mittwoch, 12. juni
Um acht Uhr morgens traf ich mich mit einem anderen
Freiwilligen, der mich mit zu seinem Projekt nahm. Meiner neuen Arbeitsstelle.
Ich war so wild darauf wieder zu arbeiten, dass ich unabsichtlich eine halbe
Stunde zu früh am Treffpunkt war. Als das Warten vorbei war, fuhren wir im
Minibus vorbei an den großen Häusern der Zona Sur, vorbei an bald belagerten
Bauplätzen am Golfplatz, vorbei an der teuersten Privatuni Boliviens, Richtung
Achocalla. Mein neuer Arbeitsort liegt zwischen La Paz und El Alto, im Teil mit
der wohl geringsten Bevölkerungsdichte. 20min entfernt der Luxusvillen der Zona
Sur beginnt das karge Landleben Achocallas. Wenn man Straßen, Häuser, und die
unzähligen Nutztierkleinherden betrachtet kann man nicht glauben, dass man sich
nur wenige Kilometer entfernt der wachsenden, ständig hektischen Großstädte
befindet.
Winzige Bauernhöfe, mit Feldern nicht größer als ein
Fußballplatz reihen sich in die Landschaft voll seltsamer Felsformationen ein.
Die Ortbilder bestehen aus ebendiesen Höfen, kleinen Handwerksbetrieben, Tante
Emma Läden und staubigen Nebenstraßen, an deren Rändern Schafe, Kühe und was
sonst noch zum Grasen angebunden sind. Als ich diesen Kontrast das erste Mal
sah, konnte ich meinen Augen kaum glauben.
Mitten im ruhigen Dorfleben befindet sich die kleine aber
feine Anlage meiner neuen Arbeit. Auf einer kleinen Anhöhe befindet sich ein
idyllisches Areal mit fünf weißen Bungalows, einem über allen thronenden
schiefen Turm, einem Spielplatz, kleinem Sportfeld, zwei geräumigen
Gewächshäusern, 6 Lamas, 5 Hennen und unzähligen Inzuchtkaninchen und
-meerschweinchen. Das Projekt Suma Qamaña [aymara für: Gutes Leben/Lebe Gut] bemüht
sich Kinder, die mit ihren Eltern im Gefängnis leben, eine Auszeit dieses
tristen Ortes anzubieten. Mit spielerischen und anschaulichen Lernen wird
versucht den Kindern nützliche Lehren mit auf den Weg des Lebens zu geben. Dies
ist auch dringend notwendig, da die Regierung es versäumt den Kindern, die unverschuldet
im Gefängnis leben eine Perspektive zu bieten.
Ihre Eltern sitzen wegen aller möglichen Delikte im
Gefängnis und es ist ihnen erlaubt, ihre Kinder in dieses unwirkliche Ambiente
mitzunehmen. Obwohl bolivianische Gefängnisse weit lockerer gehandhabt werden,
sind sie noch lange kein angemessener Ort für Kinder. Im größten Gefängnis La
Paz im San Pedro, welches großzügig für 400 Insassen ausgelegt wurde, leben
momentan über 2000 Personen, darunter etwa 400 Kinder. Man kann sich die
Platzverhältnisse und Umgangsweise der dort Wohnenden kaum vorstellen. Viele
der Inhaftierten kehren nach Freilassung direkt hinter Gitter zurück und gehen
nicht über Los. Sie werden auf die ständige wechselnde Welt außerhalb kaum
vorbereitet, sind total überfordert und werden häufig nur Wochen später bei
ähnlicher Straftat geschnappt. Mit ihnen kehren auch deren Kinder zurück in
Gefangenschaft. Ein für uns normales Leben ist ihnen nicht bekannt. Insofern
braucht man sich nicht wundern, welchen Weg die Sprösslinge häufig einschlagen.
Meist bleibt ihnen auch kein anderer Weg, als der Gang in die Kriminalität.
Zurzeit kommen einige Kinder des Frauengefängnisses zweimal
die Woche zu uns, wo wir uns mit ihnen beschäftigen. Es wird angestrebt, die
Frequenz und Anzahl der bei uns zu betreuenden Kinder zu erhöhen um sie auf ein
ähnliches Niveau, wie noch vor Jahren zu bringen als sie fast täglich vorbei
schauten.
Suma Qamaña besteht bereits seit acht Jahren und beruht auf
der Idee und Initiative einer argentinischen Pädagogin und Schriftstellerin,
der Gründerin und Präsidentin Suma Qamañas.
