Sonntag, 31. März 2013

acht wochen gehen schnell rum


mittwoch 20. märz

Abermals kann der morgen gerne übersprungen werden. Mit der ganzen Zeit, wollte ich einmal meiner mittlerweile zu langen Mähne zu Leibe rücken. Ob wohl ich mittags Zeit hatte, musste ich erstmal warten, bis der mir empfohlene Haarschneider um halb vier seine Mittagspause beendet hatte. Im ganzen Stadtteil machte ein plötzlicher Stromausfall wieder einmal klar, wie abhängig man doch mittlerweile von der Elektrizität ist. Da ich das schöne Wetter nutzen wollte, das hier im Gegensatz zu Deutschland herrscht [ich erzähle jetzt lieber nicht, wie es ist, um keine Eifersucht hervorzurufen], dachte ich mir, ich könnte den Weg zum Friseur auch zu Fuß gehen. Dort angekommen hieß es dann erstmal abwarten bis ich endlich an der Reihe war. Das dauerte. Damen wollten noch ihre Finger gemacht bekommen, ihre  Kinder sollten auch hübsch aussehen und zwei Jungs wollten unbedingt die komplizierte Frisur ihres Vorbildes. All das wurde von einem einzigen Beautyspezialisten erledigt, während eine Angestellte für das Haare waschen und eine andere für das Kassieren angestellt zu sein schien. Dann war auch ich dran, um mal wieder etwas Wolle los zu werden. Nach 4 Stunden außer Haus und 3€ weniger, es war ein teurerer Friseur, war ich dann sogar wieder zuhause. Strom gab es immer noch keinen. Es wurde kurz mit Gästen geplauscht und Bemerkungen über meine Frisur gemacht, Militär war glaube ich die beliebteste Bezeichnung. Um zehn wollte ich dann auch mal zu Abend essen. Wie aus heiteren Himmel fiel meiner Mutter ein, die den ganzen Mittag nichts zu tun hatte, dass man doch noch 5kg Mais für den morgigen Nachtisch durch den Fleischwolf drehen müsste. Dabei wurde so langsam gedreht, dass wir eineinhalb Stunden mit der Arbeit beschäftigt waren. So standen wir also zu viert um den Fleischwolf und schauten dem Mais beim zerpresst werden zu. Unglaublich wie viel Flüssigkeit aus einem Maiskorn heraus kommen kann, wahrlich spannend. Eigentlich wollte ich mal wieder früher schlafen gehen, aber wie so oft... Währenddessen wurde mir in ihren Gesprächen, wieder das widersprüchliche Denken meiner Familie klar, Beispiele habe ich schon verdrängt. Um elf wurde dann sogar noch gegessen. Und der Tag an dem ich bestimmt am meisten gewartet hatte war vorbei.

