mittwoch, 17. april
Heute ging ich mit meinen Einsammelkollegen einsammeln.
Zumindest sagten wir das unserem Chef. Denn eigentlich gab es wie so oft nichts
zu tun. Wir machten einen kleinen Ausflug nach El Alto, wo sie mir unbedingt
eine bestimmte Suppe zeigen wollten. So fuhren wir also im Frühtau zu Bergen,
auf die Stadt auf der Hochebene. Geduld war angebracht, denn unser
Lastwagenfahrer der in El Alto wohnt, nimmt es mit der Zeit nicht so Ernst oder
besitzt eine anders laufende Uhr. Wir warteten in der Kälte. Momentan bricht
der Winter an, was tagsüber zwar Eitelsonnenschein bedeutet und es in der Sonne
nun einmal richtig heiß wird. Nachts gehen die Temperaturen allerdings nahe an
den Gefrierpunkt. Aufgrund der geographischen Lage ist es in El Alto generell
einige Grade kühler, weshalb dort im Morgengrauen noch weißer Frost zu erkennen
ist. Irgendwann kam unser Abhol- und Fahrdienst jedoch doch noch und es konnte
zum gemütlichen Suppenessen gehen.
Leider war die Suppe schneller fertig als gedacht und als
wir wieder unten, also in La Paz, waren, hieß es noch ein wenig im Büro
verharren.
Ich ging nach der Arbeit wieder in die Marktstraßen, die
mich so faszinieren, da es zuhause nichts zu tun gab. Ich lief herum um raus zu
finden wo man was finden bzw. kaufen kann. Denn wie zu alten Zeiten gibt es
z.B. eine Gemüse-, eine Schuster- und eine oder mehrere Krempelgassen. Kurzum
es gibt in diesen Straßen alles, man muss nur wissen wo, was bei der Enge und
Fülle gar nicht einfach ist. Seit heute weiß ich, wo man die Heimwerker- und
Schrauberläden findet. Die Beratung ist sogar sehr kompetent und man bekommt
wertvolle Tipps gesagt, wenn man denn fragt. Ich fragte nicht, weil man in mein
Zimmer kein Klo einbauen braucht, aber ich lauschte den Verkaufsgesprächen.
Nachdem ich genug gesehen hatte, ging ich nachhause um kurz
zu Essen und in der Sonne zu dösen, was man wegen deren Stärke allerdings nicht
länger als 15min tun sollte, um nicht an einen Engländer auf Mallorca zu
erinnern.
Gegen Abend ging es zur zweiten Kungfustunde. Es wurden
Spagate und andere Gemeinheiten geübt, die ich wegen Schmerz überhaupt nicht
erläutern möchte. Überredet, eine Kostprobe: Liegestütze auf den Beinen, des im
schneidersitzsitzenden Partners.
Genug, auch für mich. Es ist noch ein weiter Weg so fit wie
die anderen Teilnehmer zu sein.
Gemeinsam gingen wir nach getaner Arbeit noch etwas trinken.
Die anderen Kungfunesen sind alle sehr nett, was man während den abverlangenden
Übungsstunden nicht merkt.
Um elf war ich wieder zuhause.
donnerstag, 18.april
Morgens war wie immer wenig los, dafür trafen wir uns
nachmittags zum Einsammeln von Recyclingmaterial vor einem Hotel. Wir warteten
auf unseren Lastwagenfahrer, der aus El Alto zu uns stoßen sollte. Als er um
die Ecke kam wurde er von der Polizei angehalten. Reine Routinekontrolle.
Allerdings gibt es eine bolivianische Besonderheit. Obwohl unser Fahrer mit
Lastwagenfahren sein Geld verdient, besitzt er dafür keinen Führerschein. Immer
in der Angst angehalten zu werden, traut er sich an manchen Tagen mit erhöhten
Polizeiaufgebot nicht runter nach La Paz. Heute wurde er erwischt. Die Polizei
hält ihn an. Er darf nicht weiter fahren und muss außerdem 100 Bolivianos
Strafe, für Fahren ohne Führerschein zahlen. Der Polizist steigt also in die
Fahrerkabine, es wird kurz diskutiert, er steigt wieder aus und winkt uns
weiter. Mit 10 Bolivianos für den Polizisten, verwirft dieser den Strafzettel
und es kann weiter gehen als wäre nichts gewesen. Dieses Erlebnis wird auf
jeden Fall einen Eintrag in meinem Tagebuch erhalten: Mein Erstes Mal Korruption.
Anschließend wurde gemütlich weiter eingesammelt, und der
Rest der Kanister des Krankenhauses endgültig abtransportiert. Abends war ich
mit dem anderen Freiwilligen zum Geburtstag seiner Stiefschwester, oder
vielmehr Gaststiefschwester eingeladen [sehr kompliziert, dies zu erklären]. In
deren Wohnung aßen wir zusammen mit Eltern, Cousinen und Freunden zu Abend und
wurden mehr als herzlich aufgenommen und durchgefüttert. Nimm noch von dem, das
ist auch sehr gut, probier noch von diesem. Später ging es mit den Freunden
noch in eine Bar. Es war sehr witzig und wir lernten endlich einmal Leute in
unserem Alter kennen. Bisher waren sie meist Jahre älter gewesen. Diese 19-20
Jahre verursachten aber auch Probleme, da man in Bolivien erst ab 21
eingelassen wird - für Gringos gibt es natürlich keine Altersbeschränkung. So
scheiterten wir auf der langen Suche nach einem Ausgehziel und gegen 1 war ich
wieder zuhause.
freitag, 19. april
Allgemeines Ausruhen, sowohl in Arbeit als auch nachmittags.
samstag, 20. april
Der Tag startete wieder sportlich. Um zehn traf ich mit der
andern Freiwilligen im Schwimmbad zum Parkourschwimmen. Kreuz und quer wurde
gehüpft, gespritzt und geschwommen und im Gegensatz zum letzten Mal schaffte
ich es niemanden zu verletzen.