An meinem ersten Tag lernte ich zuerst das Gelände und seine
Mitarbeiter kennen, da die Kinder momentan nur dienstags und donnerstags
morgens zu Besuch sind. Zu meinen Kollegen gehören die Direktorin, die Köchin
und der Mann für alles, mit dem ich wohl die meiste Zeit verbringen werde. Ein
solches Anwesen muss gepflegt werden und es wird bei erstem Anblick wohl
ständig etwas zu reparieren geben. Der hier arbeitende Freiwillige wird leider
schon in einer Woche nach Deutschland zurückkehren, genug Zeit mich in die
gröbsten Kniffe einzuweisen.
Nach der Kennenlernrunde verabschiedete ich mich für heute
von den sehr netten, zukünftigen Kollegen und begab mich nachhause um den
Verabschiedungskuchen für die netten Exkollegen fertigzubacken. Mit der
hoffentlich, leckeren Falschen Schwarzwälder kam ich zum Überraschungsbesuch im
Büro an. Es war gut noch einmal tschüss gesagt zu haben und auch die Torte kam
gut an. Als alle gegangen waren unterhielt ich mich noch eine Weile mit meinem
Lieblingskollegen. Das Thema Fundare war nun endgültig abgeschlossen.
Sicherlich hatte ich auf der einen Seite einige schöne Momente, die ich
mitnehmen werde, aber auf der anderen Seite mehr Leerlauf als in allen
Rushhourstaus zusammen. Gepaart mit anderen unfeinen Tatsachen ist es das Beste
Lebewohl zusagen und einzusehen, dass manchen nicht gerne geholfen wird. Um die
netten Kollegen tut es mir Leid, aber mit ihnen kann ich mich noch immer privat
treffen, sollte ich das Verlangen spüren.
Zum wahrscheinlich letzten Mal verließ ich das anonyme
Hochhausinnenleben des Büros im Herzen La Paz. Welch Unterschied zu meinem
neuen Arbeitsplatz in der Natur, bei dem ich wohl vor allem an der frischen
Luft in Freiheit arbeiten werde.
Ich betrachtete das abendliche Treiben im Zentrum und
schaute den Universiätstänzern beim Üben für ihre Parade zu. Als die Wartezeit
überbrückt war ging ich zum Fußballtraining eines Kumpels, den ich beim
nächtlichen Ausgehen kennen gelernt hatte. Offenheit öffnet viele Türen. Dieses
Motto habe ich nun noch mehr verinnerlicht. Gegen Mitternacht traf ich nach
einem ereignisreichen Tag an meinem Bett an. Alles wird, dachte ich mir und
flüchtete in die Traumwelt, in der ich zusätzlich eine besser passende Gastfamilie
fand.
donnerstag, 13. juni
Am ersten vollen Arbeitstag durfte ich dann direkt die
Kinder kennen lernen. Um 0830 trafen wir uns vor dem Frauengefängnis im
Stadtteil Obrajes. Exakt dasselbe Gefängnis in dem ich vor ein paar Wochen noch
leere Plastikflaschen eingesammelt hatte. Diesmal ging ich aber nicht hinein,
sondern musste an der Türe warten bis uns die Kleinen raus geschickt wurden.
Alle Altersklassen von 4-10 waren anwesend und der andere Freiwillige war schon
routiniert genug, die zu kleinen abzuweisen. Sobald der Altersunterschied in
der Gruppe zu groß ist, ist es noch schwieriger mit den Kindern zu arbeiten. Außerdem
fehlt es den zu jungen Kindern an Eigenständigkeit, weswegen sie besondere
Aufmerksamkeit benötigen, die wir ihnen nicht schenken können. Zu alte Kinder
hingegen sind zu eigenständig, und rebellieren in teilweise nicht zu
kontrollierenden Maß.
Als alle 22 in einen normalen Minibus [Größe VW-Bus]
eingestiegen und der Streit um Sitze beigelegt worden war, fuhren wir Richtung
Suma Qamaña. Auf dem Weg wurde noch Brot fürs Frühstück und Fleisch für das
Mittagessen eingekauft. Während der Fahrt mussten die Kinder immer wieder zum
Richtigsitzen und nicht Herumklettern im vollbesetzten Auto hingewiesen werden.
Außerdem gab es bereits die ersten kleinen Prügeleien zu schlichten.