donnerstag, 21. märz

Heute ging es ausnahmsweise morgens nicht ins Büro, sondern in die Hauptstelle von AFS Bolivien. Seit dem Spanischkurs war ich das erste Mal hier und mir wurde wieder einmal bewusst, wie schnell die Zeit vergeht und dass ich mittlerweile schon 4 Wochen in meinem Projekt mehr oder weniger arbeite. AFS wollte von uns wissen wie es uns so [er]geht und hatten dazu extra eine Psychologin eingeladen, die anhand von bestimmten Aufgaben heraus finden wollte, wie wir ticken und ob wir irgendwelche Probleme mit uns herum tragen. Wir saßen also wieder auf den weißen Plastikstühlen des Versammlungsraums und sollten zu allererst die guten und schlechten Seiten Boliviens und unseres Projekts aufschreiben. Die nächsten Aufgaben forderte da schon etwas mehr heraus. Zeichne eine Person, und zeichne dein Weltbild. Irgendetwas wollte sie aus diesen Zeichnungen heraus lesen. Sollten sich irgendwelche Fragen ergeben, würde sie sich bei uns melden. Obwohl meine Zeichnungen relativ gruselig und seltsam aussahen, hatte ich anscheinend bis jetzt Glück und wurde von einem Anruf verschont. Bin wohl doch noch normal. Nach 2 Stunden hatte der Spaß sein Ende und wir Freiwilligen gingen noch gemeinsam etwas essen um über uns über unsere ersten Wochen auszutauschen. In einem gemütlichen Restaurant aßen wir für ca. 2€ ein leckeres dreigängiges Menü und schmiedeten Pläne für die Zeit ab Mai, ab wann wir endlich alleine Reisen dürfen.
Nach dem Mittagessen traf ich mit der AFS-weltwärts-Koordinatorin um mich über Projektwechselmöglichkeiten oder konkrete Vorgehensweisen zu mehr Arbeit zu erkunden. Das Gespräch verlief sehr konstruktiv. Ich solle mich noch einmal genau über die Zukunftsmöglichkeiten des Projekts erkunden, etwas Ursachenforschung betreiben und gerne offensiv Vorschläge zur Verbesserung der Lage machen. Vor allem solle ich initiieren genaue Pläne des Projekts zu erstellen, damit man absehen könne, welche Aktivitäten wann und wie häufig stattfinden, da ich der Meinung bin, dass es vor allem an Organisation und Struktur in diesem Laden fehlt. Bis jetzt war ich mir unsicher, ob ich solche Schritte selber angehen dürfte, ohne jemanden der Angestellten zu kränken. In diplomatischen Ton und mit Geduld sollte ich versuchen, das Abgesprochene anzubringen. Außerdem handelten wir eine dreiwöchige Frist aus, bei der wir über weitere Schritte nachedenken wollten, wie z.B. der Wechsel des Projekts, sollte keine Verbesserung eintreten.
Zufrieden, mit neuer Hoffnung und topmotiviert ging ich anschließend ins Büro und grübelte über konkrete Pläne nach. Leider war der „Chef“ nicht anwesend, weswegen ich mir meine Fragen bis morgen aufheben musste. Zur Abrundung des Tages ging es dann noch zum Fußballspielen. Wieder im Park der Stadt, diesmal allerdings nicht auf dem geliebten Beton, sondern auf Kunstrasen, was sich auch gleich am Geldbeutel bemerkbar machte. So kostet eine Stunde Beton 1 Boliviano pro Person, also ca. 10cent, während eine Stunde Kunstrasen mit 10 Bolivianos, also 1€ zu Buche steht. 200 Bolivianos pro Stunde, für ein nicht mehr ganz taufrisches Fußballfeld ohne Umkleide und Dusche, finde ich im Vergleich zu sonstigen Preisen hier recht hoch. Ein weiterer Punkt an dem einen die Ungleichheit Boliviens auffällt. Weiterhin leben 27% der Bevölkerung in extremer Armut. Vom gleichen Geld, mit dem ich Fußballspielen ging, müssen andere ihre Familie am Tag durchbringen. Für Statistikfans der aktuelle Armutsbericht Boliviens.
Natürlich besitzt man diese Zahlen im Hinterkopf und es ist mir fast unangenehm für „soviel“ Geld Fußballspielen zu gehen. Dennoch hat es heute Spaß gemacht. Ein produktiver und zufrieden stellender Tag ging so zu Ende und ich hoffe, dass die nächsten Tage so weiter geht. Planen kann man das leider nie und hier schon gar nicht.

