Freitag, 21. Juni 2013

neunzehnte woche

mittwoch, 5. juni

Den ganzen Morgen hatte ich aus mehreren Gründen lustlos zuhause verbracht. Meine andauernde Arbeitslosigkeit, der Stress mit der Familie und die Ungewissheit der zu erwartenden Strafe nagten an meinem Verlangen in Bolivien zu bleiben. Alles was mein Leben hier ausmachte, war momentan das Gegenteil von dem, wie es sein sollte. Mein Verlangen mit Arbeit helfen zu wollen, konnte bei weitem nicht gestillt werden und mündete in Frustration. Zusammen mit Geschichten, die andere Freiwillige mir erzählten, bildet sich in mir ein Bild der Uneffektivität dieses Dienstes und lassen mich ernsthaft an dessen Sinn zweifeln. Mein Rückzugsort, die Familie, war wenig zufrieden stellend. Teilweise hatte ich schon gar keine Lust mehr, nachhause zu kommen und eines der Gesichter zu erblicken, die meine Freunde hätten sein sollen. Es ging soweit, dass ich meistens erst um 10-11Uhr abends zuhause ankam, da ich sicher sein konnte, dass um diese Zeit, meine geliebte Familie sich hinter geschlossenen Türen im Bettchen befand. Morgens stand ich extra früh auf, um beim Frühstück niemand über den Weg zu laufen. Auf meinem Zimmer wartete ich dann die Zeit bis zum Hausverlassen ab. Denn in meinem Zimmer konnte ich vor Besuchen sicher sein. Natürlich war ich mir bewusst, dass mein Ausweichen der Kommunikation ebenso wenig zur Problembewältigung beitrug. Ich hatte mittlerweile einfach die Lust verloren, mich weiterhin aufzuraffen und zu versuchen gemeinsam etwas zu unternehmen. Denn jedes Mal war ich an Unlust oder gar Ablehnung geprallt. Wozu sollte ich mich weiter überwinden Vorschläge zu machen wenn nichts zurückkam. Ich werfe es ihnen auch nicht als mir gezeigter Bösartigkeit vor, viel mehr als Gemütlichkeit. Sie sind gemütlicher als ich und genießen diese Art zu leben, woran man auch nichts Falsches erkennen kann. Menschen sind eben anders und ich habe mittlerweile bemerkt, dass es keinen Sinn hat zu versuchen eine Beziehung aufzubauen, bei der es am Grundstock mangelt. Der Verbindung. Wir sind einfach zu unterschiedlich. Der Grund liegt hier auch nicht im Gegensatz Bolivien und Deutschland, Menschen in allen Ländern sind verschieden. Mit Einigen versteht man sich besser mit Anderen weniger.
Alle Chancen die ich unsere Beziehung gegeben hatte waren verloschen, ohne dass sich etwas verändert hatte. Klärende, offene Gespräche waren verpufft. Mir wurde bewusst wie unglücklich ich doch bin. Dazu die weiterhin andauernde Lügengeschichte, die seit dem Wochenende zwischen uns besteht. Über den Rand des Fasses triefen schon die ersten Tropfen. Dennoch bin ich bereit noch einmal von vorne zu beginnen, gerade weil es die letzten Wochen vor dem Vorfall recht gut zwischen uns lief. Andererseits lies mich das auch zweifeln. Obwohl zwischen uns alles ruhig verlaufen war, war es zu diesem Zwischenfall gekommen. Wie oft würden sie ihre Meinung noch ändern? Hatten sie mir das nur vorgespielt? Auch ich hatte meine waren Gefühle aus diplomatischen Gründen nicht öffentlich zur Schau gestellt. Wie kann man jemanden einschätzen, bei der jede Handlung von der gewohnten Linie um 180° abweichen konnte? Gab es überhaupt eine Linie?