Angekommen begann der Tag mit gemeinsamem Fahnenhissen.
Hierzu mussten die Kinder unter viel Aufwand in ihre jeweilige Altersklassereihe
eingereiht werden. Dann begannen wir gemeinsam eine moderne,
südamerikabejahende Hymne zu singen, die von Pantomimen begleitet wurde. Direkt
im Anschluss begrüßten wir uns mit einem typischen „Guten Morgen liebe Kinder“
– „Guten Morgen Lehrer Bla, guten Morgen Lehrer Blö“-Chor begrüßt. Statt einem
waldimäßigen „Guten Morgen liebe Bäume, guten morgen liebe Sonne“ werden in
Suma Qamaña die Berge Illimani, Mururata und Wayna Potosi begrüßt. Die
imposanten schneebedeckten 6000er umrahmen und beschützen das Tal
Achocalla.
Ich sollte gleich die Gruppe mit den Kleinen übernehmen. Und
schon beim Frühstück hatte ich so meine Probleme mit den 4-6jährigen. Allein
das Plätze verteilen war mühseliger als „normale“ Kinder überreden ins Bett zu
gehen. Schon aus Prinzip wurde jeder Vorschlag abgelehnt. Als dann der Becher
warme Milch mit Brot kam ging es weiter. „Ich möchte aber keinen blauen Becher,
da ist mehr drin, ich mag kein rundes sondern ein eckiges Brot,…“ Beim
Rückenzudrehen wurde sich geschubst, Brot geklaut oder Milch ausgeleert. Einige
Kinder mussten immer wieder ermutigt werden, doch noch einen Schluck Milch zu
nehmen, während andere aufstanden und nach Spielbaren im Raum suchten. Hatte
man diese wieder eingesammelt oder überredet sich an ihren Platz zu setzten,
war das nächste Kind bereits dabei jemand anderen den Andersfarbigen Plastikstuhl
zu entwenden.
Tatsächlich hatten es nach einiger Weile alle geschafft ihre
winzige Mahlzeit zu beenden, oder auf dem Boden zu verteilen. Es konnte also
weiter gehen. Sie selber Puzzles aus dem Spieleschrank holen zu lassen, war
keine gute Idee. Denn ein Puzzle, das selbst mit Fäusten bearbeitet nicht
zusammen passen will, wird schnell langweilig. Anstatt es aufzuräumen kann man
es ja auf den Boden lagern und mit Bauklötzen, Dominos und anderen Puzzleteilen
mischen. Ohne Erfahrung mit einer Kindergruppe wurde ich etwas angespannt und
ließ sie einfach weiter machen. Zusammenarbeit funktionierte auch nicht, da
jeder seine Teile für sich behalten wollte. Sobald man ein Pärchen überreden
wollte, begann hinter dem Rücken schon der nächste kleine Streit. Eine der
Kleinen hatte schon einen sehr ausgeprägten Charakter für eine Vierjährige. Sie
kommandierte die anderen herum und begann als erste die Grenzen des neuen
Lehrers auszuloten. Zwischenzeitlich hatten einige Kinder die Tür geöffnet und
vergnügten sich im Freien. Es schien unmöglich diese Bande im Griff zu halten.
Mit netten Fragen und Bitten kam man nicht weiter. Man bekam zwar das
Versprechen sich jetzt besser zu verhalten, doch sobald man das Kind
losgelassen hatte, war es schon wieder entwischt.
Da alles keinen Sinn hatte, schickte ich sie direkt alle auf
den Spielplatz.
Doch auch dort konnte genug angestellt werden. Steine wurden
geworfen, andere stibitzen Bälle aus dem Bällebad und verteilten sie auf dem
Gelände. Wieder andere wollten gerne vom Lehrer gefangen werden und entfernten
sich aus dem Spielgelände.
Man hatte mir zwar gesagt, dass die Süßen frech seien, aber
eine solche Rasselbande hatte ich nicht erwartet. Am Ende war ich froh, das
keiner sich verletzt hatte oder verloren gegangen war.
Beim Mittagessen kam es zu weiteren Essensschlachten und
vielen Knüffen auf Hinterkopf, Rücken und Rippen. Als endlich alle wieder im
Bus saßen atmete ich erst einmal tief durch und widmete mich meinem Teller, da
ich zuvor nicht dazu gekommen war.
