Donnerstag, 14. Februar 2013

die erste woche: in der longen version

Hallo erstmal,
ich freue mich, dass ihr mal vorbei schaut auf dieser Seite. Es tut mir Leid, dass es für die erste Veröffentlichung etwas länger gedauert hat. Aber vor Abflug und nach Ankunft hier in La Paz war viel los. Weswegen Zeit zur Ruhe zu kommen und zu schreiben sehr rar gesät war. Und wenn ich dachte, dass ich mal Zeit haben könnte, weil mein ganzer Nachmittag und Abend noch vor mir standen und ich nur „kurz“ mit meiner Gastfamilie unterwegs sein sollte, war dieses „kurz“ auch schon mal sechs Stunden. Aber ich habe mir fest vorgenommen mich trotzdem zu überwinden, hier jede Woche etwas Interessantes oder Informatives zum Lesen oder Gucken bereitzustellen. Wenn also einmal verwirrend geschriebene Berichte erscheinen sollten, dann kann es durchaus sein, dass ich diese nachts geschrieben habe.

Heute versuche ich chronologisch zu berichten, was ich seit meinem Abflug bis jetzt erlebt habe. Um alles genau zu erklären wären tausende längere Einschübe von Nöten, die euch erst einmal ersparen werde. Aber sobald hier so etwas wie Alltag eingekehrt ist, gibt es Berichte, die die allgemeine Lage hier beschreiben und erklären so z.B. das Essen, den Verkehr, das Wetter, etc. Wenn allerdings der Wunsch besteht über manches mehr zu erfahren, könnt ihr dies in den Kommentaren tun.
DER ERSTE TAG - DER FLUG

So genug, jetzt geht’s los.



Das habe ich mir auch gedacht, als ich meine Tasche am Flughafen aufgegeben hatte, mich ein letztes Mal von den mir momentan wichtigsten Menschen verabschiedet hatte und durch die erste Sicherheitsschleuse lief. Mir war noch gar nicht bewusst, dass dies meine letzten Meter auf deutschen Boden für ca. ein Jahr sein sollten. Am Gate traf ich zwei andere Freiwillige, die sich mit mir schon auf die gleiche langwierige Route über Frankfurt – London – Miami - La Paz freuten. Da saß ich also seit 2einhalb Jahren mal wieder im Flugzeug, wieder ging es nach London. Den britischen Akzent hatte ich schon vermisst, und mir kam es fast symbolisch vor, dass mein nächstes Jahr von zuhause wieder über England führte. Erinnerungen an dieses schöne Jahr kamen hoch, als ich den Boden verschwinden sah und die Häuser, Bäume und Straßen kleiner wurden. Dann umschlossen uns die Wolken.
Sie lichteten sich und man konnte Flüsse, Schiffe, Häfen und das Meer sehen. So unwirklich klein wie alles aussah, so unwirklich fühlte ich mich. Ich hatte am Flughafen noch nicht einmal weinen können. Wie lange kein ein Jahr denn sein? Als unter uns die Küste und letztendlich London auftauchten fühlte ich mich abermals zurückgeworfen und hoffte, dass das kommende Jahr ebenso lehrreich, schön und spannend werden würde wie 09/10.

Für den Umstieg hatten wir nur 45 min Zeit, da unser Flug in Frankfurt später abgehoben hatte. Wir liefen also zu dritt so schnell es ging zum nächsten Eincheckschalter. Dort merkten wir, dass eine ihren Pass nicht finden konnte. Ich dachte mir nur: ach du ……., das kann doch jetzt nicht war sein. Das Flughafenpersonal war froh, endlich mal etwas zu tun zu haben und half uns mit aller Freundlichkeit und vielen Telefonaten den Pass wieder zu finden. Aber die Zeit verrann. Unser Flug wurde schon ausgerufen. Dann wurden wir aufgeklärt. Unser Flug ging gar nicht 45min nach Ankunft sondern 1h45 später und hatte dazu noch eine Stunde Verspätung. Wir hatten vergessen die Zeitumstellung mit einzurechnen. Der ausgerufene Flug war zudem ein früherer Flug nach Miami. Als eine Reinigungskraft den Pass im Flugzeug fand und er uns gebracht wurde, atmeten wir alle erst einmal durch. Es konnte weiter gehen.