freitag, 22. märz

Im Büro bekam ich auf Anfrage, eine Menge Infomaterial über das Projekt. Präsentationen, Zahlen der letzten Jahre und Erfolgsberichte, die ich gleich begann durchzulesen. Aufgrund der Fülle der Materialien nahm ich mir fürs Wochenende vor, alles durchzulesen oder auszudrucken und in der nächsten Woche während der Arbeitszeit zu bearbeiten. Da außer Lesen nichts anstand, was ich auch zuhause erledigen konnte, war ich mal wieder mittags zuhause. Die WM-Quali stand an und als großer Fan kam ich sogar in den Genuss, Deutschland - Kasachstan live im Fernsehen zu verfolgen. Direkt im Anschluss war es ein Pflichttermin, mit meinem Gastbruder und seinen Freunden Boliviens 0:5 Abschlachtung gegen Kolumbien im Fernsehen zu schauen. So schlecht hatte ich sie ehrlich gesagt auch nicht erwartet. Die Chance, dass es bei der nächstjährigen WM ein Spiel mit bolivianischer Beteiligung geben wird, ist ungefähr so groß, wie das Coca in Deutschland legal wird.
Die Sonne, die trockene Luft, das Nachdenken und die beiden Fußballspiele hatten mich müde gemacht, weswegen ich schon um !sieben! im Bettchen träumte.

samstag, 23. märz

Ausgeschlafen und voller Tatendrang ging es ins Wochenende. Eigentlich wollte ich um 10 im Schwimmbad sein, wo ich mich mit einer anderen Freiwilligen verabredet hatte. Am Schwimmbad angekommen, musste ich mir um Schwimmen zu dürfen erst einmal eine Badekappe kaufen, die auf meinem Kopf doch etwas ulkig aussah. Das Schwimmbad, das aus einem Becken besteht war gut gechlort und gut gefüllt. Kinder planschten und gröhlten im 30cm Nichtsschwimmerbereich, auf einer Bahn übte ein Schwimmclub und auch die übrigen Gäste schwommen kreuz und quer durchs Becken, weswegen flüssiges Bahnenschwimmen schwierig fiel. Aber auch die Luft, die Höhe und das monatelange Nichtschwimmen machten mir ganz schon zu schaffen. Japsend saß oder hing ich häufiger am Beckenrand. Bei einer schnellen Kraulrunde, schlug ich einer Frau, die quer durchs Becken geschwommen war und ich nicht registriert hatte, so stark auf den Kopf, dass ich Angst hatte, sie müsste gleich untergehen. Aber alles halb so wild. Es hatte ihr anscheinend nicht einmal wehgetan, was ich bezweifelte, weswegen ich mich bei jedem Vorbeischwimmen bei ihr entschuldigte.
Als wir unseren Soll erfüllt hatten, gingen wir noch gemeinsam frühstücken und waren beide erstaunt, dass man zwei Fruchtshakes und vier große Gebäckstücke für 2,50€ in einem Café bekommen konnte. Nachdem wir uns ausgetauscht hatten ging ich wieder nachhause, wo wieder Küche putzen auf dem Programm stand. Dann fuhr ich zum Haus des anderen Austauschschülers, was, obwohl es in der gleichen Stadt liegt, 2 Stunden dauern kann. Dort angekommen half ich seiner Mutter bei der Küchenarbeit und unterhielt mich mit ihr. In unserem Gespräch fiel mir wieder ihre völlig andere Wahrnehmung im Vergleich zu meiner Gastmutter auf. Während wir uns hier über Armut, deren Ursachen und mögliche Bekämpfung unterhielten, wäre das zuhause nahezu unmöglich gewesen und wäre schnell auf ein Gespräch über die Familie umgeschlagen. Wir aßen zu Abend, dann trafen sich der andere Freiwillige und ich, mit anderen weltwärtslern, die schon seit einem halben Jahr in La Paz im Einsatz waren. Wir tauschten uns über Erlebnisse und Reisen aus und gingen anschließend noch tanzen. Kaum auf der Tanzfläche wurde uns Gringos direkt ein Kilo Gras angeboten, was wir, obwohl des günstigen Preises von 40€, ablehnten. Ein sehr netter Abend und ein netter Tag gingen zu Ende. Nach einer seltsamen Taxifahrt war ich wieder zuhause und ging zufrieden ins Bett.