Nachmittags kamen 6 Kinder aus dem Ort vorbei, mit denen es
eine Leichtigkeit war etwas zu unternehmen. Zwar konnte ich auch ihre Namen
nicht, aber wenn man ihnen etwas sagte so wurde es auch gemacht. Keiner stand
auf um den anderen vom Stuhl zu werfen oder durchs Klassenzimmer zu hüpfen.
Kurz gesagt, es war ein Weltenunterschied und die Arbeit fühlte sich nicht wie
Arbeit an, sondern machte richtig Spaß.
Interessant wie unterschiedlich Kinder seien können, und wie
viel das Umfeld in dem sie aufwachsen damit zu hat. Ich hatte es mit Kindern
aus der gleichen Stadt, im gleichen Alter zu tun. Beide leben nicht in Saus und
Braus, denn auch auf dem Land in Achocalla geht es eher rustikal und karg zu.
Dennoch war das Verhalten der beiden Gruppen so unterschiedlich, dass einem die
Umstände im Gefängnis schon beim ersten indirekten Blick bewusst wurden. Letztlich
sind die Kinder ein Spiegel ihres Umfelds und reflektieren ihre Erfahrungen
durch ihr Verhalten. Und ein solches Verhalten in einer ganzen Gruppe dieser
Altersklasse, war mir noch nie unter die Augen gekommen. Man sollte diese also
nicht verschließen und sehen, dass es an vielen Orten der Erde genau solche
Zustände geben kann und Hilfsprojekte sinnvoll sind. Die Kinder, die mit ihren
Eltern im Gefängnis leben müssen, trifft selbst keine Schuld für ihren Wohnort.
Doch durch all diese Erlebnisse und Einflüsse wird es nicht leicht für sie im
„normalen“ Leben Fuß zu fassen. Es macht einem hilflos mit anzusehen, wie ein Leben
ohne Selbstverschulden möglicherweise in eine Sackgasse führt, bevor es richtig
beginnt.
Das sind harte Worte, doch genau so fühlte ich mich auf der
Busfahrt nachhause und vor dem Einschlafen, als ich die Erlebnisse des Tages
verarbeitete.
Abends stand außerdem die lange erwartete Strafverhandlung
mit AFS an. Noch immer war ich mit sechs Monaten Reiseverbot belegt. Entgegen
aller Versprechungen hatte es nämlich kein Mitglied AFS es geschafft, während
der 5 Tage Seminar mit uns zu reden und zu verhandeln. Wir kamen also abends
ins Büro, wo uns ein Komiteemitglied erwartete. Wir hatten ihn zuvor nie
gesehen, wirkte jedoch sehr freundlich und entspannt. Er verstünde unsere Lage,
da er selbst einmal zum Austausch im Ausland lebte. Er wolle, dass wir uns für
alle Seiten positiv einigten. Das Gespräch war schnell erledigt, nach
wiederholten Entschuldigungen unsererseits, wurden wir noch einmal gefragt was
unserer Meinung nach eine sinnvolle Strafe sei. Wir plädierten dafür, dass wir
vor allem aus der Strafe lernen wollten, was bei nicht reisen wohl nicht möglich
sei. Uns wurde mitgeteilt, dass man sich -darauf verständigt hatte uns wieder
reisen zu lassen unter der Bedingung, dies eine Woche vorher anzukündigen, was
dem allgemeinen Konsens entsprach. Sollte noch einmal etwas vor fallen, säßen
wir direkt im Flieger nach Deutschland. Das war uns Warnung genug. Glücklich
glimpflich davon gekommen zu sein, verarbeitete ich die positiven Erlebenisse
der letzten 2 Tage.
freitag, 14. juni
Der zweite richtige Arbeitstag seit Wochen war ein bewölkter
und regnerischer. Die gestrigen Erkenntnisse waren soweit verarbeitet und so
ging es heute darum, bei Ausbesserungsarbeiten zu helfen. Vormittags backten
wir Brot. Der Hefeteig ging auf, woraus wir Bollen formten, die im Gasofen
backten. Nach 2 Stunden waren die 200 „Sarnitas“ [flache Brötchen] fertig, die tausendmal
leckerer schmeckten als die sonst Üblichen. Anschließend trugen wir die
Brotkörbe zu den örtlichen Läden und verkauften das Stück für 2.5 €-cent.
Gewinn machten wir logischerweise keinen.
Nachmittags sollte der Eingang zum Nähraum mit einer
Ex-Bücherladenmarkise überdacht werden. Das schwere Eisengestell, welches mit
einer Plane überzogen war, sollte von uns zwei großen Freiwilligen angehoben
werden, während der Hausmeister Markierungen für die Bohrungen setzte.