In London trafen wir auf die restlichen vier Freiwilligen, die mit nach Bolivien fliegen sollten und eine Blaskapelle aus dem Schwäbischen, die ebenfalls auf dem Weg nach La Paz war.
Der Flug verlief bis auf kleinere Turbulenzen, nicht genügend Essen für alle Passagiere und schlechten schwäbischen Witze reibungslos. Nach mehreren Stunden flogen wir dann auf das nächtlich hellerleuchtete Lichtermeer Miami an. „Des schaut aus wie Molmsheim in drei Joare“ konnte den Anblick nicht annähernd beschreiben. Dann gings durch die freundlichen amerikanischen Flughafenkontrollen. Ich möchte nicht wissen, wie es in dort in einem Gefängnis zugeht, wenn man sich schon als Reisender, wie ein Verbrecher bei einem Verhör fühlte. „What are you doing in The United States of America, Sir?“ – “ We are a group of people doing volunteer work in Bolivia.” - “WHO IS WE?” Samt grellen Taschenlampenlicht im Auge lassen einen nicht gerade “welcome to Miami” fühlen. Nach
erneutem Einchecken hatte ich dann auch den berühmten Nacktscanner kennen gelernt. Und war mittlerweile etwas ermüdet.


Nun standen noch drei Stunden warten in einem weitläufigen nach Kotze und Bier riechenden Wartebereich auf dem Programm. Komischerweise wurde hier am Flughafen nicht Englisch sondern schon Spansich gesprochen, was die Ausrufe unserer Nachnamen über Lautsprecher noch umständlicher machte. „DÄÖRKILS“ bedeutete anscheinend meinen Namen. Endlich ging es dann zum letzten Flug, bei dem man noch weniger Platz und noch weniger Komfort hatte. Das Schlafen lief mehr oder weniger gut. Ich saß leider am Gang, als während des Fluges die Sonne aufging, und sich alle an die Fenster drängten, um das Spektakel zu betrachten. Über den Wolken fiel mir diese Metapher ein. (ich hoffe es ist eine Metapher, falls meine Deutschlehrer mitlesen bitte ich sie dies zu entschuldigen.) Wenn man am Anfang eines Jahres steht, kann man nur durch ein kleines Fenster, das möglicherweise verdeckt ist, erahnen, wie schön das vor einem liegende Jahr, außerhalb des Blickfeldes sein kann. Man kann nicht alles sehen, muss Geduld und Glück haben etwas mehr zu erhaschen und herausfinden was sich hinter dem eigenen Horizont abspielt. Zugegebenermaßen war ich bei diesem Gedanken gang nicht mehr ganz zurechnungsfähig.

Der zweite Tag – Die Ankunft

Auf einmal konnte man aus dem Flugzeug die vielen unverputzten, zweistöckigen Backsteinhäuser erkennen, die das höher gelegene Stadtgebiet El Alto, in dem sich der Flughafen befindet, ausmachen. Nach ca. 28 Stunden Reisezeit hatten wir unser Ziel erreicht. Endlich konnte man sich wieder die Beine vertreten, frische Luft atmen und man war da. Die Luft kam mir gar nicht so dünn vor, wie ich sie mir dank all der Reiseführer vorgestellt hatte. Und auch den Höhenschock konnte ich noch nicht bemerken. Nur meine Hände zitterten, was auch an Schlafmangel und Aufregung hätte liegen können.
Wir schauten uns alle erst einmal um, auf dem winzigen Flughafen konnten wir im grellen Sonnenlicht viele uns zuwinkende Leute und ein AFS-Plakat hinter der Glasscheibe des Eingangsbereichs sehen. Waren unsere Gastfamilien schon heute da? Wir schauten uns alle fragend an.