Mit meinem Kopf voller Gedanken kam ich aufgrund des unglaublichen Verkehrs, etwas zu spät im AFS-Büro an. Die Verhandlungen waren bereits fortgeschritten. Dennoch durfte ich meinen Standpunkt noch erläutern. Aber das änderte nichts, die Strafe stand bereits. Wir hatten die Wahl: Direkt zurück nach Deutschland oder 6 Monate, also bis Ende des Jahres, kein weiteres Reisen. Eines der beiden Dokumente mussten wir unterschreiben, sofort.
In meinem Kopf ratterte es. Die einzige schöne Zeit, die ich zurzeit hatte, war das Reisen. Wenn mir auch das genommen werden würde, welchen Sinn hatte es noch hier zu bleiben.
Mit dem Bergaufstieg hätten wir etwas sehr Gefährliches unternommen, bei dem wir hätten sterben können. Schlimmer noch, ohne Erlaubnis des Büros. Das wir auch die Woche vorher ohne Erlaubnis La Paz verlassen hatten, war als absichtliche Bloßstellung des Büros verstanden worden. Sie waren in ihrem Stolz verletzt, was sie uns natürlich sagen wollten, man jedoch deutlich spürte. Gut, dass sie nichts von unserem Urwaldausflug wussten. Dies hätte unser Todesurteil bedeutet. Die Unverhältnismäßigkeit der Strafe ließ es zusätzlich in mir kochen. Nachhause zurück zu kehren stand für mich zu keinem Zeitpunkt zur Debatte. Dennoch war ich innerlich mächtig aufgewühlt. Keine Arbeit, unwohle Familienverhältnisse und nun auch noch Ärger mit der Organisation, bei der alle Fäden zusammen liefen. Zuerst war ich die gesamte Verhandlung ruhig geblieben und hatte mich reu- und demütig gezeigt. Aber gerade änderte sich meine Strategie. Wenn sie mich mit dieser Strenge behandelten, konnte auch ich energischer Auftreten. Zuerst wollte ich ein von mir unterschriebenes Dokument sehen, das mir explizit den Aufstieg auf einen Berg verbat. Es gab keines, obwohl man uns das weismachen wollte. Außerdem lehnte ich ab eine der beiden Optionen zu unterschreiben. Wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin, werde ich es auch nicht unterschreiben und man könne mir nichts anhaben, so mein Gedankengang. Und tatsächlich begann die Diskussion weiter zu gehen. So wurde eine weitere Mitarbeiterin zur Hilfe gebeten. Von ihr mussten wir ein weiteres Donnerwetter über uns ergehen lassen. Wir beharrten jedoch darauf, nichts zu unterschreiben. Nach langer, teilweise lauter Diskussion und abermaligen reumütigen Einlenken unsererseits, hatten wir zumindest ein Treffen mit dem Präsidenten von AFS-Bolivien erwirkt. Eine neue Chance die Strafe zu minimieren. Dennoch wurde uns mitgeteilt, dass dies wohl nicht ändern würde. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt.
Ziemlich geknickt verließen wir das Büro. Zur Ablenkung und Beruhigung gönnten wir uns ein Bier. Eigentlich hätte ich meine Familie heute zur Rede stellen wollen, doch in diesem aufgewühlten und aggressiven Zustand wäre das keine gute Idee gewesen. Um länger in der Stadt zu bleiben, verabredeten wir uns mit unseren Freundinnen.
Spät abends war ich zuhause, wo ich zu meinem Glück niemanden zu Gesicht bekam.

