Klamotten erwerben, da meine Kleidung durch die viele körperliche Arbeit im Projekt doch sehr in Mitleidenschaft gezogen wurde. Für 3€ hatte ich am Ende des Tages neue Hausschuhe, eine gebrauchte Jeans, zwei Pullover zum Arbeiten, eine warme Jacke gekauft und zusätzlich noch einen Teller „Ranga“ – Kuhmagen mit Salat und Kartoffeln gegessen. Den meisten Spaß hat man jedoch beim Beobachten all der seltsamen Objekte die zu Verkauf stehen. Eine Straße ist z.B. mit ausgebauten Autoteilen gefüllt, von denen man selten den exakten Einsatzort erahnen kann, da sie bis zur kleinsten Mutter auseinander geschraubt wurden. Auch Verkaufsgesprächen zu lauschen hat seinen Unterhaltungswert. Jeder möchte seinen letzten Kram an den Mann bringen, sobald man seinen Blick zu lange auf etwas gerichtet hat. „Llevarte pues joven!“ – „Nimm’s doch mit, Junge!“
Eine Verkäuferin wollte dem Freund meiner Gastschwester eine Lederpeitsche verkaufen. „Nimm sie doch für deine Ehefrau mit.“ – „Und was soll sie damit machen?“ – „Geschlagen werden.“ – „Im Ernst?“ – „ Ja, die ist gut. Mein Mann wendet sie auch die ganze Zeit an. Sieh her.“ Unverholen zeigte sie einen Striemen auf ihrer Schulter. Verkaufssprüche wie „Diese wunderbaren Ski bin ich auch schon gefahren“, kennt man ja. Aber gegen ein solches Statement wirken diese nahezu lächerlich. Andererseits erhascht man hierdurch auch einen Einblick in Denkweisen der dörflichen Gesellschaft des Hochlands. Der Mann ist der Herrscher und darf seine Frau behandeln, wie er möchte. Häusliche Gewalt ist hier ein starkes Problem. Alle drei Tage stirbt eine bolivianische Frau an Folgen der Schläge ihres „Liebsten“.
Meine Gastschwester, energische Frauenrechtlerin, war von der Aussage einer Frau, die mit Stolz eine Misshandlung zu Schau stellte, erbost. Nicht über die Verkäuferin sondern die Gesellschaft, die dies als normal hinnimmt.

montag, 1. juli

Meine Gastfamilie ist physonomisch sehr klein, geradezu winzig. Das lerne ich nun auf die neue Art. Ins Bett passe ich nicht einmal diagonal und beim Eintritt in die Küche stieß ich mir verschlafen den Kopf.
Im Projekt kam heute eine neue Freiwillige an, die ebenfalls mit mir in Bolivien angekommen war und ebenfalls Projekt und Familie wechselte. So zeigte ich ihr alles und versuchte ihr Umgangstipps mit den Kindern zu geben, die ab morgen wieder kommen sollten.

dienstag, 2. juli

Die Kinder waren tatsächlich wieder da. Im Bus sang ich mit den Kindern: „Alle meine Entchen“ und „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“. Alle Kinder fanden die ungewohnten Lieder samt ungewohnter Sprache enorm witzig und waren so abgelenkt, dass sie gar nicht auf die Idee kamen, sich zu hauen. Sie wollten unbedingt den Text lernen und waren anschließend stolz mir ein spanisches Kinderlied beizubringen. Als wir ankamen, drehten sie auf einmal auf. Die neue Lehrerin war natürlich das Thema. Mein vorbereitetes Programm konnte ich dem Wind trällern, es hatte heute keinen Sinn mit ihnen zu arbeiten. Irgendwie schienen alle aufgewühlt. Vielleicht war die Angst der letzten Wochen bald die Familie verlassen zu müssen noch nicht verblasst. Schuld war allerdings auch die ungewohnte Altersverteilung. Aufgrund der begonnenen Schulferien gab es einen höheren Anteil älterer Kinder, die dienstags normalerweise die Schulbänke drückten. Die Ältern lassen sich noch weniger sagen, haben einen stärkeren eigenen Willen und bei ihren Schlägen fließt normalerweise schnell Blut. Zu genau einer solchen Schlägerei war es gekommen. Beim friedlichen Fußballspiel gab es zwischen einem Mittleren und einem Älteren Unstimmigkeiten, wer den Ball passen sollte. Natürlich flogen sofort Fäuste und Beine. Diese plötzliche Kampfbereitschaft und Aggressivität macht mich manchmal ungläubig. Noch bin ich stärker und konnte die beiden Streithähne am Schlawittich packen und trennen. Als sie sich einigermaßen beruhigt hatten und zur Entschuldigung die Hand geben sollten, setzte es den nächsten Tritt. Es hatte keinen Zweck. Gerade hatte ich den Ältern der beiden der Direktorin übergeben, da machte er sich los, sprang über die Mauer und rannte davon.
Ich ging mit ein wenig Abstand hinterher um ihm keine Angst zu machen. Der Rest meiner Gruppe sollte von jemand Anderen überwacht werden. Er hatte mich mittlerweile bemerkt und machte langsamer, es schien als wolle er, dass ich ihn einhole. Heulend setzte er sich auf eine Mauer. Ich legte meinen Arm um ihn und begann ihn zu beruhigen und mit Nachfragen über Schule, Freunde und Fußball sein Vertrauen zu gewinnen. Es täte ihm Leid, und er wisse, dass er nie wieder zu Suma kommen dürfe, obwohl er diesen Ort so liebte. Er hatte Angst, seine Freunde aus dem Gefängnis und seine Eltern nie wieder zusehen. Bald würde man ihn dort wegreißen. Er würde nur schlecht behandelt werden und keiner würde sich um ihn kümmern. Seine Eltern würde er nur noch alle 3 Monate sehen können. Die Eltern trichtern ihren Kindern wohl gut ein, wie schlimm alle Menschen außerhalb der Gitter sind. Ich hatte also nicht Unrecht mit meiner Theorie gehabt, warum es heute so unruhig gewesen war. Die Regierungspläne über die Gefängniskinder schafften nur Panik. In den Gefängnissen wurden schon die wildesten Theorien gesponnen und den Kindern übertriebene Angst eingejagt. Spätestens jetzt wurde einem wieder mehr als deutlich, welchen Umständen diese Kinder ausgesetzt sind.
Kleine Spiele wie Steinweitwurf und gutes Zureden, bei dem ich ihm deutlich machte, dass sich vieles zum Guten wenden würde, beruhigten ihn. Ich erzählte ihm, dass auch ich meine Eltern seit sechs Monaten nicht mehr gesehen hatte und dass wenn man sich wieder trifft alles beim Alten ist. Nein, seine Eltern würden ihn nicht vergessen.