Dann hieß erst einmal eine Stunde am Einreiseschalter warten, bis alle ihren Einreisestempel erhalten hatten und ihre Zollzettel an voll ausgestattete Polizisten übergeben hatten. Auf dem Klo war ich sehr belustigt, als alle Waschbecken, Toiletten und Pissoirs auf Kinderhöhe hingen. So klein konnten die Leute hier doch gar nicht sein. Diese Hygienehöhe ist mir bis jetzt noch kein zweites Mal begegnet und ich befinde mich auch nicht im Zwergenland. Die nächste kleine Überraschung folgte gleich danach. Wo war mein Gepäck? Alle Gepäckstücke bis auf meines waren in La Paz angekommen. Auch die Blaskapelle vermisste einige ihrer Instrumente, weswegen sie ziemlich sauer waren, da sie ja bald auftreten sollten. Komischerweise war ich sehr gelassen, da ich mich schon auf eine solche Situation eingestellt hatte. So hatte ich die wichtigsten Sachen und einige Kleidungsstücke im Handgepäck mitgenommen. Nach weiteren 30imn wurden wir dann vom Empfangskomitee empfangen, die Gasteltern waren nicht dabei. Taxis fuhren uns ins Hotel, in dem wir noch einmal einen Tag auf das bevorstehende Jahr vorbereitet wurden. Während dieser ersten Fahrt fühlte ich mich wie in einem Dokumentarfilm. Wir fuhren unangeschnallt mit klapprigem Taxi über holprige Straßen. Armselige Häuser säumten rechts und links den Weg. Straßenhunde und traditionell gekleidete Frauen liefen die Straße entlang. El Alto, liegt auf der Hochebene, dem Altiplano, über La Paz und traditionell wohnen hier die ärmeren Menschen La Pazs. Als sich dann plötzlich vor uns der Kessel öffnete in dem La Paz liegt stockte uns der Atem. Wahrscheinlich werde ich diesen Moment nie vergessen. Ewig weit strecken sich Häuser aller Formen, Farben und Höhe in diesem Kessel voller Hügel in den Horizont. Wir fuhren weiter und konnten vor lauter neuartiger Eindrücke nicht aufhören aus dem Fenster zu gucken. Ab und zu grinsten wir uns an. Kleinste Läden mit Auspüffen, Stoßstangen, Lichtern zum Aufmotzen der Autos zogen an uns vorbei. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Man kann es nur schwer beschreiben. Die nächsten Wochen versuche ich euch diese Stadt mit Bildern näher zu bringen. Im Hotel durften wir uns erst einmal hinlegen




und duschen, unser Hunger wurde dann beim Mittagsbuffet gestillt. Schwarze Kartoffeln und Rinderzunge gab es z.B. zu probieren. Auch über das wirklich leckere bolivianische Essen werdet ihr in Zukunft mehr lesen können.
Bei einigen setzte nun die Höhenkrankheit ein. Atembeschwerden, Kopfweh, Übelkeit, Fieber und Schüttelfrost setzten unterschiedlich zu. Das Einzige was ich verspürte war ein riesiger Hunger, und das Gefühl einen kleinen Kater zu haben, glücklicherweise. Mit meinem kotzenden und ziemlich mitgenommenen Zimmerkollegen hätte ich nicht gerne getauscht. Das Treppensteigen ins neunte Stockwerk war allerdings eine ziemliche Tortur.
Nun wurden uns noch einmal grundlegende Verhaltensregeln, Transportsysteme und Bräuche in Bolivien nahe gebracht und danach ging es zu einem kleinen Bummel auf dem Prado, der Hauptstraße La Pazs. Wie im Traum. Es gab alles. Businessleute, Schuhputzer, europäisch gekleidete Menschen, traditionelle Frauen [Cholitas], tanzende Kinder, Pärchen, größere Menschen, kleinere Menschen. Und zu meiner Verwunderung tausende Banken. Wie ich an Geld kommen sollte, war also überraschenderweise überhaupt kein Problem. Wahrscheinlich hatte ich hier viel zu europäisch gedacht. Im Grunde kam einem vieles vertraut vor, nur dass all die riesigen Kettenläden fehlten. Plötzlich stellte sich uns ein bettelendes Kind in den Weg und da merkte man wieder, dass man doch an einem anderen Ort gelandet war.
Nach dem Abendessen, gingen wir völlig erschöpft auf unsere Zimmer, ich stellte mich ans offene Fenster und genoss den Augenblick. Neue Gerüche, Geräusche und Eindrücke waren so nah.