donnerstag, 6. juni

Um AFS Bolivien bei meinem Projektwechsel Dampf zu machen, schickte ich eine E-Mail zu AFS Deutschland. Dies war normalerweise nicht vorgesehen. Wenn ich jedoch seltsam behandelt werde und man es in 3 Monaten nicht schaffte einen Anruf bei einer anderen Stelle zu tätigen, konnte auch ich meinem heiß geliebten Büro in La Paz unangenehm werden.
Den Rest des Tages vertrödelte ich. Ich hatte einfach keine Lust auf irgendetwas.
Am Abend begann ich ein unverbindliches Gespräch mit meiner Gastmutter. Es ging über Belanglosigkeiten bis ich direkt fragte, warum ich seit Tagen angelogen werde. Ich erzählte von der Strafe und das ich wusste, warum AFS Bescheid wusste. Meine Gastmutter wich mir ständig aus und fing immer wieder an von ihrer Tochter in Deutschland zu erzählen. Auf diese Hinhaltetaktik hatte ich keine Lust mehr und wurde energischer. Als mir eine Antwort weiterhin verwährt blieb, und Ahnungslosigkeit gespielt worden war, die ich mit einigen Nachfragen als Flunkereien enttarnt hatte, wurde es mir zu viel. Das Gespräch verlief in die falsche Richtung. Ich wurde direkt und zog ein delikates Ass aus dem Ärmel. Es ging um ihre Tochter in Deutschland. Sie fühlte sich direkt angegriffen. Ich erklärte meine Situation und das sie verstehen müsse, warum ich ein wenig erbost war. Das Brodeln in mir hatte tatsächlich abgenommen, da ich merkte, dass ich am Gewinnen war. Auf einmal lief es total aus dem Ruder, meine Gastmutter geriet in Wallungen und konnte sich kaum beherrschen. Obwohl sie mich wenige Minuten vorher noch vorher angewiesen hatte, meine Emotionen wie ein Erwachsener besser im Griff zu behalten, war nun sie es, mit der es durchbrannte. Sie verließ zuerst das Thema, und dann wutschnaubend den Raum. Nicht um mir vorher noch etwas an den Kopf zu werfen. Das Tischtuch war wohl endgültig zerschnitten, wie man so schön sagte. Noch immer ruhig auf meinem Platz sitzend, konnte ich es mir nicht verkneifen eine gute Nacht zu wünschen. So schnell hatte ich sie noch die Treppe hinaufsteigen sehen. Wahrscheinlich war ich etwas gemein gewesen, andererseits war ich auch nicht gerade zu meiner Zufriedenstellung behandelt worden. Ich trank genüsslich meinen Tee aus und begab mich dann in mein Zimmer. Mittlerweile war auch meine Aufwühlung wieder in meinem Kopf angekommen. Was hatte ich gesagt, was hatte meine Gastmutter gesagt? War ich zu mies gewesen? Ein Stockwerk weiter unten ging die Diskussion ebenfalls weiter. Bis unter meine Decke drangen die teils erregten Wortfetzen. Zumindest für ein wenig Aufregung und Nachdenken hatte ich gesorgt, ob dies zielführend war, war eine andere Frage.