Ich konnte ihn überreden wieder zum Projekt zurückzukehren. Auf dem Weg zurück und in Einzelbehandlung erzählte er mir tausend Kindheitserinnerungen und blickte wehmütig auf die Fotos im Klassenraum, in dem er sich beruhigen sollte. „Das ist der, und das jener, die lebt mittlerweile nicht mehr im Gefängnis, der auch nicht. Hier haben wir das gemacht, dort das. Das war eine schöne Zeit.“ Ich war stolz nur mit Worten sein Vertrauen gefunden zu haben  und stolz die erste knifflige Situation einigermaßen souverän gemeistert zu haben. Dass die Situation aller Kinder im Gefängnis unzumutbar und dringend geändert werden musste, war wie in meinen Kopf gemeißelt.

21

mittwoch, 19. juni
Heute wurde ich ins Blumengießen und Tiere füttern eingewiesen. Mit einer Sachertorte wurde der Abschied des anderen Freiwilligen ein wenig versüßt.
Familiär war nicht viel los, da ich wieder einmal spät nachhause kam und sich keiner dafür interessierte.
donnerstag, 20. juni
Zum ersten Mal musste ich die Kinder alleine abholen, und fast wäre ein zu kleines mit eingestiegen. Autorität scheine ich noch keine zu besitzen, denn auf mich hört so gut wie keiner. Der Hausmeister, der gleichzeitig Chauffeur ist meinte zum mir, dass nett sein, im Gegensatz zu Anschreien nicht helfe. Ich solle es mal damit versuchen. Nunja, ob mir damit geholfen sein wird.
Ein paar Auffällige meiner Betreuungsgruppe kannte ich mittlerweile bei Namen und Macken. Da allerdings jedes Mal Neue kamen, war es gar nicht einfach die Gruppe im Griff zu halten. All dieses mit Kinder beschäftigt sein, lässt mich immer häufiger an meine eigene Kindheit denken. Vergangene Momente spielen sich im Kopf von Neuem ab. Ich begreife welches Glück ich im Leben hatte. Ich wohnte nicht mit meinen Eltern im Gefängnis. Meine Eltern kümmerten sich immer sehr um mich und brachten mir vieles bei. Ich möchte nicht schleimig schreiben, doch man lernt dieses unheimliche Glück tatsächlich zu schätzen.
Diese Einflüsse öffnen einem neue Denktürchen. Themen wie Pädagogik, Führungsstil und Lernvermittlung kommen einem auf einmal in den Sinn. Wie kann ich hier besser agieren, wie dort, wie verhalte ich mich in dieser Situation richtig? Wie schaffe ich es alle Kinder zu motivieren, mitzureisen und sie gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen zu lassen? Man wird sich bewusst, dass das ganze Erziehungsspektrum nicht locker von der Hand läuft, sondern viel Nachdenken und Wissen voraussetzt. Wissen welches ich nicht besitze.
Ich wurde hier jedoch schon häufig ins kalte Wasser geworfen und bin zuversichtlich, es auch dieses mal wieder trocken heraus zu schaffen. Vielleicht sind alle neuen, kleinen Schocks, die es zu meistern gilt, der größte Lerneffekt des außer Landes sein.
Die Kinder verschafften mir erneut einen unentspannten Vormittag. Es ist enorm schwierig alle unter Kontrolle zu halten. Die meisten besitzen eine extrem kurze Aufmerksamkeitsspanne und lassen sich sofort von ihrem eigenen Ziel ablenken. So wird z.B. das Malen oder Puzzeln, das gerade eben noch interessant war, einfach abgebrochen. Gründe gibt es viele: mal wird in der anderen Ecke des Raumes eine Schublade erblickt, in der sich vielleicht etwas Interessantes befinden könnte, dann rennt draußen ein Kind der anderen Gruppe vorbei, das man nun fangen möchte. Außerdem sind die Zeichnungen der anderen weitaus spannender als die eigene. Um das andere Kind zu reizen wird also ein Strich durch die andere Zeichnung gemacht oder am Papier gerissen. Daraus entwickelt sich eine kleine Prügelei, in die andere einsteigen oder die Ablenkung des Aufpassers nutzen um aus der Tür auf den Spielplatz zu rennen. Einfangen nahezu zwecklos. Zum Mittagessen ist man froh, einmal durchatmen zu können.
Dass die Kinder ernsthafte Probleme haben wird zum Beispiel beim Malen deutlich. Ich wollte herausfinden, wie sie einfachste Formen malen würden und welche Farben sie verwenden würden. Könnte man etwas aus ihrem Gefühlszustand ablesen?
Erst einmal wurde sich um die Stifte geschlagen. Jeder Zweiertisch hatte die gleichen Farben. Das schnellere Kind nahm sich jedoch alle Farben, setzte sich auf sie drauf oder hielt sie fest in der Hand, an Teilen wurde nicht gedacht. Dieses stark ausgeprägte Besitzen möchten, war mir schon häufiger aufgefallen. Nach den Farbstiften zu fragen war auch ausgeschlossen, entweder wurde geheult oder dem anderen eine rein gehauen.
Als man alle ermutigt hatte, die Stifte zu teilen konnte es losgehen. Als Familien gemalt wurden stand jedes Familienmitglied einzeln, nicht einmal hielt sich jemand an den Händen. Das malende Kind malte sich häufig an den Rand. Der Papa, den man nie sah war auffallend oft groß in der Mitte gemalt. Jede Familie besaß Haustiere obwohl im Gefängnis keiner welche besitzt. Wieder andere überkritzelten das Bild mit dunkeln Stiften, manche auch obwohl sie sich beim Familienzeichen zuvor viel Mühe gegeben hatten. Ein anderes malte einzig eine kleine schwarze Sonne an den oberen Rand des Blattes. Man muss kein Psychologe sein, um sich über die Aussagekraft dieser Bilder Gedanken zu machen.
Abends war ich zum Geburtstag der Gastcousine des andern Freiwilligen, bei denen ich so oft zu hause war, eingeladen. Um sieben sollte das kleine Abendessen beginnen, aber gutgläubig wie ich war, war ich viel zu früh. Pünktlich zu kommen wird hier nicht erwartet. So musste ich noch 2einhalb Stunden warten, bis mehr als 4 Leute eingetroffen waren. Da außerdem noch nichts vorbereitet war, half ich sowohl beim Kochen, als auch Getränke kaufen.