Der dritte Tag – Die Familie

Ausgeschlafen und frisch geduscht ging es zum Frühstück. Die Höhe merkte ich nur, als aus der aufgeblähten Zahnpastatube wegen des Drucks mir die ganze Zahnpasta entgegen schoss und mir die Kugel meines Deorollers plötzlich an den Kopf sprang, aber Anzeichen der Höhenkrankheit waren weiterhin Fehlanzeige. Auch die Lage meines Zimmerkollegen hatte sich sehr gebessert, dafür hatte es jetzt eines der Mädchen erwischt.
Nach dem Frühstück trennten sich unsere Wege und Verabschiedungen standen an. Wir würden uns jetzt min. 3 Monate nicht sehen, da wir erst nach dieser Zeit alleine reisen dürfen. 2 Mädchen mussten weiter nach Oruro zu ihren Gastfamilien, eine nach Santa Cruz und nach dem Mittagessen sollten auch wir vier aus La Paz unsere Gastfamilien bekommen. Ich war ziemlich aufgeregt und gespannt auf diese erste Begegnung. Ich kannte sie nur von Fotos und einer kleinen Email. Ein Jahr zusammenleben. Wird das gut gehen? Wie sind sie drauf? Im Lobbybereich des Hotels warteten meine Gastmutter, meine Gastschwester (23), mein Gastbruder (15) und ein Freund der Familie auf mich. Es war seltsam. Man begrüßte sich, viel mehr wurde auch nicht gesprochen. Ich wusste allerdings nicht was ich sagen sollte und auf Spanisch schon gar nicht. Die anderen Gastfamilien trafen ein, ebenso mein Gastvater, der in der Mittagspause her gefahren war. Man verabschiedete sich von den anderen La Pazianern bis Montag, wo unser Spanischkurs losgehen sollte. Dann durfte ich mir eines der drei Autos meiner Familie aussuchen um zu meinem neuen Zuhause zu gelangen.
Auf der Fahrt mit meiner Gastmutter bekam ich gleich wieder das andere Verkehrsverhalten zu Gesicht und wurde in die Stadt La Paz eingeweiht. Auf die Antwort nach der Dauer der Fahrt musste ich stutzen. 40min aus dem Zentrum bis zu meinem neuem Wohnort. Ich dachte ich wohne in La Paz. Die Anbindung sollte aber anscheinend kein Problem sein, da tausende Minibuse, Taxis, etc. häufig fuhren. Zu diesen Verkehrssystem wann anders mehr.
Während der Fahrt wurde ich direkt nach meinem Glauben gefragt, was uns bei den Vorbereitungen als heikles Thema genannt worden war. Ich antwortete, dass ich christlich sei. Evangelisch. Da nahm mir meine Gastmutter eine Frage aus dem Mund, wie oft denn die Kirche besucht werde. „Nicht oft, no somos fanaticos.“ Fürs Erste beruhigt beobachtete ich wie wir nach El Sur fuhren, den reicheren Stadtteil La Pazs. Die Häuser wurden größer, moderner und besser verarbeitet und auch die Straßen waren um einiges besser. Man kann sagen, dass die Stadtteile des Südens sich sehr von denen des Centros und erst recht von El Alto unterscheiden. Es sieht fast südeuropäisch aus.
Wir kamen am Haus an. Umrundet von Felsformationen liegt auf einer kleinen Anhöhe ein Wohngebiet mit großen neuen Häusern, in den auch dieses Stück hier steht.
Es ging auf eine kleine Schlossführung durch die drei großen Geschosse plus Freizeitkeller. Große Schlafzimmer, ausreichend Duschen, WCs und Fernseher. Ich hatte mich vor Monaten schon auf etwas völlig anderes eingestellt. Nun sollte ich also einen ähnlichen, vielleicht sogar größeren Komfort als zuhause erleben? Ich hatte mich doch auch für einen Freiwilligen Dienst beworben, um andere Lebensweisen mit möglicherweise weniger Geld aus erster Hand kennen zu lernen. Wieder eine Überraschung. Meine Angst, dass meine technischen Geräte oder mein Taschengeld Neid hätten hervorrufen können, war auf jeden Fall schnellstens verflogen.
Mit den Treppen und Tischtennis hatte ich beim Atmen natürlich noch meine Probleme, aber sie waren noch geringer als die mit Spanisch. Als ich dann gefragt wurde, ob ich mit zum Fußball spielen wollte [soviel verstand ich], konnte ich nicht nein sagen. Es lief erstaunlich gut, ich konnte sogar sprinten. Es kann sein, dass ich sogar mehr auf dem Platz unterwegs war als so manche Arbeitskollegen meines Gastvaters. Dennoch war es um einiges anstrengender als zuhause. Natürlich verhielt sich auch der Ball auf dieser Höhe anders als ich das gewohnt war. Ich musste an die argentinischen und brasilianischen Mannschaften denken, die vor ihren Auswärtsspielen in den Hochlagen der Anden jedes Mal wenig Lust verspüren.
Mit Kommentaren wie „Blonder hierher“ , „Achtung Rummenige“ wurde ich auf dem Platz gerufen. Das Beste an diesem müden Kick war allerdings die Aussicht. Man konnte ganz La Paz und die Gewitter auf der anderen Seite sehen und hören. Es war beeindruckend.
Zuhause verteilte ich dann die Gastgeschenke: Gummibärchen, Schokolade, süßen Senf, einen KA-Kalender, eine KA-Zuckerdose und Rotwein. Die Freude war groß und ich glaube sogar, dass sie echt war. Nach Umarmung und !einem! Backenküsschen ging es ins Bett.

