mittwoch, 5. juni
Den ganzen Morgen hatte ich aus mehreren Gründen lustlos
zuhause verbracht. Meine andauernde Arbeitslosigkeit, der Stress mit der
Familie und die Ungewissheit der zu erwartenden Strafe nagten an meinem Verlangen
in Bolivien zu bleiben. Alles was mein Leben hier ausmachte, war momentan das
Gegenteil von dem, wie es sein sollte. Mein Verlangen mit Arbeit helfen zu
wollen, konnte bei weitem nicht gestillt werden und mündete in Frustration.
Zusammen mit Geschichten, die andere Freiwillige mir erzählten, bildet sich in
mir ein Bild der Uneffektivität dieses Dienstes und lassen mich ernsthaft an
dessen Sinn zweifeln. Mein Rückzugsort, die Familie, war wenig zufrieden
stellend. Teilweise hatte ich schon gar keine Lust mehr, nachhause zu kommen
und eines der Gesichter zu erblicken, die meine Freunde hätten sein sollen. Es
ging soweit, dass ich meistens erst um 10-11Uhr abends zuhause ankam, da ich
sicher sein konnte, dass um diese Zeit, meine geliebte Familie sich hinter
geschlossenen Türen im Bettchen befand. Morgens stand ich extra früh auf, um
beim Frühstück niemand über den Weg zu laufen. Auf meinem Zimmer wartete ich
dann die Zeit bis zum Hausverlassen ab. Denn in meinem Zimmer konnte ich vor
Besuchen sicher sein. Natürlich war ich mir bewusst, dass mein Ausweichen der
Kommunikation ebenso wenig zur Problembewältigung beitrug. Ich hatte
mittlerweile einfach die Lust verloren, mich weiterhin aufzuraffen und zu
versuchen gemeinsam etwas zu unternehmen. Denn jedes Mal war ich an Unlust oder
gar Ablehnung geprallt. Wozu sollte ich mich weiter überwinden Vorschläge zu
machen wenn nichts zurückkam. Ich werfe es ihnen auch nicht als mir gezeigter
Bösartigkeit vor, viel mehr als Gemütlichkeit. Sie sind gemütlicher als ich und
genießen diese Art zu leben, woran man auch nichts Falsches erkennen kann. Menschen
sind eben anders und ich habe mittlerweile bemerkt, dass es keinen Sinn hat zu
versuchen eine Beziehung aufzubauen, bei der es am Grundstock mangelt. Der
Verbindung. Wir sind einfach zu unterschiedlich. Der Grund liegt hier auch
nicht im Gegensatz Bolivien und Deutschland, Menschen in allen Ländern sind
verschieden. Mit Einigen versteht man sich besser mit Anderen weniger.
Alle Chancen die ich unsere Beziehung gegeben hatte waren
verloschen, ohne dass sich etwas verändert hatte. Klärende, offene Gespräche
waren verpufft. Mir wurde bewusst wie unglücklich ich doch bin. Dazu die
weiterhin andauernde Lügengeschichte, die seit dem Wochenende zwischen uns
besteht. Über den Rand des Fasses triefen schon die ersten Tropfen. Dennoch bin
ich bereit noch einmal von vorne zu beginnen, gerade weil es die letzten Wochen
vor dem Vorfall recht gut zwischen uns lief. Andererseits lies mich das auch
zweifeln. Obwohl zwischen uns alles ruhig verlaufen war, war es zu diesem
Zwischenfall gekommen. Wie oft würden sie ihre Meinung noch ändern? Hatten sie
mir das nur vorgespielt? Auch ich hatte meine waren Gefühle aus diplomatischen
Gründen nicht öffentlich zur Schau gestellt. Wie kann man jemanden einschätzen,
bei der jede Handlung von der gewohnten Linie um 180° abweichen konnte? Gab es
überhaupt eine Linie?
Mit meinem Kopf voller Gedanken kam ich aufgrund des
unglaublichen Verkehrs, etwas zu spät im AFS-Büro an. Die Verhandlungen waren
bereits fortgeschritten. Dennoch durfte ich meinen Standpunkt noch erläutern. Aber
das änderte nichts, die Strafe stand bereits. Wir hatten die Wahl: Direkt zurück
nach Deutschland oder 6 Monate, also bis Ende des Jahres, kein weiteres Reisen.
Eines der beiden Dokumente mussten wir unterschreiben, sofort.