Es ging gemütlich zu und ich konnte noch einmal über meine Gastfamilienerlebnisse der letzten Wochen klagen. Ich hoffte hier bei der Suche nach einer neuen Gastfamilie Hilfe zu finden. Freunde der Familie wären bereit jemanden aufzunehmen.
Auf einmal wurde ich von der Gastfamilie meines Freundes in ein Zimmer gebeten. Sie hätten mich die letzten Wochen ständig leiden gesehen. Da ich die letzten Wochen, sowieso fast täglich hier vorbei geschaut hätte, hätten sie sich überlegt mich gänzlich bei sich auf zu nehmen. Ich konnte es nicht glauben. Ich hatte es seit dem ersten Eintritt in dieses Haus immer heimlich gedacht. Am liebsten würde ich ebenfalls auf Dauer hier wohnen. Aber in meinem Kopf konnte ich dieses freundliche Angebot nicht einfach so verarbeiten. Die Familie wirkt sehr bescheiden und ist weit vom Einkommen meiner momentanen Gastfamilie entfernt. Außerdem müssen sie schon einen Fremden in ihrem kleinen Appartement durch füttern. Zudem kehrt ihr richtiger Sohn kommende Woche aus Amerika zurück. Wo soll in diesem Stockwerk Platz sein? Ich bedankte mich also für das Angebot und wiederholte noch einmal meine Bitte, mir einfach nur bei der Suche zu helfen. Sie meinen es ernst und ich solle mir keine Sorgen über Platz oder Geld machen. Sie bekämen, dass schon hin und hätten die letzten Tage gut darüber nachgedacht. Der einzige der zusagen müsse, sei ich. Ich war ob dieses unglaublichen Angebots sprachlos überwältigt. Ich bat um eine Nacht Bedenkzeit. Mittlerweile war es schon spät und das gemütliche Abendessen zu einem Familienumtrunk mutiert. Nun war es wieder so weit. Jeder Gast musste der Reihe nach ein paar ehrliche und freundliche Worte an das Geburtstagskind richten. Ein sehr schönes Geburtstagsritual bei dem eine höchst emotionale Stimmung entsteht und nicht selten die Tränen kullern. Mehr aus Rührung als aus ehrlichen, [verletzenden] Worten, versteht sich.
Es fuhren nun keine Busse mehr und so konnte ich meine Bedenknacht direkt hier verbringen.
freitag, 21. juni
Ich hatte mich entschieden, ich wollte es hier versuchen. Sie hatten mich angebettelt hier zu wohnen, sodass eine Ablehnung einer Beleidigung gleich käme. Doch dies war nicht der Grund. Ich wusste, dass ich mich in dieser Familie wohl fühlen würde. Es würde kein hinter dem Rücken verraten geben, es würde ein Gemeinschaftsgefühl geben, es würde sich nicht um Schein und Sein drehen. Ich würde in einer ehrlichen, bescheidenen Familie, ein unverfälschteres Bolivien, weg vom 2500$-Staubsaugern und Präsentationslocken kennen lernen. Ich würde in einer Familie voller Leben leben, in der man sich ernst genommen fühlt. Ich würde zwar weniger im Luxus leben, dafür jedoch glücklich sein. Denn eins hatte ich schon jetzt in Bolivien verinnerlicht. Alles Geld und alle Annehmlichkeiten lassen einem bei weiten nicht glücklicher und zufriedener leben. Oder frei nach einer Kreditkartenreklame. Eigenes Bad: $ 8597, 67. Drei Autos im geleckten japanischen Vorgarten: $97638,50. Wärme und Freude: unbezahlbar.
Ich teilte meinen Entschluss mit und die Freude war auf beiden Seiten groß. Wir vereinbarten AFS um Erlaubnis zu fragen und bei Zusage ab Sonntag alles für den Umzug in die Wege zu leiten.
Aufgrund des unruhigen Schlafs vieler Gedanken, schaffte ich es leider nicht an der Aymaraneujahresfeier teilzunehmen. Traditionell wird am kürzesten und kältesten Tag des Jahres zur Sonnenwendfeier ein Ritual abgehalten. Es werden Opfergaben gebracht, Schamanen lesen aus verschiedenen Naturgegebenheiten die Zukunft. Das größte und bekannteste findet an einer der ältesten Opfer- und Ritaulstätten Südamerikas statt. In Tiwanaku, ca. eineinhalb Autostunden von La Paz entfernt. Das ca. vor Christus gebaute Areal ist der archäologische Stolz Boliviens. Die Tiwanaku waren ein andines Volk, das mit der ersten zivilisierten Besiedlung mit Sozialsystem im Andenraum begann.Viele ihrer Innovationen im Handwerk, der Architektur und spiritueller Form wurden später von den bekannteren Inka übernommen. Die Kultur der Tiwanaku verschwand aus unklaren Ereignissen um ca. 1200 nach Christus völlig von der Bildfläche. Es gibt keine überlieferten Schriften oder Sprachen. Die Aymara, die später den das Hochplateau Boliviens bewohnten, scheinen nicht mit ihnen verwand zu sein. Der Brauch der Sonnenbegrüßung ist jedoch auch in ihrer Kultur wichtiger Bestandteil. Durch die jahrelange Unterdrückung aller Indigenen beginnend mit der Ankunft der Spanier bis zur heutigen Zeit, war es schwierig alle Bräuche aufzubewahren und im großen Kreise zu feiern. Dennoch wurden viele Sagen, Bräuche und Glauben der Prekolonialzeit durch Generationen konserviert. Viele Menschen Boliviens sind deswegen nach wie vor recht abergläubisch und offen für übernatürliche Theorien. Ausdruck der weiterwährenden Präsenz der Naturreligionen sind z.B. die ständigen Opfergaben an Pachamama. Mit der Ankunft des ersten indigenen Präsidenten Evo Morales stärken neue Gesetze die Rechte der Indigenen, die immer dreiviertel der Bevölkerung ausmachen. Seit dem beginnen alte Bräuche und Tänze wieder aufzukeimen und die Leute beginnen wieder mehr oder weniger stolz auf ihre Wurzeln zu sein.