Der vierte Tag – Erkundung

Das erste Aufwachen in meinem neuen, viel zu weichen Bett war gut. Nach einer Woche hatte ich endlich einmal wieder ausgeschlafen.



Wo ich war wusste ich, aber mir fällt es immer noch schwer zu glauben hier zu sein. Nach einem Frühstück aus Früchten und Cornflakes fuhren wir mit dem Auto in die Stadt, schlängelten uns durch den ganzen Verkehr und fanden komischerweise einen Parkplatz. Große Parkplätze oder Parkhäuser habe ich noch keine gesehen. Die werden anscheinend nicht gebraucht, da man auf den engen Straßen ja immer noch am mit eingeklappten Seitenspiegeln am Straßenrand parken kann. Es ging zu einer Bank, wo man wie an einer Fleischertheke Nummern ziehen musste, wir waren in 54 Kunden dran. In dieser Zeit hätte man gerne schon wo anders hingehen können aber Warten ist in Bolivien scheinbar kein Problem. Das habe ich jetzt schon festgestellt, Zeit wird generell anders wahrgenommen als bei uns. Noch etwas Weiteres viel mir beim Warten auf, die vielen kleinen Kinder die hier im Bankhaus oder generell in La Paz rumtoben. Sie sind auch die einzigen, die mich angucken als ob ich etwas Besonderes wäre, worüber ich sehr froh bin. Nicht, dass mich überhaupt jemand anguckt, nein im Gegenteil, es ist sehr unangenehm als „etwas“ Anderes angesehen/gestarrt zu werden.
Die nächste Aufgabe bestand darin heil über die Straße zu kommen. Fußgängerampeln gibt es gar keine und ein Zebrastreifen ist nur dazu da, die Schlaglöcherstraßen mit weißen Linien auf zu hübschen. Man muss also entweder Glück haben, das gerade Stau ist, was häufig vorkommt, oder schnell in sich gerade auftuende Lücken im Verkehr drängen. Aber nach spätestens fünf Überquerungen hat man das Prinzip verstanden. Die ersten Tage in England waren wegen des Linksverkehrs gefährlicher. Insgesamt wirkt der Verkehr in La Paz auf den ersten Blick sehr chaotisch, was er für europäische Augen auch ist. Eigentlich jedoch folgt er einer anderen Logik, jeder passt auf, so schnell wie möglich vörwärts zu kommen ohne dass seinem Auto etwas passiert. An Kreuzungen kann es durchaus sehr, sehr eng zugehen und es wird um jeden Millimeter gekämpft, allerdings habe ich noch keinen einzigen Unfall erlebt. Die Reglung, während dieses Jahres, kein Auto fahren zu dürfen, kann ich zumindest in La Paz sehr gut verstehen. Vorfahrtstraßen gibt es keine, der stärkere gewinnt. Auch Hupen und Blinksignale gehören zum Minutengeschäft. Alleine über den Verkehr könnte man Essays verfassen.