freitag, 7. juni – montag, 10. juni

Nach dem Aufstehen packte ich meine Sachen für das bevorstehende, verlängerte Wochenende mit den anderen Freiwilligen. Bis Montag würden wir zusammen in einem Haus leben, über unsere Erfahrungen und Eindrücke austauschen und unsere Wünsche für den Rest des Jahres vortragen.
Plötzlich wurde ich von meinem Gastvater zum Reden an den Küchentisch gerufen. Mein abendliches Gespräch hatte wohl Wellen geschlagen, die das harmonische Gastfamilienschiff ins Schwanken gebracht hatten. Ich hatte gehofft, dass mir nun endlich die Gründe für das Verraten erklärt wurden und ich hatte Glück. Erst einmal ging es jedoch über das Ansehen ihrer Familie und das ich keine Lügen über sie und ihre Tochter verbreiten sollte. Die Informationen, die ich hatte waren allesamt falsch und von mir ausgedacht. Meine Gastmutter merkte an, dass sie mir nicht länger gegenübersitzen könnte und es für mich besser wäre eine neue Familie zu suchen. Nicht undelikat der Vorschlag. Außerdem solle ich meine Emotionen besser im Griff haben und nicht sofort unüberlegt reagieren. Ein Beweis wie gut sie mich mittlerweile schon kennen gelernt hatten, aber ich akzeptierte ihre Aussagen. Sie sahen auch ein, dass es nicht die feinste Art war über meine Familie und Deutschland herzuziehen. Mein Gastvater spielte unaufgeregt den Moderator und ich war beeindruckt wie souverän er diese Rolle spielte, er betrachtete beide Seiten und ermahnte seine Frau sich nicht so aufzuführen. Er war es, der AFS direkt nach meinem Verlassen angerufen hatte. Er hatte Angst, dass mir bei meinem lebensgefährlichen Ausflug etwas passieren würde und er für mich haften müsste. Er hätte mir klar verboten nicht gehen zu dürfen. Warum man mich vor einer Woche nicht direkt aufgehalten hatte, wurde nicht erwähnt. Das seine Frau mir vorher die Erlaubnis erteilt hatte den Berg zu steigen wusste er nicht. Ebenso wenig wie seine Frau über seinen Anruf Bescheid wusste. Meine Strafe und schlechte Laune war also aus einem Kommunikationsproblem der Eheleute entstanden. Sie spielten so überzeugend, dass ich davon ausgehe, dass sie die Wahrheit sprachen. Die Fronten waren also geklärt und wir versicherten uns gegenseitig in Zukunft mehr miteinander zu unternehmen und zu kommunizieren. Weil bolivianische Versprechen jedoch so viel Wert haben, wie der Preis eines verfilzten Straßenhundes, machte ich mir nicht allzu viel Hoffnung. Mit der Zeit und einigen Enttäuschungen hatte ich hier gelernt, dass Worte häufig nur zum Füllen von sinnleeren Sätzen gesprochen werden, ähnlich nicht weniger deutscher Politiker.
Dann ging es los. Erst einmal fünf Tage außer Haus, die uns beiden wohl ganz gut taten. Trotz klärenden Gesprächs schwebte der große Krach zusammen mit der saftigen Strafe noch über meinem Kopf als ich am Treffpunkt ankam. Dementsprechend niedergeschlagen sah ich wohl auch aus. Freudig strahlend, als wäre nichts gewesen begrüßte uns, die Organisatorin. Zwei Tage zuvor hatte sie uns noch aufs Böseste zusammengestampft. Diese Wandelbarkeit der Menschen kann einem teilweise fast Angst einjagen. Dennoch gab es eine freudige Nachricht für mich. Nächsten Mittwoch würde ich mein neues Projekt beginnen. Was eine kleine Nachricht nach Deutschland so alles auslösen kann.
Man hatte uns mitgeteilt, dass unser Besprechungswochenende in La Paz stattfinden würde. Mit den Freiwilligen der anderen Städte hatten wir uns darauf gefreut, die Vorzüge der Stadt auskosten zu dürfen. Als wir allerdings nach eineinhalb Stunden Fahrt ankamen waren wir von dieser Seite La Pazes weiter entfernt, als meine Gastfamilie und ich von einer innigen Freundschaft. Alle waren etwas enttäuscht, denn das Einzige, was es hier zu geben schien war ein Dorfplatz mit kaputten Wippen. Wir waren in einem Vorort La Pazes untergekommen, der zwar eine schöne Herberge versprach, aber weitere Versprechen auf sich warten ließ.
Für mich war es wahrscheinlich der perfekte Ort um Abstand zu gewinnen und in Ruhe überlegen zu können. Nach dem leckeren aber überschaubaren Mittagessen widmeten wir uns kleinen Aufgaben und Gesprächsrunden und genossen die warme Sonne. Einen Vorteil hatte der Ort. Er war tiefer als das Zentrum gelegen, was man direkt an der Wärme, die einen umgab, spüren konnte. Wir unterhielten uns nett und hatten ausgiebig Zeit unsere Erlebnisse zu vergleichen. Zwischendurch wurden Teepausen eingelegt, kleine Aktionen erledigt, gegessen, Spaziergänge unternommen und sich wohl gefühlt. Außerdem war es das erste Mal seit langem in purer deutscher Umgebung, weswegen das Spanische teilweise zu kurz kam. Es waren sehr angenehme und entspannte Tage. Da alles mehr oder weniger gleich ablief, werde ich die nächsten Tage nicht genauer beschreiben. Für die, die Lust haben einen guten Eindruck über La Paz zu gewinnen, und die Möglichkeit besitzen einen Film zu erwerben empfehle ich „Cementerio de los Elefantes“, der uns am zweiten Abend die Tränen in die Augen trieb.
Das Gespräch mit dem Präsidenten blieb leider aus und wurde auf unter die Woche verlegt. Wir waren also immer noch hart bestraft.

dienstag, 11. juni


Gut erholt und emotional wieder in normalen Gewässern wurde gepackt und sich auf die Abreise vorbereitet. An dieser Stelle vielen Dank an unsere liebevollen Gastgeberinnen, die uns jeden Tag freundlich und gut gelaunt versorgten und dabei alle Köstlichkeiten Boliviens aufs Leckerste servierten. Nach den Abschlussfotos ging es wieder nachhause. Als ich ankam war niemand da und sollte ich ein wenig meinen verpassten Schlaf der letzen Tage nach. Dann begann ich einen Kuchen für meine Kollegen von Fundare zu backen, von denen ich mich noch nicht verabschiedet hatte. Abends gab es dann noch die Möglichkeit für ein wenig Smalltalk mit meiner Gastfamilie, bei dem man noch immer ein kleines Knistern zwischen uns spüren konnte. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen