mittwoch, 10. juli
Die Krankheit streckte mich immer noch dahin und ließ mich
kaum aus dem Bett aufstehen. Freitags hatte ich frische Milch aus dem Projekt
mitgebracht, die mittlerweile leider nicht mehr ganz so frisch war und nur noch
zu Quark verarbeitet werden konnte.
Vielleicht wäre es an dieser Stelle einmal Zeit, meinen
neuen Wohnort und die Gastfamilie vorzustellen.
Ich wohne mittlerweile nicht mehr in der reichen Zona Sur,
sondern oberhalb des Zentrums in der Nähe der Märkte zwischen Hauptfriedhof und
Busterminal. Erzählt man Paceños von diesem Distrikt als Wohnort erhält man
verwunderte Blicke. Mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit sind der
andere Freiwillige und ich die einzigen lebenden Europäer oberhalb des
Zentrums. Es sei gefährlich, hässlich und kalt, bei Nacht solle man sich gar
nicht erst vor die Tür bewegen. Hässlich trifft zu, wie auf nahezu den ganzen
Rest der Stadt. Zur Kälte: es mag tatsächlich einen Grad kälter sein als in der
tiefer gelegenen Zona Sur. Es mochte vielleicht ein wenig gefährlicher sein,
aber letztendlich benötigen Paceños Stereotypen um sich das Leben leichter zu
machen. Stereotypen helfen ihnen außerdem in einem Gespräch auf das gleiche
Endergebnis zu kommen um einem Streit aus dem Weg zu gehen. Ein Wohnort ist
zugleich Statussymbol mit dem geprahlt werden kann. Mein neues Wohnviertel fällt
zwar weit aus der Statuslinie gefällt mir aber umso besser. Es ist authentisch
bolivianisch, d.h. etwas abgehalftert dafür lebhaft und zentrumsnah. Alles was
Achumani, mein vorheriges Wohnviertel nicht ist.
Das Haus gehört der Familie, in der jeder Nachkömmling ein
Stockwerk besitzt. Die gesamte Grundstücksfläche ist etwa gleichgroß wie die
meines Exhauses, nur das sich nun nicht fünf sondern sechzehn Nasen die Fläche
teilen. Es gibt keinen von Gärtnern gepflegten Garten mit Rasen und Grilllaube,
sondern stattdessen einen Betonhof in dem ein ausgebauter Campinghänger steht. Statt
drei Autos hängt an der Hauswand ein selbstgebauter Basketballkorb.
Im Erdgeschoss lebt meine Familie. Gastmutter und Gastvater
besitzen ein Schlafzimmer, das sie momentan mit meiner 22-jährigen
Gastschwester teilen. Nebenan schläft mein 16-jähriger Gastbruder, der vor
einer Woche von seinem Austauschjahr aus Amerika zurückkam. Er schläft im
Zimmer seiner Schwester, da seins durch den anderen Freiwilligen belegt ist.
Meine 34-jährige Gastschwester wohnt noch zuhause in ihrem Zimmer. Des Weitern
gibt es ein kleines Bad, bei dem ich mich die ersten Tage zum Duschen
überwinden musste, da man es also schlecht gereinigt bezeichnen könnte. Das
zweite noch kleinere Bad befindet sich im Hof. Die Ein-Bad-Pro-Bewohner-Politik
aus Achumani würde hier schon aus Platzmangel scheitern. So gibt es noch das
Durchgangs-Couch-Bibiolthek-Trocken-Einmüllzimmer, die kleine Küche und das
Ess-Näh-Altarzimmer, in dessen Ecke nun mein Bettchen steht.
