mittwoch, 17. juli
Heute ging es normal zur Arbeit. Ausnahmsweise hatte ich ein
längeres Gespräch mit meiner Mitfreiwilligen während der Arbeitszeit, es gab
allerdings auch wenig zu tun. Wir überlegten uns, wie wir die nächsten Wochen
gestalten wollten.
donnerstag, 18. juli
Um die Kinder auf der Busfahrt ruhig zu stellen, sangen wir
wieder „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ und es funktionierte einwandfrei.
Mittlerweile kannten sie den Text schon so gut, dass man nach der Ankunft in
Achocalla den ganzen Tag jemanden „DRO CHONOSEN“ singen hören konnte. Heute
hatte ich meine Bande das erste Mal richtig im Griff und als sie gingen
überhaupt nicht ausgelaugt. Wenn man weis, was man erreichen will, und die
Kinder dies spüren, fällt vieles leichter.
In der Mittagspause machte ich einen kleinen Spaziergang
durch die Umgebung und blieb bei einem Haus mit riesigem Kakteengarten stehen.
Eigentlich wollte ich ein paar Kaktusfeigen kaufen, doch die einzige Person die
ich traf, war eine gebrechliche Frau, die nur Aymara sprach. Sie verstand mich
ebenso wenig wie ich sie, nicht einmal Arme fuchteltn konnte weiter helfen, da
sie nahezu blind war. Als ich gerade gehen wollte, kam ihr Sohn vorbei, der
Spanisch sprach und mir eine Tüte der entstachelten Feigen verkaufte.
Nachmittags kamen 5 Kinder Achocallas ins Projekt und ich
gab ihnen eine kleine Fußballtrainingsstunde. Nicht einmal die Grundtechniken
des Fußballs wie passen, annehmen, zusammen spielen werden den Kindern im Sportunterricht
beigebracht, der fast nur aus Fußball besteht.
Seit meinem Umzug fahre ich jeden Morgen und jeden Abend
über El Alto zur Arbeit und nach Hause. Eigentlich ging das um ca. eine halbe
Stunde schneller als über die Zona Sur und den Feierabendstau. Doch
mittlerweile merkte ich, das das chaotische Fahr- und Straßensystem El Altos
ebenfalls ständigen Stillstand produzierten. Heute dauerte der Nachhauseweg
wieder ewig, was allerdings auch daran lag, dass ich in eine andere Busnummer
eingestiegen war. Statt über die Hauptstraße zum Endpunkt CEJA zu gelangen,
machte der Bus eine Rundfahrt durch El Alto. Da nahezu alles gleich aussieht,
würde eine 10-minütige Rundfahrt völlig reichen. Meine endete, als der Bus nach
eineinhalb Stunden durch die Hexengasse tuckerte.
Auf beiden Straßenseiten standen dicht aneinander gereiht,
kleine Gestelle, die mit blauer Plane überzogen waren. Die blaue Plane ist ein
nahezu sicheres Indiz, dass in dieser Unterkunft mit übernatürlichen Kräften
gearbeitet wird. Hinter den Eingängen verstecken sich seltsame Zutaten, die man
käuflich erwerben kann. Mumifizierte Lamaföten gehören hier noch zum
Standardinventar. Man kann sich auf unterschiedliche Weisen, wie z.B. Kokablatt
lesen, in die Zukunft schauen lassen. Es gibt jedoch auch Meister, die einem
von Schwüren befreien oder neue legen können. Die Sonne war beinahe
untergegangen. Vor jedem blauen Zelt loderten Feuerstellen in der Dämmerung.
Das verbrennende Geruchsholz verbreitete einen seltsamen Duft. Kinder spielten
auf der Straße und Hexenmeister baten mich bei ihnen einzutreten. Nur das Vorbeilaufen
war bereits ein magisches Erlebnis. Ich fühlte mich ein wenig mulmig, was wohl
auch daran lag, dass nahezu alle Augen auf mich gerichtet waren. Vielleicht
sogar die, die hinter den blauen Planen in Gläsern eingelegt waren. Was ein
Gringito in dieser Straße verloren hatte, konnten wohl selbst ihre
Voraussagungen nicht erklären. Irgendwann hatte ich den seltsamen Ort hinter
mir gelassen und stieg in den Bus Richtung Heimat. Zum Glück hatte ich mich
nicht verlaufen, denn zur Dunkelheit konnte es als auffälliger Weißer in diesen
Vierteln ein bisschen ungemütlich werden.
