Freitag, 19. Juli 2013

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mittwoch, 10. juli

Die Krankheit streckte mich immer noch dahin und ließ mich kaum aus dem Bett aufstehen. Freitags hatte ich frische Milch aus dem Projekt mitgebracht, die mittlerweile leider nicht mehr ganz so frisch war und nur noch zu Quark verarbeitet werden konnte.

Vielleicht wäre es an dieser Stelle einmal Zeit, meinen neuen Wohnort und die Gastfamilie vorzustellen.
Ich wohne mittlerweile nicht mehr in der reichen Zona Sur, sondern oberhalb des Zentrums in der Nähe der Märkte zwischen Hauptfriedhof und Busterminal. Erzählt man Paceños von diesem Distrikt als Wohnort erhält man verwunderte Blicke. Mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit sind der andere Freiwillige und ich die einzigen lebenden Europäer oberhalb des Zentrums. Es sei gefährlich, hässlich und kalt, bei Nacht solle man sich gar nicht erst vor die Tür bewegen. Hässlich trifft zu, wie auf nahezu den ganzen Rest der Stadt. Zur Kälte: es mag tatsächlich einen Grad kälter sein als in der tiefer gelegenen Zona Sur. Es mochte vielleicht ein wenig gefährlicher sein, aber letztendlich benötigen Paceños Stereotypen um sich das Leben leichter zu machen. Stereotypen helfen ihnen außerdem in einem Gespräch auf das gleiche Endergebnis zu kommen um einem Streit aus dem Weg zu gehen. Ein Wohnort ist zugleich Statussymbol mit dem geprahlt werden kann. Mein neues Wohnviertel fällt zwar weit aus der Statuslinie gefällt mir aber umso besser. Es ist authentisch bolivianisch, d.h. etwas abgehalftert dafür lebhaft und zentrumsnah. Alles was Achumani, mein vorheriges Wohnviertel nicht ist.

Das Haus gehört der Familie, in der jeder Nachkömmling ein Stockwerk besitzt. Die gesamte Grundstücksfläche ist etwa gleichgroß wie die meines Exhauses, nur das sich nun nicht fünf sondern sechzehn Nasen die Fläche teilen. Es gibt keinen von Gärtnern gepflegten Garten mit Rasen und Grilllaube, sondern stattdessen einen Betonhof in dem ein ausgebauter Campinghänger steht. Statt drei Autos hängt an der Hauswand ein selbstgebauter Basketballkorb.
Im Erdgeschoss lebt meine Familie. Gastmutter und Gastvater besitzen ein Schlafzimmer, das sie momentan mit meiner 22-jährigen Gastschwester teilen. Nebenan schläft mein 16-jähriger Gastbruder, der vor einer Woche von seinem Austauschjahr aus Amerika zurückkam. Er schläft im Zimmer seiner Schwester, da seins durch den anderen Freiwilligen belegt ist. Meine 34-jährige Gastschwester wohnt noch zuhause in ihrem Zimmer. Des Weitern gibt es ein kleines Bad, bei dem ich mich die ersten Tage zum Duschen überwinden musste, da man es also schlecht gereinigt bezeichnen könnte. Das zweite noch kleinere Bad befindet sich im Hof. Die Ein-Bad-Pro-Bewohner-Politik aus Achumani würde hier schon aus Platzmangel scheitern. So gibt es noch das Durchgangs-Couch-Bibiolthek-Trocken-Einmüllzimmer, die kleine Küche und das Ess-Näh-Altarzimmer, in dessen Ecke nun mein Bettchen steht.