In meinem Kopf ratterte es. Die einzige schöne Zeit, die ich
zurzeit hatte, war das Reisen. Wenn mir auch das genommen werden würde, welchen
Sinn hatte es noch hier zu bleiben.
Mit dem Bergaufstieg hätten wir etwas sehr Gefährliches
unternommen, bei dem wir hätten sterben können. Schlimmer noch, ohne Erlaubnis
des Büros. Das wir auch die Woche vorher ohne Erlaubnis La Paz verlassen
hatten, war als absichtliche Bloßstellung des Büros verstanden worden. Sie
waren in ihrem Stolz verletzt, was sie uns natürlich sagen wollten, man jedoch
deutlich spürte. Gut, dass sie nichts von unserem Urwaldausflug wussten. Dies
hätte unser Todesurteil bedeutet. Die Unverhältnismäßigkeit der Strafe ließ es
zusätzlich in mir kochen. Nachhause zurück zu kehren stand für mich zu keinem
Zeitpunkt zur Debatte. Dennoch war ich innerlich mächtig aufgewühlt. Keine
Arbeit, unwohle Familienverhältnisse und nun auch noch Ärger mit der
Organisation, bei der alle Fäden zusammen liefen. Zuerst war ich die gesamte
Verhandlung ruhig geblieben und hatte mich reu- und demütig gezeigt. Aber
gerade änderte sich meine Strategie. Wenn sie mich mit dieser Strenge
behandelten, konnte auch ich energischer Auftreten. Zuerst wollte ich ein von
mir unterschriebenes Dokument sehen, das mir explizit den Aufstieg auf einen
Berg verbat. Es gab keines, obwohl man uns das weismachen wollte. Außerdem
lehnte ich ab eine der beiden Optionen zu unterschreiben. Wenn ich mit etwas
nicht einverstanden bin, werde ich es auch nicht unterschreiben und man könne
mir nichts anhaben, so mein Gedankengang. Und tatsächlich begann die Diskussion
weiter zu gehen. So wurde eine weitere Mitarbeiterin zur Hilfe gebeten. Von ihr
mussten wir ein weiteres Donnerwetter über uns ergehen lassen. Wir beharrten
jedoch darauf, nichts zu unterschreiben. Nach langer, teilweise lauter
Diskussion und abermaligen reumütigen Einlenken unsererseits, hatten wir
zumindest ein Treffen mit dem Präsidenten von AFS-Bolivien erwirkt. Eine neue
Chance die Strafe zu minimieren. Dennoch wurde uns mitgeteilt, dass dies wohl
nicht ändern würde. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt.
Ziemlich geknickt verließen wir das Büro. Zur Ablenkung und
Beruhigung gönnten wir uns ein Bier. Eigentlich hätte ich meine Familie heute
zur Rede stellen wollen, doch in diesem aufgewühlten und aggressiven Zustand
wäre das keine gute Idee gewesen. Um länger in der Stadt zu bleiben,
verabredeten wir uns mit unseren Freundinnen.
Spät abends war ich zuhause, wo ich zu meinem Glück
niemanden zu Gesicht bekam.
donnerstag, 6. juni
Um AFS Bolivien bei meinem Projektwechsel Dampf zu machen,
schickte ich eine E-Mail zu AFS Deutschland. Dies war normalerweise nicht
vorgesehen. Wenn ich jedoch seltsam behandelt werde und man es in 3 Monaten
nicht schaffte einen Anruf bei einer anderen Stelle zu tätigen, konnte auch ich
meinem heiß geliebten Büro in La Paz unangenehm werden.
Den Rest des Tages vertrödelte ich. Ich hatte einfach keine
Lust auf irgendetwas.