Die ersten Tage war immer etwas los. Statt zuvor so spät wie
möglich zur Eingangstür hineinzuschleichen, konnte ich es jetzt kaum erwarten
wieder zuhause zu sein. Jeden Abend wurde nach dem gemeinsamen Abendtee noch
lange zusammen gesessen und Geschichten ausgetauscht. Meist waren wir nicht
alleine sondern Freunde meiner Gastgeschwister belebten das Appartement
zusätzlich. Mein Gastbruder erfüllte die Wohnung druchgehend mit Gitarrenklang,
dem ich langsam, so schön er auch sein mochte, die Stille vorzog. Die war im
gesamten Haus schwierig zu finden. Durch die dünnen Fenster wehten ständig
Straßengeräusche hinein. Die ersten Nächte wurde ich von plötzlichen
Bellanfällen, der dummen Haushunde Gorda oder Cosmo, aus dem Schlaf gezerrt. „Stubenrein“
schien den beiden Kötern sowohl auf spanisch als auch auf hundisch ein
Fremdwort zu sein. Zimmertüren mussten immer verschlossen werden, außer man
wollte sein Territorium neu markiert haben oder Socken suchen gehen. Auch in
Achumani hatte ich jedoch schon einmal das Vergnügen neben einer wohlriechenden
Wurst, die über Nacht ins Zimmer geschwebt war, aufzuwachen.
Zusammengefasst hatte ich nach dem Umzug etwas an Komfort,
Ruhe und Privatsphäre eingebüßt, jedoch in Wärme, Freude und
Zusammengehörigkeitsgefühl eingetauscht. Ein mehr als fairer Tausch und eine
der großen Lehren dieses Jahres für mich. Alle schönen Dinge können menschliche
Wärme nicht ersetzen.
donnerstag, 11. juli
Auch heute war es nichts mit Arbeit. Meine Gastschwestern
samt –cousins überredeten mich dennoch am Pasta- und Weinabend teilzunehemen.
Leider konnte ich am Genuss nicht teilhaben, da Geschmacksnerven und Appetit
noch immer blockiert waren.
freitag, 12. juli
Heute Abend sollte ich einen weiteren Teil der Gastfamilie
kennen lernen. Meine Gasttante und ihren Sohn. Die Tante wohnte im Gegensatz zu
uns in einem großen Anwesen. Hier gab es nicht das Problem, dass dreckiges
Geschirr die Küche blockierte, da eine Empleada, im Haus wohnte sich diesem
annahm. Ein Betten- und Platzmangel wäre hier auch fremd gewesen. Alle Zimmer
des Hauses waren dezent, stilvoll und gemütlich eingerichtet, so dass man sich
wohl kaum in einem bolivianischen Haushalt befinden konnte. Doch ohne Bewohner erinnert
selbst das schönste Haus an ein Einrichtungshaus. Der riesige Garten wurde von
Hunden und gerade gejäteten Unkraut bevölkert. Obwohl der Cousin schon studiert
hatte und bereits seit einigen Jahren als selbstständiger Grafikdesigner
arbeitete, wohnte er noch immer im Anbau bei Mutti. Der Anbau war absolut
modern eingerichtet und hätte in Europa als Beispiel für jugendliches Wohnen
herhalten können. Die vielen Actionfiguren und Videospiele im Schrank waren wohl
Überbleibsel und Indikatoren des noch immer gehätschelten Sohnemanns. Mit zwei
Familienpizzen und Eis bewaffnet, machten sich mein bolivianischer Gastbruder,
mein deutscher Gastbruder und meine zwei über dreißigjährigen Gastcousins an
einen Videospielabend. Ich fühlte mich als vierzehn/fünfzehnjähriger zurück
gesetzt. Eine sorgenfreie Zeit.
samstag, 13. juli
Nach dem mich die drei wunderschönen Hunde meines
Gastcousins wach geschleckt hatten, gab es Frühstück. Wir sollten noch kurz zum
Mittagessen bleiben. Als wir um acht Uhr abends das Haus verließen hatten wir
einen weiteren Teil der Verwandtschaft kennen gelernt. Eine nette Runde, in der
gesungen und gegessen wurde und man jedem erklären musste wer man war und was
man machte. Als meine Gasttante begann die Frauen zum Spülen, Basteln und sich
um die Kinder Kümmern zu animieren und die Männer unter sich Gespräche führen
lies, war ich verwundert. Eine aktive Feministin, wie sie meine Gasttante ist,
trägt absichtlich zur Geschlechtrennung bei? Irgendetwas stimmte mit meiner
Logik nicht überein. Der gesamte Tag half die Beziehungen innerhalb der Familie
zu verstehen und warum meine Gastfamilie, die komplett anders gestrickt war mit
diesem Teil wenig zu tun haben wollte.