Zurück zum Sonnengruß in Tiwanaku. Vor dem Sonnenaufgang versammeln sich mittlerweile tausende Leute, sowohl Bolivianer als auch Ausländer um den Gang der Sonne durch das Sonnentor Tiwanakus zu beobachten. Denn nur am 21. Juni zu Sonnenaufgang kann man dieses mythische Schauspiel betrachten. Um die bibbernde Kälte des Altiplanos zur kältesten Stunde in der kältesten Nacht des Jahres auszuhalten, wird sich wie so oft in Bolivien mit Alkohol gewärmt. Anschließend wird auf dem Opferaltar ein Lama geopfert und z.B. aus der Lage der Innereien die Zukunft gedeutet. Die Zeremonie wird von Schamanen durchgeführt, die mit speziellen Kräutermischungen und Sprüchen um ein gutes neues Jahr bitten. Mittlerweile ist dieses Ritual jedoch nahe an den Rand des Kommerz angelangt und auch der Präsident kann sich sein Erscheinen in Tiwanaku nicht mehr verkneifen. Zu wichtig ist die mediale Wirkung.
Zum Glück war deswegen heute Feiertag und ich konnte zuhause ein wenig Schlaf nachholen. Im baldigen Exhaus half mir meine Liebe fürs Rollenspielen, so zu tun als sei gestern nichts geschehen oder besprochen worden.
samstag, 22. juni
Es schien niemand zuhause zu sein, denn den ganzen Tag erblickte ich keine Menschenseele. Wir hatten uns zwar die letzten Tage versöhnt und die Stimmung war so gut wie lange nicht, dennoch war ich nicht sauer alleine sein zu dürfen. Es war seit Wochen das erste Wochenende zu Hause und es gab viele Ereignisse, die sich seitdem zugetragen hatten. Ein wenig verarbeiten tat ganz gut.  
sonntag, 23. juni
Heute besuchte ich das neu eröffnete olympische Schwimmbad. Eigentlich war es in den 70er Jahren erbaut, jedoch nie fertig gestellt worden. Vor zwei Jahren wurden die Bauarbeiten wieder aufgenommen und vor Wochen die Einweihung gefeiert. Geöffnet hatte es seit dieser Woche. Eine andere Freiwillige und ich wollten nun endlich die 50m Bahn ausprobieren um ungestört schwimmen zu gehen. Angekommen überraschte uns der Bademeister mit einem Eintrittskriterium. Um schwimmen zu dürfen, bräuchten wir ein Gesundheitszertifikat, da es aufgrund der Wassertiefe gefährlich sei zu schwimmen. Dieses werde im Sportministerium ausgestellt, das montags bis freitags von 9-12 und von 15-17 Uhr geöffnet hätte. Wer konnte schon zu diesen Zeiten ein Ministerium aufsuchen? Wollten sie nicht, dass das teuer rennovierte Schwimmbad genutzt wird? Welche Aussage hat ein Gesundheitsgutachten wenn man nicht schwimmen kann? Nach langer Überzeugungskunst durften wir ausnahmsweise hinein. Fertig gebaut war hier noch lange nichts, aber was tut man nicht alles für ein wenig Propaganda. Insgesamt schwammen 4 Schwimmer im großen Becken, heute wurden noch 8 Weitere erwartet. Das kurze Überschlagen der Personal und Heizkosten im Vergleich zu Eintrittseinnahmen ließ mich an eine tiefrote Zahl denken. Das Schwimmbad ist wohl mehr Prestige als Nutzobjekt. Seine beeindruckende Form mit geschwungenem Dach ist bereits von weiten zu erkennen. Man kann der Bevölkerung, die vom im Großteil vom Schwimmen ebenso viel Ahnung wie ein Lama hat, jedoch gerne vorspielen, dass mit diesem famosen Wassertempel eine neue Wassersportära eingeleitet wird. Und 2016 in Rio die Medaillen schneller purzeln, als man Evo sagen kann. Die Beziehung der Bolivianer zu Wasser im Allgemeinen könnte man ebenfalls sehr gut analysieren.
montag, 24. juni
Nach der Arbeit ging es Richtung neuer Behausung um im Esszimmer eine Nische für mein Bett zu schaffen. Alles musste raus, und der Boden seit 2 Jahren mal wieder nass gewischt werden. Erschöpft von zwei Arbeiten kam ich zuhause an. Meine Familie samt Freunden saß am Tisch. Heute war schon wieder Feiertag. FEHLLLLLLT Um die innere Kälte in den Abendstunden zu vertreiben wird sich mit warmen Speisen aufgewärmt. Traditionell wird Leche con Leche getrunken. Das erste Leche steht für warme Milch, die mit Zimt, Gewürznelken, reichlich Zucker und anderen Gewürzen abgeschmeckt wird. Das zweite Leche steht für den Singani, den bolivianischen Traubenbrand, der der Milch beigemischt wird. Ohne Alkohol geht es hier einfach nicht. Irgendwie muss die Wärme eben auch im Körper gehalten werden. Als Speise stehen seit einigen Jahren traditionell Hotdogs auf dem Plan. Der hiesigen Wurstindustrie wird hierfür ein nicht kleiner Anteil zugeschrieben. So wurde gegessen und belanglose ZonaSur-Gespräche geführt. „Ach wie schön war doch neulich,… wie witzig dies und das…“ Irgendwann hörte ich nur noch halb hin. Ich war glücklich dieser heilen Scheinwelt [wie sie mir vorkam] bald zu entfliehen. Bis zum Wochenende musste ich noch verheimlichen, dass ich ab nächster Woche hier nicht mehr mit am Tisch sitzen würde.
dienstag, 25. juni
Wie immer hatte ich an der Tür zum Gefängnis geklopft, wie immer hatte ein Polizist geöffnet. Nur die Kinder wollten heute nicht kommen. Eine aufgewühlte Mutter bat mich um Verständnis. Ein Polizist konnte mir schließlich den Sachverhalt erklären. Aufgrund eines neuen Gesetzes hatte es wohl große Unruhen im Gefängnis gegeben. Das Gesetz verbietet, dass Kinder über 6 Jahren sich im Gefängnis bei ihren Eltern aufhalten. Diese Reglung besteht zwar schon, doch sie wurde nie kontrolliert und eingehalten. Die Regierung lies nun in einer Mitteilung verlauten, dass alle Kinder, die dieses Alter überschritten haben, bis zum Ende des Jahres woanders untergebracht werden. Dabei kam es zu einem Vorfall im Männergefängnis San Pedro. Die Polizei gewährte einigen zu alten Kindern, nachdem sie von der Schule zurückgekommen waren keinen Einlass. Stattdessen wurden sie aufgesammelt und an einen anderen Ort gefahren. Die Frauen hatten nun Angst, dass ihren Kindern das gleiche Schicksal widerfahren würde.