Als Leiter diente ein wackliger Stuhl, der auf einem
wackligen Tisch platziert wurde. Eine alte Bohrmaschine, deren zu kurzes Kabel
am Ende, nicht aus Stecker sondern zwei Drahtenden bestand, musste in eine
Steckdose ohne Büchse gesteckt werden. Mit den zwei Enden wurde also so lange
in der Steckdose herum gefummelt, bis die Bohrer sich zu drehen begann. Da die
Maschine bewegt werden musste, fielen die Kabel immer wieder aus der Steckdose
und es durfte von neuem gefummelt und heißer Draht gespielt werden. In der
weichen Gipswand rutschte der Bohrer immer wieder ab, und auch das nicht sehr
stabile Untergestell half nicht den Bohrer gerade in die Wand einzuführen. Die
Bohrlöcher waren also krumm und schief. Als ein Dübel zur Probe eingesteckt
wurde, auch noch zu groß. Da es keinen anderen Bohraufsatz gab, wurde lustig,
wacklig weitergebohrt. Nach einer Weile wurde noch einmal die Ausrichtung
getestet, wozu wir das schwere Eisengestell wieder anheben mussten. Die
Bohrlöcher des Gestänges stimmten nicht ganz mit ihren Cousins in der Wand
überein, aber das ging schon klar. Die Schrauben wurden dann eben schief
eingestzt und hielten nicht ganz. Auch die Dübel fühlten sich in der Wand wohl
nicht wohl und wollten diese wieder verlassen.
Nachdem das mehrstündige Lehrstück bolivianischer
Improvisationskunst abgeschlossen war, blieb das schwere Gestell zu meiner
Verwunderung einigermaßen sicher an der Wand hängen. Ich schwor mir dennoch,
mich in den nächsten Monaten so wenig wie möglich unter diesem Dach aufzuhalten
und nur im letzen Notfall Regenschutz zu suchen.
Die untersten Streben hingen außerdem zu tief, sodass sie
mir die nächsten Tage zweimal unsanft den Kopf streichelten.
samstag, 15. juni, sonntag, 16. juni
Ein normales langweiliges Wochenende mit der Familie ging
vorbei, wir versuchten gut miteinander auszukommen, was jedoch einigermaßen gut
funktionierte.
montag, 17. juni
Der erste Montag im Projekt bestand aus sinnloser Tätigkeit.
Die Chefin war nicht anwesend und der Hausmeister wollte uns nicht früher gehen
lassen. So sollten wir die Steine, die überall die Wege markieren, weiß
anmalen. Mir einem Eimer Kalk und einem Pinsel bewaffnet, pinselte ich also
drei Stunden Steine. Besser als wie zuvor nichts zu tun.
dienstag, 18. juni
Mit der Empleada des Hauses verstehe ich mich nun immer
besser, so dass sie mir sogar einen Zettel mit Worten auf Aymara mitbrachte. Da
sie selber nicht schreiben kann,, musste ihr Sohn, dies für sie erledigen.
Außerdem lud sie mich zu sich nachhause ein, um mir zu zeigen wie sie wohnt.
Mal schauen, wann ich das die nächsten Wochen unterbringe.
Nach kleinen Plausch musste ich zur Arbeit und die Kinder
abholen. Schon im Bus wurden aus Langeweile die Fäuste herausgeholt. Für die
nächsten Wochen muss ich mir eine Beschäftigung für die Busfahrt ausdenken. Im
Projekt angekommen lief es wie das letzte Mal ab. Einzig beim Puzzeln und auf
dem Spielplatz spielen war einigermaßen Ruhe im Karton.
Die Kinder machten mir wieder ganz schön zu schaffen. Keiner
hörte, sie büxten aus und ständig begannen Schlägereien. Ein Kind musste sich
nur dumm angeguckt fühlen, da ging es schon auf den anderen los. Heute musste
ich das erste Mal richtig schlichten. Woher ein vierjähriges Kind wohl gelernt
hatte, die Fäuste zum Schutz vors Gesicht zu heben, ein wenig zu tänzeln, mit
einem Tritt den anderen zu überraschen um ihn dann mit geballter Faust direkt
ins Gesicht zu schlagen?
Abends traf ich mit zwei Freundinnen, die untypisch
bolivianisch in einer WG wohnten.