sonntag, 14. juli
Obwohl ich keinen übertriebenen Sauberkeitsfimmel besitze,
zogen mich das ganze dreckige Geschirr und der unappetitliche Küchenboden wie
magisch zum Saubermachen an. Das wird mir in diesem Haus wohl noch häufiger
passieren. Den Hausfrauentag machte ich mit mehrstündigem Kochen endgültig
perfekt. Zum Dank für all ihre Mühen kochte ich der Familie Rösti mit
Geschnetzeltem. Der Käsekuchen aus selbst gepresstem Quark machte jedoch
Probleme. Der Höllenofen hatte ihn bereits nach fünfzehn Minuten fertig
gebacken und die Kruste anbrennen lassen. So schnell werde ich den unkontrollierbaren
Gasofen wohl nicht mehr einsetzen. Erschöpft von einem Tag in der Küche und all
dem Probieren ging es ins Bett.
montag, 15. juli
Der Weg zur Arbeit dauerte nur zwei Stunden statt sonst der
Hälfte. Einen Tag vor dem großen Jahrestag zur Gründung von La Paz hatte jede
Kleinstgemeinschaft vom Lehrerkollegium bis zum Truthahnclub zum Marschieren
aufgerufen. Die einzigen Zugangsstraßen sind wohl der Beste Ort um seinen Stolz
kundzutun. Im Projekt war ich beschäftigt Stangen für die Tomaten zu schnitzen.
Außerdem machte ich Bekanntschaft mit Eulalia. Das kleine Alpakababy war letzte
Woche während meiner Krankheitsabwesenheit geschlüpft. Der Weg zurück nahm
wieder 2 Stunden in Anspruch, da nun auch der Club der Ausschläfer seinen
Marsch begonnen hatte. Endlich zuhause gingen wie mit meiner Gastschwester und
Freunden zum Lasagneessen und anschließend aus.
In allen Straßen brannten Feuer, saßen Cholitas, die Essen
und Hochprozentiges verkauften. Aus Stangen waren zeltähnliche Gebilde aufgebaut
an denen grün-rote Lampions hingen. Die Farben der Stadt La Paz. Zwischen
Cholitas und Gestängen ragten rießige Boxentürme hervor, die in schlechter
Qualität „Musik“ herum plärrten. Es schien als wollte ganz La Paz zur
Straßenfiesta werden.
In einer Bar waren wir damit beschäftigt einen fanatischen
Bolivianer, der Deutschland liebte, abzuwimmeln. Er war so froh, dass unser
Land „etwas“ gegen die Juden unternommen hatte, dass er unsere
Gegenargumentation links liegen lies und uns zum Ausdruck seines Dankes seinen
Kaschmirschal schenkte. Abzulehnen hatte keinen Sinn und ich beschloss um
solchen Generve in Zukunft aus dem Weg zu gehen, bei Herkunftsfragen wieder mit
Slowakei zu antworten. Zur Feier des Tages gingen wir zum ersten Mal nicht in
einen Gringoladen aus, was wir auch gleich bereuen sollten. Es war nicht viel
los und bis auf ein paar Singleseñoritas war keiner begeistert als wir in den
Club eintraten. Weder die Achtziger noch die Neunziger konnten uns vom Tanzen
abhalten. Erst als mein deutscher Mitbewohner plötzlich auf dem Klo verschwand,
war die gute Stimmung dahin. Er hatte etwas in den Drink bekommen und k.O. lag
er nun da. Zum Glück waren wir zu mehreren und konnten ihm helfen. Alleine
hätte es auch ganz anders ausgehen können. Sein Geldbeutel war trotzdem weg.
Das war wohl einer der letzten Besuche im einheimischen Nachtlokal.
dienstag, 16. juli
Als Festessen stand heute Zunge, Magen und Hasenkeule auf
dem Speiseplan. All diese Köstlichkeiten wurden auf dem Markt gekauft. In den
Straßen und Rinnsteinen schliefen mehr Nachteulen als sonst ihren Rausch aus.
Zum ersten Mal seit meinem Einzug war die gesamte Familie im Haus. Nach einem
Kochmarathon bei dem jeder seinen Part erfüllt hatte, stand eines der
schmackhaftesten Essen, die ich bis jetzt in Bolivien verzehrt hatte auf dem
Tisch.
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