sonntag, 24. märz

Heute hieß es früh aufstehen um rechtzeitig zu einem Schulevent meines Bruders zu kommen. Spätestens 0730 Abfahrt. Sonst kommen wir zu spät. Logischerweise war ich als einziger zu diesem Zeitpunkt abfahrtsbereit. Alles zögerte sich heraus, und gerade als ich mir ein Müsli gemacht hatte, wurde plötzlich wild gehupt und „Niklas wo bleibst du denn wieder“ gerufen. Herrlich. Um 0825 fuhren wir dann tatsächlich los. Da in 5min das Event losging, musste der vorherige Zeitverlust natürlich mit Rasen ausgeglichen werden. Selbst mit Geländewagen ist das kein Spaß bei hießigen Straßenverhältnissen. Angekommen konnte jeder an den Spuren auf meinen T-Shirt ablesen, dass ich während der Fahrt Müsli gegessen hatte.
Bei dem Event handelte es sich um eine Sportveranstaltung der Schule, die mit lauten Getöse einer olympischen Einlauf nachempfunden war. Auch ich hatte, vor lauter Scham über alle Eltern die ihre süßesten mit ihren iPads filmten, fast einen Einlauf. Es ging größtenteils um sehen und gesehen werden und alle hatten sich dementsprechend in Schale geworfen. Ich musste wieder an das gestrige Gespräch über Bildung und Chancengleichheit mit der Gastmutter des anderen Freiwilligen denken und konnte mich bei diesem Anblick nicht wohlfühlen. Eine Schule, die pro Kind monatlich 200€ kostet, mehr als manchen Familien monatlich zu Verfügung steht, kann ich nicht verstehen. Selbst der gerne genannte Vorzug, mit Kindern der Minister oder bekannter Großunternehmer in einer Klasse zu sein, lässt mich diese Summe nicht akzeptieren. Dieses Anbiedern und zeigen was ich habe, habe ich nicht als Ziel meines Auslandeinsatzes gesehen. Aber dies ist nur meine Meinung und jeder kann gerne eine andere vertreten. Das Einlaufen der ganzen Klassen dauerte ewig und das Maschieren und Schreien der Zeremonie erinnerte mich eher an eine Millitärparade. Der anschließende Tanz ließ mich an American Highschoolkitsch denken. Um die Schüler erst Recht zu motivieren hielt, der Kapitän der legendären Fußballauswahl, die sich als einzige Boliviens 94 für die Weltmeisterschaft qualifiziert hatte, eine Rede. Als sich der Applaus gelegt hatte konnte er mit seiner sehr patriotischen und „Kinder-ihr-dürft-nicht-aufgeben“-Rede beginnen. Dann konnte Olympia losgehen. Die Olympiade bestand aus drei Sportarten: Fußball, Futsal und Basketball – den klassischen Sportarten schlechthin - die schon bei den Alten Griechen die Massen begeisterten.
Weil bekanntlich nur eine begrenzte Anzahl an Spielern auf dem Feld sein darf, musste mein Bruder leider zuschauen. Anscheinend war er beleidigt. Denn anstatt dem Spektakel weiter beizuwohnen, gingen wir kurz nach der Eröffnungsfeier zurück Richtung Auto. Vielleicht hatten auch einfach alle Hunger. Mein T-Shirt hatte diesen Morgen ja mehr zu sich genommen als der Rest der Familie. Anstatt etwas Essbares zu finden, fuhren wir wieder Richtung Heimat. Wir machten Halt an einer Kirche, vor deren Türen tummelten sic Gläubige, bettelende Leute und Damen, die komisch geflochtenes Grünzeug anboten. Die Kirche war so voll, dass man gar nicht hinein sehen konnte, weil bis nach draußen angestanden wurde. Ärmlichst aussehende Damen hielten mir ihre offenen Hände hin, ich hatte allerdings nichts zum Geben dabei. Außerdem handelt es sich bei diesen Señoras um alte Frauen aus einer bolivianischen Provinz, die von ihren Familien mit alten Klamotten und kleinen Kindern, manchmal sogar Babys, ausgestattet werden, um in den großen Städten, an den belaufendsten Straßen zu betteln.
Um mich herum hielten alle diese seltsamen Pflanzengebilde in der Hand, da erkannte ich, dass es sich um geflochtene Palmblätter handelte. Natürlich es war Palmsonntag. „La semana santa“ – die heilige Wochen wurde eingeleitet. Man konnte kaum etwas verstehen und auf einmal verließen die Leute die Kirche. Der Gottesdienst war zu Ende, ich hatte mir meinen ersten bolivianischen Gottesdienst ein wenig anders vorgestellt.
Es ging weiter. Mit dem Auto begann eine Odysee durch die Stadt, wir waren auf der Suche nach einem Restaurant. Da sich nicht entschieden werden konnte, wo es hingehen sollte, und teilweise laut diskutiert wurde, waren wir ca. eineinhalb Stunden mit dem Auto unterwegs, nur um letztendlich doch am Standardlokal anzukommen. Jetzt hatte auch ich wieder Hunger und die Erdnusssuppe wird definitiv in mein bolivianisches Kochbuch mit aufgenommen, ebenso wie das Rezept für Ochsenzunge. Eine bolivianische Mahlzeit besteht traditionell aus einem kleinen Salat, gefolgt von einer Suppe, einem Hauptgang und einem kleinen Nachtisch.
Nachdem wir gegessen, ging es wieder nachhause. Um die schöne Sonne zu genießen und eine bessere Aussicht zu haben, fuhr ich die 30-minütige Strecke stehend auf der Ladefläche durch La Paz. Es ist ein wahres Freiheitsgefühl, auch wenn man von allen Seiten seltsam beäugt wird.
Nachmittags ging’s zum kicken. Natürlich hatte der Organisator keinen Platz reserviert, weswegen wir wieder mit Beton und Maschendrahttoren Vorlieb nehmen mussten. Wäre auch spaßig gewesen, hätten wir einen Ball gehabt, aber den hatte natürlich auch niemand dabei. Eine halbe Stunde später hatte jemand einen besorgt. Etwas austoben machte Spaß.
Wie immer fuhren wir danach zu zehnt in einem Fünfsitzer zum Supermarkt, kühle Getränke trinken. Zudem saß ein paarungswilliger Hund mit im Auto, der Bild im Auto umher hüpfte und versuchte möglichst jedes Bein, oder was sich sonst so bewegte zu begatten. Irgendwann roch es im Auto nach faulen Eiern und wir 10 Jungs kamen typischerweise nicht mehr aus einem Lachkrampf heraus. Mit diesem befreienden Erlebnis war für mich die Woche beendet.