freitag, 19. juli
Meine Arbeit bestand heute im Lama, Alpakaversorgen. Das
hieß Kot wegräumen, Wasserschalen putzen, Essen geben, allerdings auch die süße
Eulalia mit Milch zu füttern. Sie sprang umher und rannte mit gesenktem Kopf
durchs Gehege um ihr Gleichgewicht nicht zu verlieren. Tierbabies könnte man
stundenlang bei ihren unbeholfenen und trotteligen Bewegungen zuschauen, doch
ich musste auch noch die Spielsachen in den Klassenzimmern sortieren. Auf
einmal wurde mir schlecht und ich konnte es nur noch liegend auf dem Boden
aushalten. Was hatte ich jetzt schon wieder Falsches gegessen? Den
Nachmittagskindern war mein Unwohlsein egal, der Lehrer musste mitspielen, egal
wie er sich am Boden krümmte.
Es war als hätte man mich all meiner Kräfte beraubt und ich
schaffte es nach strapziöser Fahrt gerade noch nachhause ins Bett. War ich
gestern in der Hexengasse in einen Fluch getreten?
samstag, 20. juli
Ich blieb ans Bett gefesselt.
sonntag, 21 juli
Meine Gastfamilie pflegte und hegte mich, doch aus dem Bett
konnte ich noch immer nicht steigen.
montag, 22. juli
Mir ging es wieder besser und so ging es zur Arbeit,
Tomatenstangen schnitzen und Ordnung ins Chaos der halbfunktionstüchtigen
Spielzeuge bringen. Auch zuhause war die Ordnung ja ein großes Problem,
weswegen mein Mitbewohner und ich entschieden eine große Mülltonne als
Geburtstagsgeschenk für unsere Gastmutter zu kaufen. Kein besonders herzliches,
dafür umso praktischer und dringend benötigtes Geschenk. Die Mülltüten, die
sich im Hof stapelten und von unseren Hunden nach Essbaren durchsucht wurden,
waren keine adäquate Innenhofverschönerung.
dienstag, 23. juli
Die Kinder hatte ich auch heute
gut im Griff und so entschied ich, einen kleinen Spaziergang mit ihnen zu
unternehmen. Zumal es nicht die Kleinen waren, die überall entwischen konnten,
sondern die Großen, die schon ein wenig über die Folgen ihres Handelns
nachdachten. Wir verfolgten den vertrockneten Flusslauf, ich erklärte ein wenig
über Pflanzen und wie es kommen konnte, dass der Fluss gerade Urlaub machte.
Überall entdeckten sie gespenstische Formen. Eine Wurzel war auf einmal das
abgefallene Horn des Teufels und ein roter Stein ein Drachenei. Sie steigerten
sich dermaßen in ihre Gruselgeschichten hinein, dass sie es an diesem seltsamen
Ort mit der Angst zu tun bekamen. Als wir ein harmloses Loch passierten, sahen
sie darin die Höhle eines Ungeheuers, erschreckten sich so stark, dass sie
schnurstraks zurück zu Suma Qamaña rannten.
Dieses Faible für
Horrorgeschichten stammt aus dem Gefängnis, wo Mütter und Geschwister ständig
Geschichten über die Unterwelt zum Besten geben. Diese Schauermärchen hatten
sich wohl schon so stark in Köpfen der Kinder eingebrannt, das sie manchmal ohne
Grund Gespenster sahen. Ich hatte mich schon häufiger gewundert, warum sie im
Projekt so häufig über Gespenster sahen oder nicht mehr kommen wollten, weil es
hier spukte. Schon zum zweiten Mal innerhalb einer Woche war ich Zeuge des
stark ausgeprägten Aberglaubens der bolivianischen Andenregion geworden.
Ich durfte früher gehen um zuhause
am Geburtstagsessen meiner Gastmutter teilzuhaben.
Wir aßen, plauderten nett und
genossen die Sonnenstrahlen im Hof.
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