Nachdem wir nur kurz [1h30] bei meiner Gastoma vorbeigeschaut hatten, fuhren wir mit dem Auto in die völlig überladene Marktstraße um einzukaufen. Hier gibt es wirklich alles. Vom Kokablatt und allen möglichen Kartoffelsorten zu günstigsten Preisen. bis zu Glitzerhundeklamotten. Ich konnte mir alles genau anschauen, da wir im Verkehr feststeckten und man zu Fuß wahrscheinlich fünfmal schneller unterwegs gewesen wäre. Ein solches Treiben hatte ich bis jetzt noch nie erlebt. Kleine Läden, mit Planen überspannte Stände, spielende Kinder, Artikel aller Art, Menschen in allen Kleidungstypen, Müll, herumlaufende Straßenhunde, Autos dicht an dicht, bei denen sich durch die kleinsten Lücken Menschen zwängten. Wahrscheinlich wird es noch viele Geschichten über die Märkte hier zu lesen geben.
Nach dem wir alles Obst und Kartoffeln gekauft hatten und meine Gastmutter beim Friseur gewesen war, ging es zum Essen in eines der zahlreichen Hähnchenimbisse. Das ganze Lokal war in den Farben eines Fußballklubs aus La Paz gestrichen und mit allen möglichen Fanutensilien behangen. Ein Mann mit Gitarre spielte bolivianische Lieder. Fast etwas zu Klischeehaft, wenn es so etwas gibt, dachte ich mir. Um meinen Magen langsam an das hiesige Essen zu gewöhnen, hatte meine Familie beschlossen, dass es für mich die ersten Tage nur einfachst gewürzte Variationen von Hühnchen, Reis und Kartoffeln geben sollte. Zu Trinken gibt es tausend verschiedene Fruchtsäfte, die häufig allerdings extra stark gesüßt werden. „Das ist natürlich, das ist gesund“, wird mir dann immer gesagt. Ansonsten gibt es alle Cocacolalimonaden und 20l Wasserspender, da das Leitungswasser nicht zum trinken geeignet ist. Danach ging es nachhause und nachmittags wurde entspannt.Meine Gastgeschwister waren auf einer Feier eingeladen und auch meine Gasteltern gingen um vier zu einem Treffen wie sie mir sagten, um spätestens acht seien sie zurück. Ich war das erste Mal alleine und als ich an zuhause dachte, merkte ich wie weit weg doch alles war und dann auch noch für ein ganzes Jahr. Das nennt man wohl Heimweh und so saß ich schluchzend auf meinem Bett. Auch meine Nase lief, aber komischerweise rot. Da ich nie Nasenbluten habe wusste, bemerkte ich das erst als schon einiges auf meine Decke getropft. Duch die trockene Luft waren meine Schleimhäute total ausgetrocknet und das Heulen hat es dann wahrscheinlich ausgelöst. Rote Tropfen auf dem hellgrauen Teppichboden markieren jetzt den Weg zum Bad.


Als ich mich wieder beruhigt und vergebens auf meine Gasteltern gewartet hatte schlief ich ein. Die waren übrigens auf einer Hochzeit gewesen und kamen statt um acht um zwei nach Hause.