montag, 25. märz

Wie jeden Montag ging es zum einsammeln in die Urbanisation „Las Retamas“. Heute musste ich alleine ran. Das hieß, Karren schieben, hupen und gleichzeitig mit dem Megafon Ansagen machen. Die Woche war wieder fleißig gesammelt worden, weswegen ich ganz schön zu schieben hatte. Es ist auffallend, dass nicht alle Nachbarn teilnehmen, sehr wohl aber aus dem Fenster gucken. Aber sobald man selber hoch schaut, sich die Gardinen schließen. Wir besitzen mittlerweile so etwas wie Stammkunden, die sich auf die Sticker für ihre erbrachten Materialien freuen und voller Tatendrang auf uns zu stürmen.
Nach getaner Arbeit und einem Saft, aus Wasser und Weizenkörnern im Haus der Organisatorin ging es ins Büro. Ich hatte mir über das Wochenende weitere Gedanken über das Projekt gemacht und wollte diese heute besprechen. Der Chef war allerdings nicht da oder höchstens für einige Minuten anwesend. Ich wartete. Zusammen mit den Kollegen schauten ich Internetvideos an, keine sehr soziale Tätigkeit. Den ganzen Nachmittag tat sich nichts und so begab ich mich gegen sieben auf die schwierige Suche nach einem Minibus nachhause.
Zu den Stoßzeiten, das heißt Beginn, Mittagspausenanfang und –ende und Ende, die in jedem Büro zur fast der gleichen Zeit liegen ist es immer schwierig einen freien Platz zu finden. Man muss auch mal eine halbe Stunde warten oder die Straße so lange hinauf gehen, bis die Busse noch leerer sind. Speziell rund um das Zentrum, wo ich arbeite ist es besonders schwierig.