Meine freie Zeit verwendete ich um das Spielgelände samt Fußballplatz von reinragenden Ästen zu befreien. Meine Hände und Klamotten waren aufgekratzt und verharzt. Es war eine Qual durchs Unterholz zu kriechen und mit einer stumpfen Schere und wackelnden Sägeblatt die Bäume zu stutzen. Trotzdem ging ich am Ende des Tages, froh etwas Nützliches getan zu haben, glücklich nachhause.

Samstag, 22. Juni 2013

zwanzigste woche

mittwoch, 12. juni

Um acht Uhr morgens traf ich mich mit einem anderen Freiwilligen, der mich mit zu seinem Projekt nahm. Meiner neuen Arbeitsstelle. Ich war so wild darauf wieder zu arbeiten, dass ich unabsichtlich eine halbe Stunde zu früh am Treffpunkt war. Als das Warten vorbei war, fuhren wir im Minibus vorbei an den großen Häusern der Zona Sur, vorbei an bald belagerten Bauplätzen am Golfplatz, vorbei an der teuersten Privatuni Boliviens, Richtung Achocalla. Mein neuer Arbeitsort liegt zwischen La Paz und El Alto, im Teil mit der wohl geringsten Bevölkerungsdichte. 20min entfernt der Luxusvillen der Zona Sur beginnt das karge Landleben Achocallas. Wenn man Straßen, Häuser, und die unzähligen Nutztierkleinherden betrachtet kann man nicht glauben, dass man sich nur wenige Kilometer entfernt der wachsenden, ständig hektischen Großstädte befindet.
Winzige Bauernhöfe, mit Feldern nicht größer als ein Fußballplatz reihen sich in die Landschaft voll seltsamer Felsformationen ein. Die Ortbilder bestehen aus ebendiesen Höfen, kleinen Handwerksbetrieben, Tante Emma Läden und staubigen Nebenstraßen, an deren Rändern Schafe, Kühe und was sonst noch zum Grasen angebunden sind. Als ich diesen Kontrast das erste Mal sah, konnte ich meinen Augen kaum glauben.
Mitten im ruhigen Dorfleben befindet sich die kleine aber feine Anlage meiner neuen Arbeit. Auf einer kleinen Anhöhe befindet sich ein idyllisches Areal mit fünf weißen Bungalows, einem über allen thronenden schiefen Turm, einem Spielplatz, kleinem Sportfeld, zwei geräumigen Gewächshäusern, 6 Lamas, 5 Hennen und unzähligen Inzuchtkaninchen und -meerschweinchen. Das Projekt Suma Qamaña [aymara für: Gutes Leben/Lebe Gut] bemüht sich Kinder, die mit ihren Eltern im Gefängnis leben, eine Auszeit dieses tristen Ortes anzubieten. Mit spielerischen und anschaulichen Lernen wird versucht den Kindern nützliche Lehren mit auf den Weg des Lebens zu geben. Dies ist auch dringend notwendig, da die Regierung es versäumt den Kindern, die unverschuldet im Gefängnis leben eine Perspektive zu bieten.
Ihre Eltern sitzen wegen aller möglichen Delikte im Gefängnis und es ist ihnen erlaubt, ihre Kinder in dieses unwirkliche Ambiente mitzunehmen. Obwohl bolivianische Gefängnisse weit lockerer gehandhabt werden, sind sie noch lange kein angemessener Ort für Kinder. Im größten Gefängnis La Paz im San Pedro, welches großzügig für 400 Insassen ausgelegt wurde, leben momentan über 2000 Personen, darunter etwa 400 Kinder. Man kann sich die Platzverhältnisse und Umgangsweise der dort Wohnenden kaum vorstellen. Viele der Inhaftierten kehren nach Freilassung direkt hinter Gitter zurück und gehen nicht über Los. Sie werden auf die ständige wechselnde Welt außerhalb kaum vorbereitet, sind total überfordert und werden häufig nur Wochen später bei ähnlicher Straftat geschnappt. Mit ihnen kehren auch deren Kinder zurück in Gefangenschaft. Ein für uns normales Leben ist ihnen nicht bekannt. Insofern braucht man sich nicht wundern, welchen Weg die Sprösslinge häufig einschlagen. Meist bleibt ihnen auch kein anderer Weg, als der Gang in die Kriminalität.
Zurzeit kommen einige Kinder des Frauengefängnisses zweimal die Woche zu uns, wo wir uns mit ihnen beschäftigen. Es wird angestrebt, die Frequenz und Anzahl der bei uns zu betreuenden Kinder zu erhöhen um sie auf ein ähnliches Niveau, wie noch vor Jahren zu bringen als sie fast täglich vorbei schauten.
Suma Qamaña besteht bereits seit acht Jahren und beruht auf der Idee und Initiative einer argentinischen Pädagogin und Schriftstellerin, der Gründerin und Präsidentin Suma Qamañas.
An meinem ersten Tag lernte ich zuerst das Gelände und seine Mitarbeiter kennen, da die Kinder momentan nur dienstags und donnerstags morgens zu Besuch sind. Zu meinen Kollegen gehören die Direktorin, die Köchin und der Mann für alles, mit dem ich wohl die meiste Zeit verbringen werde. Ein solches Anwesen muss gepflegt werden und es wird bei erstem Anblick wohl ständig etwas zu reparieren geben. Der hier arbeitende Freiwillige wird leider schon in einer Woche nach Deutschland zurückkehren, genug Zeit mich in die gröbsten Kniffe einzuweisen.
Nach der Kennenlernrunde verabschiedete ich mich für heute von den sehr netten, zukünftigen Kollegen und begab mich nachhause um den Verabschiedungskuchen für die netten Exkollegen fertigzubacken. Mit der hoffentlich, leckeren Falschen Schwarzwälder kam ich zum Überraschungsbesuch im Büro an. Es war gut noch einmal tschüss gesagt zu haben und auch die Torte kam gut an. Als alle gegangen waren unterhielt ich mich noch eine Weile mit meinem Lieblingskollegen. Das Thema Fundare war nun endgültig abgeschlossen. Sicherlich hatte ich auf der einen Seite einige schöne Momente, die ich mitnehmen werde, aber auf der anderen Seite mehr Leerlauf als in allen Rushhourstaus zusammen. Gepaart mit anderen unfeinen Tatsachen ist es das Beste Lebewohl zusagen und einzusehen, dass manchen nicht gerne geholfen wird. Um die netten Kollegen tut es mir Leid, aber mit ihnen kann ich mich noch immer privat treffen, sollte ich das Verlangen spüren.
Zum wahrscheinlich letzten Mal verließ ich das anonyme Hochhausinnenleben des Büros im Herzen La Paz. Welch Unterschied zu meinem neuen Arbeitsplatz in der Natur, bei dem ich wohl vor allem an der frischen Luft in Freiheit arbeiten werde.
Ich betrachtete das abendliche Treiben im Zentrum und schaute den Universiätstänzern beim Üben für ihre Parade zu. Als die Wartezeit überbrückt war ging ich zum Fußballtraining eines Kumpels, den ich beim nächtlichen Ausgehen kennen gelernt hatte. Offenheit öffnet viele Türen. Dieses Motto habe ich nun noch mehr verinnerlicht. Gegen Mitternacht traf ich nach einem ereignisreichen Tag an meinem Bett an. Alles wird, dachte ich mir und flüchtete in die Traumwelt, in der ich zusätzlich eine besser passende Gastfamilie fand.