Die ersten Tage war immer etwas los. Statt zuvor so spät wie möglich zur Eingangstür hineinzuschleichen, konnte ich es jetzt kaum erwarten wieder zuhause zu sein. Jeden Abend wurde nach dem gemeinsamen Abendtee noch lange zusammen gesessen und Geschichten ausgetauscht. Meist waren wir nicht alleine sondern Freunde meiner Gastgeschwister belebten das Appartement zusätzlich. Mein Gastbruder erfüllte die Wohnung druchgehend mit Gitarrenklang, dem ich langsam, so schön er auch sein mochte, die Stille vorzog. Die war im gesamten Haus schwierig zu finden. Durch die dünnen Fenster wehten ständig Straßengeräusche hinein. Die ersten Nächte wurde ich von plötzlichen Bellanfällen, der dummen Haushunde Gorda oder Cosmo, aus dem Schlaf gezerrt. „Stubenrein“ schien den beiden Kötern sowohl auf spanisch als auch auf hundisch ein Fremdwort zu sein. Zimmertüren mussten immer verschlossen werden, außer man wollte sein Territorium neu markiert haben oder Socken suchen gehen. Auch in Achumani hatte ich jedoch schon einmal das Vergnügen neben einer wohlriechenden Wurst, die über Nacht ins Zimmer geschwebt war, aufzuwachen.
Zusammengefasst hatte ich nach dem Umzug etwas an Komfort, Ruhe und Privatsphäre eingebüßt, jedoch in Wärme, Freude und Zusammengehörigkeitsgefühl eingetauscht. Ein mehr als fairer Tausch und eine der großen Lehren dieses Jahres für mich. Alle schönen Dinge können menschliche Wärme nicht ersetzen.  

donnerstag, 11. juli

Auch heute war es nichts mit Arbeit. Meine Gastschwestern samt –cousins überredeten mich dennoch am Pasta- und Weinabend teilzunehemen. Leider konnte ich am Genuss nicht teilhaben, da Geschmacksnerven und Appetit noch immer blockiert waren.

freitag, 12. juli

Heute Abend sollte ich einen weiteren Teil der Gastfamilie kennen lernen. Meine Gasttante und ihren Sohn. Die Tante wohnte im Gegensatz zu uns in einem großen Anwesen. Hier gab es nicht das Problem, dass dreckiges Geschirr die Küche blockierte, da eine Empleada, im Haus wohnte sich diesem annahm. Ein Betten- und Platzmangel wäre hier auch fremd gewesen. Alle Zimmer des Hauses waren dezent, stilvoll und gemütlich eingerichtet, so dass man sich wohl kaum in einem bolivianischen Haushalt befinden konnte. Doch ohne Bewohner erinnert selbst das schönste Haus an ein Einrichtungshaus. Der riesige Garten wurde von Hunden und gerade gejäteten Unkraut bevölkert. Obwohl der Cousin schon studiert hatte und bereits seit einigen Jahren als selbstständiger Grafikdesigner arbeitete, wohnte er noch immer im Anbau bei Mutti. Der Anbau war absolut modern eingerichtet und hätte in Europa als Beispiel für jugendliches Wohnen herhalten können. Die vielen Actionfiguren und Videospiele im Schrank waren wohl Überbleibsel und Indikatoren des noch immer gehätschelten Sohnemanns. Mit zwei Familienpizzen und Eis bewaffnet, machten sich mein bolivianischer Gastbruder, mein deutscher Gastbruder und meine zwei über dreißigjährigen Gastcousins an einen Videospielabend. Ich fühlte mich als vierzehn/fünfzehnjähriger zurück gesetzt. Eine sorgenfreie Zeit.

samstag, 13. juli

Nach dem mich die drei wunderschönen Hunde meines Gastcousins wach geschleckt hatten, gab es Frühstück. Wir sollten noch kurz zum Mittagessen bleiben. Als wir um acht Uhr abends das Haus verließen hatten wir einen weiteren Teil der Verwandtschaft kennen gelernt. Eine nette Runde, in der gesungen und gegessen wurde und man jedem erklären musste wer man war und was man machte. Als meine Gasttante begann die Frauen zum Spülen, Basteln und sich um die Kinder Kümmern zu animieren und die Männer unter sich Gespräche führen lies, war ich verwundert. Eine aktive Feministin, wie sie meine Gasttante ist, trägt absichtlich zur Geschlechtrennung bei? Irgendetwas stimmte mit meiner Logik nicht überein. Der gesamte Tag half die Beziehungen innerhalb der Familie zu verstehen und warum meine Gastfamilie, die komplett anders gestrickt war mit diesem Teil wenig zu tun haben wollte.