dienstag, 26. märz

Seit ich angekommen bin warte ich auf diesen Tag. Das Fußball-Qualifiaktionspiel Bolivien gegen Argentinien in La Paz. Schon früh habe ich gefragt, wo und wann man denn Karten kaufen könne. Immer wurde mir gesagt, dies sei nur am Tag des Spiels möglich, wie eben üblich. Nun hatte der Verkauf doch schon freitags begonnen und alle Karten waren weg. Mein Gastvater warf mir vor, ich sei schlafmützig gewesen, weil ich mich nicht früher drum gekümmert hätte. Dabei hatte ich mindestens 3mal die Woche nachgefragt, wie ich am besten Karten kaufen könnte. Am Tag des Spiels erzählte er mir, dass man für Nationalmannschaftsspiele ständig Karten kaufen könnte. Na toll. Ich kam mir etwas verarscht vor, Entschuldigung für die Ausdrucksweise, aber ich hatte ein Problem, nämlich keine Karte. Er würde mir welche besorgen. Treffpunkte wurden ausgemacht. Sehr kompliziert. Viele Leute kaufen mehrere Karten um diese dann am Spieltag zu höheren Preisen vor dem Stadion zu verhökern, einem dieser Verkäufer würde er welche abkaufen.
Ich ging ins Büro, wo ich endlich über Änderungen sprechen wollte. Vorsichtig fragte ich nach und wurde mit neuem fertigen Infomaterial abgespeist, welches ich mir durchlesen solle. Es kommt mir mittlerweile etwas komisch vor. Keine persönlichen Infos des Chefs, höchstens weitere vorformulierte Broschüren, wobei auch er nichts Ernsthaftes zu hat. Bei der Studie dieser Unterlagen fiel mir auf, wie viel weniger im Projekt seit 2 Jahren geschieht, was ich aber schon mündlich erfahren hatte. Die Zahlen suggerieren aber auch, dass wir mit mehren  Partnern als vor zwei Jahren zusammenarbeiten, komisch, dass ich diese nie zu Gesicht bekomme und meine Mitarbeiter wohl auch nicht, da sich selten Leute ins Büro verirren.
Viele Partner hätten uns verlassen, wurde mir mündlich mitgeteilt und auch ich war schon auf einigen Auflösungen dabei. Aus der Statistik werden sie wahrscheinlich nicht gestrichen, damit es weiter nach guten Zahlen aussieht.
Zwei Präsentationen, die für Halbjahrestreffen mit Sponsoren gefertigt wurden sind ebenso fast denkungsgleich. Eine von Ende 2009 und die andere von 2012. Selber Bilder, selbe Reihenfolge, andere Jahreszahlen. Ob die überarbeiten Statistiken stimmen? Irgendwie kommt mir das ganze komisch vor. Ich weis nur eins, dass ich fast nichts zu tun habe und man diese Entwicklung schon seit 2 Jahren in rapide zurückgehenden Einsammlungszahlen erkennen kann. Jetzt muss ich nur noch die Gründe hierfür rausfinden und dann mit den Anderen versuchen eine neue Strategie auszuarbeiten, was bestimmt Spaß machen wird und dem sinnvollen Projekt neue Flügel verleihen könnte. Ich bin motiviert.
Dennoch fragte ich direkt, wie es denn mit Plänen aussehe und wann es wieder mehr Arbeit geben würde. In einigen Monaten, nach der Regenzeit, war die sehr präzise Antwort meines Chefs. Mal sehen.
Zur Mittagspause traf ich mit zwei anderen Freiwilligen, die auch das Spiel sehen wollten und extra dafür nach La Paz angereist waren. Wir tauschten uns über unsere Erfahrungen und Erlebnisse aus.