Der fünfte Tag – Familientag

Sonntag ist traditionell Familientag. Da meine Gastgeschwister beim Training zum Karneval waren, fuhr ich mit meiner Gastmutter und meiner Oma zum Spazieren durch einen der winzigen Parks nachdem wir meinen Gastvater an der Kirche abgesetzt hatten. Als wir wieder zuhause waren, ging es kurz zum Ausruhen auf die Zimmer, dieses kurze Ausruhen dauerte einige Stunden.
Bis jetzt bin ich sehr zufrieden mit meiner Gastfamilie, sie zeigen mir viel, nehmen viel Rücksicht auf mich, vielleicht sogar zu viel, sind sehr nett, witzig und sehr aufgeschlossen. Meine Gastmutter ist total lieb und redet gerne. Generell werden viele Geschichten jeder Person einmal erzählt, und da man nicht immer zusammen unterwegs ist, bekomme ich durch die vielen Wiederholungen, die Möglichkeit jedes Mal etwas mehr zu verstehen. Meine Gastschwester ist auch unglaublich nett und hilft mir mit Verständnisproblemen, zwischen Generationen. Bei sonstig häufig vorhandenem Wortmangel hilft mir mein kleines gelbes Reisewörterbuch.
Mein Gastbruder kommt mir für sein Alter sehr erwachsen vor, wobei ich vorher dachte, dass er vielleicht etwas verwöhnt sein könnte. Mein Gastvater ist sehr witzig, wobei ich ihn noch nicht so häufig gesehen habe, da er sehr viel arbeitet. Ihn kann ich bis jetzt am wenigsten einschätzen. Er will häufig etwas auf Englisch sagen, da er mein Spanisch für noch schlechter hält als ich das tue.
Zur Familie gehören auch noch die Oma, „abuelita“, und ihr Bruder, der „tio“, also Onkel genannt wird. Da die Oma selber etwas schwerhörig ist, reden in ihrer Gegenwart immer alle recht langsam und laut, was auch für mich angenehm ist. Trotz kleinerer Gebrechen habe ich sie bis jetzt sehr lebenslustig erlebt und sie erklärt mir gerne Sachen über Bolivien und die Familie, manches auch fünfmal, weswegen ich jetzt alle Geburtsdaten der Familie auswendig kann.
Tio, ist total hilfsbereit und witzig und ich habe ihn schon nach wenigen Begegnungen ins Herz geschlossen. Vielleicht sogar am meisten, nach meiner Gastmutter.

Der sechste Tag – Sprachschule

Der sechste Tag startete mit einem kleinen Missverständnis. Bei unseren Vorbereitungsseminaren und in anderen Ratgebern hatte ich gelernt, dass es unhöflich sei Türen abzuschließen und es ausreiche diese zu zumachen. Also ging ich ins Bad und duschte mich. Auf einmal ging die Tür auf und meine Gastschwester stand in der Tür. Weil ich nicht wusste was ich sagen sollte, sagte ich: hola. Sie stürmte aus dem Bad „eikarambarambaramba“. Als ich wieder angezogen entschuldigte ich mich bei ihr. Nach den Cornflakes mit Mango ging es das erste Mal zum Minibus fahren in die Stadt zum Spanischunterricht. Die ersten 3 Wochen hatten wir erst einmal vormittags Sprachunterricht bevor es dann am 25.2. zu unseren Projekten geht.
Eine AFS-Angestellte aus dem gleichen Viertel erklärte mir während unsrer gemeinsamen Fahrt wie das mit diesen Minibusen ablaufe. Und dafür war viel Zeit, da um neun Uhr morgens überall die Arbeit beginnt, die Straßen dementsprechend verstopft sind und wir nur langsamst vorwärts kamen. So dauerte die Fahrt mehr als eine Stunde und ich kam eine halbe Stunde zu spät, was aber anscheinend gar nicht schlimm ist. Bus fahren ist übrigens unglaublich günstig und ich frage mich, wie wirtschaftlich das für die Busfahrer ist. Eine Langstrecke Zentrum kostet 2,30 Bolivianos [23€cent] und eine Kurzstrecke 1,50. Man kann den Bus übrigens überall auf seiner Strecke anhalten und auch überall aussteigen. Zum Verkehrssytem gibt es bald einen ausführlichen Bericht ;)
Im Kurs sah ich dann die anderen La Pazanesen wieder und wir hatten uns, nachdem unser Sprachlevel festgestellt wurde, viel zu erzählen. Um zwölf fuhren wir wieder zum Mittagsessen nach Hause. Diesmal dauerte die Fahrt 30min. 

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