Am Abend begann ich ein unverbindliches Gespräch mit meiner
Gastmutter. Es ging über Belanglosigkeiten bis ich direkt fragte, warum ich
seit Tagen angelogen werde. Ich erzählte von der Strafe und das ich wusste,
warum AFS Bescheid wusste. Meine Gastmutter wich mir ständig aus und fing immer
wieder an von ihrer Tochter in Deutschland zu erzählen. Auf diese
Hinhaltetaktik hatte ich keine Lust mehr und wurde energischer. Als mir eine
Antwort weiterhin verwährt blieb, und Ahnungslosigkeit gespielt worden war, die
ich mit einigen Nachfragen als Flunkereien enttarnt hatte, wurde es mir zu
viel. Das Gespräch verlief in die falsche Richtung. Ich wurde direkt und zog
ein delikates Ass aus dem Ärmel. Es ging um ihre Tochter in Deutschland. Sie
fühlte sich direkt angegriffen. Ich erklärte meine Situation und das sie verstehen
müsse, warum ich ein wenig erbost war. Das Brodeln in mir hatte tatsächlich
abgenommen, da ich merkte, dass ich am Gewinnen war. Auf einmal lief es total
aus dem Ruder, meine Gastmutter geriet in Wallungen und konnte sich kaum
beherrschen. Obwohl sie mich wenige Minuten vorher noch vorher angewiesen
hatte, meine Emotionen wie ein Erwachsener besser im Griff zu behalten, war nun
sie es, mit der es durchbrannte. Sie verließ zuerst das Thema, und dann
wutschnaubend den Raum. Nicht um mir vorher noch etwas an den Kopf zu werfen.
Das Tischtuch war wohl endgültig zerschnitten, wie man so schön sagte. Noch
immer ruhig auf meinem Platz sitzend, konnte ich es mir nicht verkneifen eine
gute Nacht zu wünschen. So schnell hatte ich sie noch die Treppe hinaufsteigen
sehen. Wahrscheinlich war ich etwas gemein gewesen, andererseits war ich auch
nicht gerade zu meiner Zufriedenstellung behandelt worden. Ich trank genüsslich
meinen Tee aus und begab mich dann in mein Zimmer. Mittlerweile war auch meine
Aufwühlung wieder in meinem Kopf angekommen. Was hatte ich gesagt, was hatte
meine Gastmutter gesagt? War ich zu mies gewesen? Ein Stockwerk weiter unten
ging die Diskussion ebenfalls weiter. Bis unter meine Decke drangen die teils
erregten Wortfetzen. Zumindest für ein wenig Aufregung und Nachdenken hatte ich
gesorgt, ob dies zielführend war, war eine andere Frage.
freitag, 7. juni – montag, 10. juni
Nach dem Aufstehen packte ich meine Sachen für das
bevorstehende, verlängerte Wochenende mit den anderen Freiwilligen. Bis Montag
würden wir zusammen in einem Haus leben, über unsere Erfahrungen und Eindrücke
austauschen und unsere Wünsche für den Rest des Jahres vortragen.
Plötzlich wurde ich von meinem Gastvater zum Reden an den
Küchentisch gerufen. Mein abendliches Gespräch hatte wohl Wellen geschlagen,
die das harmonische Gastfamilienschiff ins Schwanken gebracht hatten. Ich hatte
gehofft, dass mir nun endlich die Gründe für das Verraten erklärt wurden und
ich hatte Glück. Erst einmal ging es jedoch über das Ansehen ihrer Familie und
das ich keine Lügen über sie und ihre Tochter verbreiten sollte. Die
Informationen, die ich hatte waren allesamt falsch und von mir ausgedacht.
Meine Gastmutter merkte an, dass sie mir nicht länger gegenübersitzen könnte
und es für mich besser wäre eine neue Familie zu suchen. Nicht undelikat der
Vorschlag. Außerdem solle ich meine Emotionen besser im Griff haben und nicht
sofort unüberlegt reagieren. Ein Beweis wie gut sie mich mittlerweile schon
kennen gelernt hatten, aber ich akzeptierte ihre Aussagen. Sie sahen auch ein,
dass es nicht die feinste Art war über meine Familie und Deutschland
herzuziehen. Mein Gastvater spielte unaufgeregt den Moderator und ich war
beeindruckt wie souverän er diese Rolle spielte, er betrachtete beide Seiten
und ermahnte seine Frau sich nicht so aufzuführen. Er war es, der AFS direkt
nach meinem Verlassen angerufen hatte. Er hatte Angst, dass mir bei meinem
lebensgefährlichen Ausflug etwas passieren würde und er für mich haften müsste.
Er hätte mir klar verboten nicht gehen zu dürfen. Warum man mich vor einer
Woche nicht direkt aufgehalten hatte, wurde nicht erwähnt. Das seine Frau mir
vorher die Erlaubnis erteilt hatte den Berg zu steigen wusste er nicht. Ebenso
wenig wie seine Frau über seinen Anruf Bescheid wusste. Meine Strafe und
schlechte Laune war also aus einem Kommunikationsproblem der Eheleute
entstanden. Sie spielten so überzeugend, dass ich davon ausgehe, dass sie die
Wahrheit sprachen. Die Fronten waren also geklärt und wir versicherten uns
gegenseitig in Zukunft mehr miteinander zu unternehmen und zu kommunizieren.
Weil bolivianische Versprechen jedoch so viel Wert haben, wie der Preis eines
verfilzten Straßenhundes, machte ich mir nicht allzu viel Hoffnung. Mit der
Zeit und einigen Enttäuschungen hatte ich hier gelernt, dass Worte häufig nur
zum Füllen von sinnleeren Sätzen gesprochen werden, ähnlich nicht weniger
deutscher Politiker.
Dann ging es los. Erst einmal fünf Tage außer Haus, die uns
beiden wohl ganz gut taten. Trotz klärenden Gesprächs schwebte der große Krach
zusammen mit der saftigen Strafe noch über meinem Kopf als ich am Treffpunkt
ankam. Dementsprechend niedergeschlagen sah ich wohl auch aus. Freudig
strahlend, als wäre nichts gewesen begrüßte uns, die Organisatorin. Zwei Tage
zuvor hatte sie uns noch aufs Böseste zusammengestampft. Diese Wandelbarkeit
der Menschen kann einem teilweise fast Angst einjagen. Dennoch gab es eine
freudige Nachricht für mich. Nächsten Mittwoch würde ich mein neues Projekt
beginnen. Was eine kleine Nachricht nach Deutschland so alles auslösen kann.
Man hatte uns mitgeteilt, dass unser Besprechungswochenende
in La Paz stattfinden würde. Mit den Freiwilligen der anderen Städte hatten wir
uns darauf gefreut, die Vorzüge der Stadt auskosten zu dürfen. Als wir allerdings
nach eineinhalb Stunden Fahrt ankamen waren wir von dieser Seite La Pazes
weiter entfernt, als meine Gastfamilie und ich von einer innigen Freundschaft.
Alle waren etwas enttäuscht, denn das Einzige, was es hier zu geben schien war
ein Dorfplatz mit kaputten Wippen. Wir waren in einem Vorort La Pazes
untergekommen, der zwar eine schöne Herberge versprach, aber weitere
Versprechen auf sich warten ließ.
Für mich war es wahrscheinlich der perfekte Ort um Abstand
zu gewinnen und in Ruhe überlegen zu können. Nach dem leckeren aber
überschaubaren Mittagessen widmeten wir uns kleinen Aufgaben und
Gesprächsrunden und genossen die warme Sonne. Einen Vorteil hatte der Ort. Er
war tiefer als das Zentrum gelegen, was man direkt an der Wärme, die einen
umgab, spüren konnte. Wir unterhielten uns nett und hatten ausgiebig Zeit unsere
Erlebnisse zu vergleichen. Zwischendurch wurden Teepausen eingelegt, kleine
Aktionen erledigt, gegessen, Spaziergänge unternommen und sich wohl gefühlt.
Außerdem war es das erste Mal seit langem in purer deutscher Umgebung, weswegen
das Spanische teilweise zu kurz kam. Es waren sehr angenehme und entspannte
Tage. Da alles mehr oder weniger gleich ablief, werde ich die nächsten Tage
nicht genauer beschreiben. Für die, die Lust haben einen guten Eindruck über La
Paz zu gewinnen, und die Möglichkeit besitzen einen Film zu erwerben empfehle
ich „Cementerio de los Elefantes“, der uns am zweiten Abend die Tränen in die
Augen trieb.
Das Gespräch mit dem Präsidenten blieb leider aus und wurde
auf unter die Woche verlegt. Wir waren also immer noch hart bestraft.
dienstag, 11. juni
Gut erholt und emotional wieder in normalen Gewässern wurde
gepackt und sich auf die Abreise vorbereitet. An dieser Stelle vielen Dank an
unsere liebevollen Gastgeberinnen, die uns jeden Tag freundlich und gut gelaunt
versorgten und dabei alle Köstlichkeiten Boliviens aufs Leckerste servierten.
Nach den Abschlussfotos ging es wieder nachhause. Als ich ankam war niemand da
und sollte ich ein wenig meinen verpassten Schlaf der letzen Tage nach. Dann
begann ich einen Kuchen für meine Kollegen von Fundare zu backen, von denen ich
mich noch nicht verabschiedet hatte. Abends gab es dann noch die Möglichkeit
für ein wenig Smalltalk mit meiner Gastfamilie, bei dem man noch immer ein
kleines Knistern zwischen uns spüren konnte.
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