Dann ging es los zum Stadion. Ein riesiger Bereich um das Stadion war abgesperrt. Es kam mir vor, als ob sich alle Händler der Stadt um das Stadion versammelt hätten um von Gemüse bis Fanhüten alles zu verkaufen. Man sah ungewöhnlich viele Gringos auf einmal. Keiner wollte sich also dieses Spiel entgehen lassen. Ich fragte die Verkäufer nach den Preisen für die Tickets. Ein Kurventicket hätte am Schalter 70 Bolivianos gekostet, sehr viel für Bolivien. Zu dieser Stunde wurden sie zu 75-80 angeboten, mehr als in Ordnung. Ich ärgerte mich gerade, dass ich nicht selber die Tickets gekauft hatte, sondern meinen Vater beauftragt hatte, für den Geld bei solchen Beträgen keine große Rolle spielt. Ich wartete meine Gastschwester und meinen –bruder, sie hatten die Tickets. 40min Stillstand, dann kamen sie an. Wir gingen ins Stadion. Eine halbe Stunde vor Spielbeginn war noch nicht viel los, typisch bolivianisch. Aber immerhin gab es heute nummerierte Sitzplätze. Da war er. Einige Tage nach Ronaldinho konnte ich Messi sehen. Und mit ihm die anderen argentinischen Stars. Die Argentinier hatten Respekt vor dieser Partie, vor allem vor der unangenehmen Höhe. 2009 hatte man gegen Bolivien mit 6:0 verloren, eine Schmach, die möglichst vermieden werden sollte.
Während des Spiels merkte man den Weltstars die Probleme mit der Höhe deutlich an. Messi schlich über den Rasen, konnte sich zwar einige Male gekonnt gegen 4 Gegenspieler durchsetzten, verlor dann aber die Puste. Auf den Rängen war es für 45 000 furchtbar ruhig. Irgendwie erscheinen mir die Bolivianer oder zumindest die Paceños [die Lapazanesen] als weniger feurig als man sich im Allgemeinen Südamerikaner vorstellt. Selbst kurz vor Schluss kam kaum Stimmung auf, als man die Chane hätte 2:1 zu gewinnen und in der Qualigruppe Boden gut zu machen. Das Spiel endete 1:1, es war schön anzusehen. Allerdings hatte ich mir vor allem von der Stimmung mehr erhofft. Messi bekam nach dem Spiel und Kotzanfall Besuch des bol. Präsidenten Evo Morales, der ihm einen roten Poncho als Gastgeschenk übergab. So viel zum Starstatus von Fußballern.
Gegen späten Nachmittag war die Partie beendet. Wir kämpften uns durch den Dschungel an Verkaufständen vorbei, Richtung Hauptstraße. Ein weites Stück, noch dazu im gemächlichen Bummeltempo, in dem fast alle Paceños täglich die Straßen lang schlendern. Mein Gastbruder wollte außerdem an vielen Orten anhalten und etwas kaufen. Milchshake mit Früchten und 6 Esslöffeln Zucker pro Glas, Pfirsiche und… Nach mehr als einer Stunde hatten wir die Straße der Busse erreicht. Weil jetzt Feierabend war und alle Stadiongänger auch einen Bus suchten, dauerte die Warterei weiter an.
Endlich zuhause ging die Suche nach Abendessen wieder los. Welcher Imbiss sollte es sein. Selbst das Rumgeblödel unter Geschwistern konnte die lange Stillephase nicht überbrücken. Warten. Um kurz vor halb elf waren wir zuhause und aßen das Mitgebrachte.
Ein wartungsreicher, dennoch schöner Tag, voller Eindrücke ging zu Ende, ebenso die Woche. Mein Gastvater hatte die Karten übrigens für 110 gekauft, mehr als 50% Aufschlag, ich hatte es mir fast gedacht. Aber das war jetzt auch egal.

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