donnerstag, 13. juni

Am ersten vollen Arbeitstag durfte ich dann direkt die Kinder kennen lernen. Um 0830 trafen wir uns vor dem Frauengefängnis im Stadtteil Obrajes. Exakt dasselbe Gefängnis in dem ich vor ein paar Wochen noch leere Plastikflaschen eingesammelt hatte. Diesmal ging ich aber nicht hinein, sondern musste an der Türe warten bis uns die Kleinen raus geschickt wurden. Alle Altersklassen von 4-10 waren anwesend und der andere Freiwillige war schon routiniert genug, die zu kleinen abzuweisen. Sobald der Altersunterschied in der Gruppe zu groß ist, ist es noch schwieriger mit den Kindern zu arbeiten. Außerdem fehlt es den zu jungen Kindern an Eigenständigkeit, weswegen sie besondere Aufmerksamkeit benötigen, die wir ihnen nicht schenken können. Zu alte Kinder hingegen sind zu eigenständig, und rebellieren in teilweise nicht zu kontrollierenden Maß.
Als alle 22 in einen normalen Minibus [Größe VW-Bus] eingestiegen und der Streit um Sitze beigelegt worden war, fuhren wir Richtung Suma Qamaña. Auf dem Weg wurde noch Brot fürs Frühstück und Fleisch für das Mittagessen eingekauft. Während der Fahrt mussten die Kinder immer wieder zum Richtigsitzen und nicht Herumklettern im vollbesetzten Auto hingewiesen werden. Außerdem gab es bereits die ersten kleinen Prügeleien zu schlichten.
Angekommen begann der Tag mit gemeinsamem Fahnenhissen. Hierzu mussten die Kinder unter viel Aufwand in ihre jeweilige Altersklassereihe eingereiht werden. Dann begannen wir gemeinsam eine moderne, südamerikabejahende Hymne zu singen, die von Pantomimen begleitet wurde. Direkt im Anschluss begrüßten wir uns mit einem typischen „Guten Morgen liebe Kinder“ – „Guten Morgen Lehrer Bla, guten Morgen Lehrer Blö“-Chor begrüßt. Statt einem waldimäßigen „Guten Morgen liebe Bäume, guten morgen liebe Sonne“ werden in Suma Qamaña die Berge Illimani, Mururata und Wayna Potosi begrüßt. Die imposanten schneebedeckten 6000er umrahmen und beschützen das Tal Achocalla. 
Ich sollte gleich die Gruppe mit den Kleinen übernehmen. Und schon beim Frühstück hatte ich so meine Probleme mit den 4-6jährigen. Allein das Plätze verteilen war mühseliger als „normale“ Kinder überreden ins Bett zu gehen. Schon aus Prinzip wurde jeder Vorschlag abgelehnt. Als dann der Becher warme Milch mit Brot kam ging es weiter. „Ich möchte aber keinen blauen Becher, da ist mehr drin, ich mag kein rundes sondern ein eckiges Brot,…“ Beim Rückenzudrehen wurde sich geschubst, Brot geklaut oder Milch ausgeleert. Einige Kinder mussten immer wieder ermutigt werden, doch noch einen Schluck Milch zu nehmen, während andere aufstanden und nach Spielbaren im Raum suchten. Hatte man diese wieder eingesammelt oder überredet sich an ihren Platz zu setzten, war das nächste Kind bereits dabei jemand anderen den Andersfarbigen Plastikstuhl zu entwenden.