sonntag, 14. juli

Obwohl ich keinen übertriebenen Sauberkeitsfimmel besitze, zogen mich das ganze dreckige Geschirr und der unappetitliche Küchenboden wie magisch zum Saubermachen an. Das wird mir in diesem Haus wohl noch häufiger passieren. Den Hausfrauentag machte ich mit mehrstündigem Kochen endgültig perfekt. Zum Dank für all ihre Mühen kochte ich der Familie Rösti mit Geschnetzeltem. Der Käsekuchen aus selbst gepresstem Quark machte jedoch Probleme. Der Höllenofen hatte ihn bereits nach fünfzehn Minuten fertig gebacken und die Kruste anbrennen lassen. So schnell werde ich den unkontrollierbaren Gasofen wohl nicht mehr einsetzen. Erschöpft von einem Tag in der Küche und all dem Probieren ging es ins Bett.

montag, 15. juli

Der Weg zur Arbeit dauerte nur zwei Stunden statt sonst der Hälfte. Einen Tag vor dem großen Jahrestag zur Gründung von La Paz hatte jede Kleinstgemeinschaft vom Lehrerkollegium bis zum Truthahnclub zum Marschieren aufgerufen. Die einzigen Zugangsstraßen sind wohl der Beste Ort um seinen Stolz kundzutun. Im Projekt war ich beschäftigt Stangen für die Tomaten zu schnitzen. Außerdem machte ich Bekanntschaft mit Eulalia. Das kleine Alpakababy war letzte Woche während meiner Krankheitsabwesenheit geschlüpft. Der Weg zurück nahm wieder 2 Stunden in Anspruch, da nun auch der Club der Ausschläfer seinen Marsch begonnen hatte. Endlich zuhause gingen wie mit meiner Gastschwester und Freunden zum Lasagneessen und anschließend aus.
In allen Straßen brannten Feuer, saßen Cholitas, die Essen und Hochprozentiges verkauften. Aus Stangen waren zeltähnliche Gebilde aufgebaut an denen grün-rote Lampions hingen. Die Farben der Stadt La Paz. Zwischen Cholitas und Gestängen ragten rießige Boxentürme hervor, die in schlechter Qualität „Musik“ herum plärrten. Es schien als wollte ganz La Paz zur Straßenfiesta werden.
In einer Bar waren wir damit beschäftigt einen fanatischen Bolivianer, der Deutschland liebte, abzuwimmeln. Er war so froh, dass unser Land „etwas“ gegen die Juden unternommen hatte, dass er unsere Gegenargumentation links liegen lies und uns zum Ausdruck seines Dankes seinen Kaschmirschal schenkte. Abzulehnen hatte keinen Sinn und ich beschloss um solchen Generve in Zukunft aus dem Weg zu gehen, bei Herkunftsfragen wieder mit Slowakei zu antworten. Zur Feier des Tages gingen wir zum ersten Mal nicht in einen Gringoladen aus, was wir auch gleich bereuen sollten. Es war nicht viel los und bis auf ein paar Singleseñoritas war keiner begeistert als wir in den Club eintraten. Weder die Achtziger noch die Neunziger konnten uns vom Tanzen abhalten. Erst als mein deutscher Mitbewohner plötzlich auf dem Klo verschwand, war die gute Stimmung dahin. Er hatte etwas in den Drink bekommen und k.O. lag er nun da. Zum Glück waren wir zu mehreren und konnten ihm helfen. Alleine hätte es auch ganz anders ausgehen können. Sein Geldbeutel war trotzdem weg. Das war wohl einer der letzten Besuche im einheimischen Nachtlokal.

dienstag, 16. juli

Als Festessen stand heute Zunge, Magen und Hasenkeule auf dem Speiseplan. All diese Köstlichkeiten wurden auf dem Markt gekauft. In den Straßen und Rinnsteinen schliefen mehr Nachteulen als sonst ihren Rausch aus. Zum ersten Mal seit meinem Einzug war die gesamte Familie im Haus. Nach einem Kochmarathon bei dem jeder seinen Part erfüllt hatte, stand eines der schmackhaftesten Essen, die ich bis jetzt in Bolivien verzehrt hatte auf dem Tisch.


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