Tatsächlich hatten es nach einiger Weile alle geschafft ihre winzige Mahlzeit zu beenden, oder auf dem Boden zu verteilen. Es konnte also weiter gehen. Sie selber Puzzles aus dem Spieleschrank holen zu lassen, war keine gute Idee. Denn ein Puzzle, das selbst mit Fäusten bearbeitet nicht zusammen passen will, wird schnell langweilig. Anstatt es aufzuräumen kann man es ja auf den Boden lagern und mit Bauklötzen, Dominos und anderen Puzzleteilen mischen. Ohne Erfahrung mit einer Kindergruppe wurde ich etwas angespannt und ließ sie einfach weiter machen. Zusammenarbeit funktionierte auch nicht, da jeder seine Teile für sich behalten wollte. Sobald man ein Pärchen überreden wollte, begann hinter dem Rücken schon der nächste kleine Streit. Eine der Kleinen hatte schon einen sehr ausgeprägten Charakter für eine Vierjährige. Sie kommandierte die anderen herum und begann als erste die Grenzen des neuen Lehrers auszuloten. Zwischenzeitlich hatten einige Kinder die Tür geöffnet und vergnügten sich im Freien. Es schien unmöglich diese Bande im Griff zu halten. Mit netten Fragen und Bitten kam man nicht weiter. Man bekam zwar das Versprechen sich jetzt besser zu verhalten, doch sobald man das Kind losgelassen hatte, war es schon wieder entwischt.
Da alles keinen Sinn hatte, schickte ich sie direkt alle auf den Spielplatz.
Doch auch dort konnte genug angestellt werden. Steine wurden geworfen, andere stibitzen Bälle aus dem Bällebad und verteilten sie auf dem Gelände. Wieder andere wollten gerne vom Lehrer gefangen werden und entfernten sich aus dem Spielgelände.
Man hatte mir zwar gesagt, dass die Süßen frech seien, aber eine solche Rasselbande hatte ich nicht erwartet. Am Ende war ich froh, das keiner sich verletzt hatte oder verloren gegangen war.
Beim Mittagessen kam es zu weiteren Essensschlachten und vielen Knüffen auf Hinterkopf, Rücken und Rippen. Als endlich alle wieder im Bus saßen atmete ich erst einmal tief durch und widmete mich meinem Teller, da ich zuvor nicht dazu gekommen war.
Nachmittags kamen 6 Kinder aus dem Ort vorbei, mit denen es eine Leichtigkeit war etwas zu unternehmen. Zwar konnte ich auch ihre Namen nicht, aber wenn man ihnen etwas sagte so wurde es auch gemacht. Keiner stand auf um den anderen vom Stuhl zu werfen oder durchs Klassenzimmer zu hüpfen. Kurz gesagt, es war ein Weltenunterschied und die Arbeit fühlte sich nicht wie Arbeit an, sondern machte richtig Spaß.
Interessant wie unterschiedlich Kinder seien können, und wie viel das Umfeld in dem sie aufwachsen damit zu hat. Ich hatte es mit Kindern aus der gleichen Stadt, im gleichen Alter zu tun. Beide leben nicht in Saus und Braus, denn auch auf dem Land in Achocalla geht es eher rustikal und karg zu. Dennoch war das Verhalten der beiden Gruppen so unterschiedlich, dass einem die Umstände im Gefängnis schon beim ersten indirekten Blick bewusst wurden. Letztlich sind die Kinder ein Spiegel ihres Umfelds und reflektieren ihre Erfahrungen durch ihr Verhalten. Und ein solches Verhalten in einer ganzen Gruppe dieser Altersklasse, war mir noch nie unter die Augen gekommen. Man sollte diese also nicht verschließen und sehen, dass es an vielen Orten der Erde genau solche Zustände geben kann und Hilfsprojekte sinnvoll sind. Die Kinder, die mit ihren Eltern im Gefängnis leben müssen, trifft selbst keine Schuld für ihren Wohnort. Doch durch all diese Erlebnisse und Einflüsse wird es nicht leicht für sie im „normalen“ Leben Fuß zu fassen. Es macht einem hilflos mit anzusehen, wie ein Leben ohne Selbstverschulden möglicherweise in eine Sackgasse führt, bevor es richtig beginnt.
Das sind harte Worte, doch genau so fühlte ich mich auf der Busfahrt nachhause und vor dem Einschlafen, als ich die Erlebnisse des Tages verarbeitete.

Abends stand außerdem die lange erwartete Strafverhandlung mit AFS an. Noch immer war ich mit sechs Monaten Reiseverbot belegt. Entgegen aller Versprechungen hatte es nämlich kein Mitglied AFS es geschafft, während der 5 Tage Seminar mit uns zu reden und zu verhandeln. Wir kamen also abends ins Büro, wo uns ein Komiteemitglied erwartete. Wir hatten ihn zuvor nie gesehen, wirkte jedoch sehr freundlich und entspannt. Er verstünde unsere Lage, da er selbst einmal zum Austausch im Ausland lebte. Er wolle, dass wir uns für alle Seiten positiv einigten. Das Gespräch war schnell erledigt, nach wiederholten Entschuldigungen unsererseits, wurden wir noch einmal gefragt was unserer Meinung nach eine sinnvolle Strafe sei. Wir plädierten dafür, dass wir vor allem aus der Strafe lernen wollten, was bei nicht reisen wohl nicht möglich sei. Uns wurde mitgeteilt, dass man sich -darauf verständigt hatte uns wieder reisen zu lassen unter der Bedingung, dies eine Woche vorher anzukündigen, was dem allgemeinen Konsens entsprach. Sollte noch einmal etwas vor fallen, säßen wir direkt im Flieger nach Deutschland. Das war uns Warnung genug. Glücklich glimpflich davon gekommen zu sein, verarbeitete ich die positiven Erlebenisse der letzten 2 Tage.

freitag, 14. juni

Der zweite richtige Arbeitstag seit Wochen war ein bewölkter und regnerischer. Die gestrigen Erkenntnisse waren soweit verarbeitet und so ging es heute darum, bei Ausbesserungsarbeiten zu helfen. Vormittags backten wir Brot. Der Hefeteig ging auf, woraus wir Bollen formten, die im Gasofen backten. Nach 2 Stunden waren die 200 „Sarnitas“ [flache Brötchen] fertig, die tausendmal leckerer schmeckten als die sonst Üblichen. Anschließend trugen wir die Brotkörbe zu den örtlichen Läden und verkauften das Stück für 2.5 €-cent. Gewinn machten wir logischerweise keinen.
Nachmittags sollte der Eingang zum Nähraum mit einer Ex-Bücherladenmarkise überdacht werden. Das schwere Eisengestell, welches mit einer Plane überzogen war, sollte von uns zwei großen Freiwilligen angehoben werden, während der Hausmeister Markierungen für die Bohrungen setzte.
Als Leiter diente ein wackliger Stuhl, der auf einem wackligen Tisch platziert wurde. Eine alte Bohrmaschine, deren zu kurzes Kabel am Ende, nicht aus Stecker sondern zwei Drahtenden bestand, musste in eine Steckdose ohne Büchse gesteckt werden. Mit den zwei Enden wurde also so lange in der Steckdose herum gefummelt, bis die Bohrer sich zu drehen begann. Da die Maschine bewegt werden musste, fielen die Kabel immer wieder aus der Steckdose und es durfte von neuem gefummelt und heißer Draht gespielt werden. In der weichen Gipswand rutschte der Bohrer immer wieder ab, und auch das nicht sehr stabile Untergestell half nicht den Bohrer gerade in die Wand einzuführen. Die Bohrlöcher waren also krumm und schief. Als ein Dübel zur Probe eingesteckt wurde, auch noch zu groß. Da es keinen anderen Bohraufsatz gab, wurde lustig, wacklig weitergebohrt. Nach einer Weile wurde noch einmal die Ausrichtung getestet, wozu wir das schwere Eisengestell wieder anheben mussten. Die Bohrlöcher des Gestänges stimmten nicht ganz mit ihren Cousins in der Wand überein, aber das ging schon klar. Die Schrauben wurden dann eben schief eingestzt und hielten nicht ganz. Auch die Dübel fühlten sich in der Wand wohl nicht wohl und wollten diese wieder verlassen.
Nachdem das mehrstündige Lehrstück bolivianischer Improvisationskunst abgeschlossen war, blieb das schwere Gestell zu meiner Verwunderung einigermaßen sicher an der Wand hängen. Ich schwor mir dennoch, mich in den nächsten Monaten so wenig wie möglich unter diesem Dach aufzuhalten und nur im letzen Notfall Regenschutz zu suchen.
Die untersten Streben hingen außerdem zu tief, sodass sie mir die nächsten Tage zweimal unsanft den Kopf streichelten.

samstag, 15. juni, sonntag, 16. juni

Ein normales langweiliges Wochenende mit der Familie ging vorbei, wir versuchten gut miteinander auszukommen, was jedoch einigermaßen gut funktionierte.

montag, 17. juni

Der erste Montag im Projekt bestand aus sinnloser Tätigkeit. Die Chefin war nicht anwesend und der Hausmeister wollte uns nicht früher gehen lassen. So sollten wir die Steine, die überall die Wege markieren, weiß anmalen. Mir einem Eimer Kalk und einem Pinsel bewaffnet, pinselte ich also drei Stunden Steine. Besser als wie zuvor nichts zu tun.

dienstag, 18. juni

Mit der Empleada des Hauses verstehe ich mich nun immer besser, so dass sie mir sogar einen Zettel mit Worten auf Aymara mitbrachte. Da sie selber nicht schreiben kann,, musste ihr Sohn, dies für sie erledigen. Außerdem lud sie mich zu sich nachhause ein, um mir zu zeigen wie sie wohnt. Mal schauen, wann ich das die nächsten Wochen unterbringe.
Nach kleinen Plausch musste ich zur Arbeit und die Kinder abholen. Schon im Bus wurden aus Langeweile die Fäuste herausgeholt. Für die nächsten Wochen muss ich mir eine Beschäftigung für die Busfahrt ausdenken. Im Projekt angekommen lief es wie das letzte Mal ab. Einzig beim Puzzeln und auf dem Spielplatz spielen war einigermaßen Ruhe im Karton.
Die Kinder machten mir wieder ganz schön zu schaffen. Keiner hörte, sie büxten aus und ständig begannen Schlägereien. Ein Kind musste sich nur dumm angeguckt fühlen, da ging es schon auf den anderen los. Heute musste ich das erste Mal richtig schlichten. Woher ein vierjähriges Kind wohl gelernt hatte, die Fäuste zum Schutz vors Gesicht zu heben, ein wenig zu tänzeln, mit einem Tritt den anderen zu überraschen um ihn dann mit geballter Faust direkt ins Gesicht zu schlagen?


Abends traf ich mit zwei Freundinnen, die untypisch bolivianisch in einer WG wohnten.