Nach fast 2 Stunden ging es mit Sportzeug in die Stadt. Hier
traf ich mich mit einem Bekannten, der zufällig in La Paz war und mir Grüße und
Paketchen aus Deutschland mitbrachte. Vielen Dank noch mal an den Botendienst,
es hat mich sehr gefreut. Am Schönsten ist es zu wissen, dass Deutschland
überhaupt nicht weit weg ist, wenn man es braucht. Ohne genügend Zeit über
alles zu reden, ging es für mich weiter. Fußballspielen mit meinen Kollegen in
El Alto. Erst hieß es natürlich wieder warten, bis mein Kollege aus dem Büro
und ich zum Spielen von unsrem Recyclinglastwagenhelfer abgeholt wurden. Aus
der angesagten Anstoßzeit um 3 wurde halb 5. Zu einem kleinen Kunstrasenplatz
mitten in verstaubten Häuserschluchten hatte unser Kollege aus El Alto seine
ganze Familie mitgebracht. Vater, Mutter, Geschwister, Tanten, Onkel und die
dazu gehörigen Kinder. Auf dem Platz waren jedoch nur die über 14jährigen zu
finden, während von draußen kräftig angefeuert wurde. Zwei Stunden Fußball, im
noch höher gelegenen El Alto, mit den zwei Stunden Schwimmbad in den Knochen,
laugten mich gegen Ende ziemlich aus. Dennoch machte es einen Riesenspaß und
ich fühlte mich gut wie lange nicht mehr. Zu sehen wie sehr sich alle in der
Großfamilie, egal welcher Generation, unterstützen, war inspirierend. Nach
unserem Gruppenfoto, auf welches sich leider nicht alle trauten, wurde ich zum
großen Familienfest Mitte Mai eingeladen. Kostümtanz, Fiesta und viel Bier
erwarten mich. Mehr dazu Ende Mai.
Gegen acht Uhr war ich wieder unten angekommen. Es ist jedes
Mal ein Erlebnis die Strecke mit Blick auf La Paz zu fahren, besonders bei
Nacht. Am Interessantesten ist jedoch der Unterschied, der zwischen den beiden
Stadtschwestern herrscht.
Ich traf mich mit anderen Freiwilligen auf ein Bier und
anschließendes Weggehen. Es war recht entspannt und gesellig. Zum Schlafen ging
es zum Haus des anderen Freiwilligen mit dessen Eltern wir am nächsten Tag
einen weiteren Ausflug unternehmen würden. Mittlerweile bin ich wahrscheinlich
öfters in deren Haus als in meinem. Vor dem Schlafengehen genossen wir noch
einmal den Ausblick auf das nächtliche La Paz, samt vom Mond angestrahlten
Illimani.
sonntag, 21. april
Heute stand der Ausflug zum Lago Titicaca an, den größten
höchstgelegenen See der Welt. Bis es losging vergingen allerdings Stunden der
Warterei. Im Auto setzte mir dann die Müdigkeit der letzten Nächte zu und so
verschlief ich den zweistündigen Weg Richtung See.
Wir waren am Gewässer angekommen. Einfache Häuser mit Vieh
und Getreide im Garten umsäumten den See. Die Sonne war raus gekommen und wir
gingen zum Mittagessen in eines der vielen Restaurants. Es gab Forellen aller
Art mit Kartoffeln, Reis und Gemüse als Beilagen. Zusammen mit dem Ausblick aus
dem auf Pfählen stehenden Glashaus ein gelungenes Mittagessen. Wir flachsten
etwas und gingen anschließend zum Steine schnippen und Baden ans Wasser. Die
Wassertemperatur war recht frisch reichte aber um ein bisschen im „grauen
Panther“, die ungefähre Übersetzung aus Aymara, zu schwimmen. Von oben
betrachtet kann der Umriss des Sees tatsächlich an einen Katzenkopf erinnern.
Allerdings gibt es zahlreiche weitere Namenslegenden und in Quetschua, der
anderen verbreiteten indigenen Sprache bedeutet Titikaka schon wieder etwas
völlig anderes. Bleiener Fels. Gespannt wurden wir Gringoschwimmer von anderen
Besuchern betrachtet. Wie kann man nur so blöd sein und in dieser Drecksbrühe
schwimmen, dachten sie sich vielleicht.
Dann ging es nachhause. Auf der Rückfahrt wollte ich mir die
spannende Landschaft nicht entgehen lassen. Rote Quinuafelder, kleine
Siedlungen mit allem möglichen Getier und weitere Reisende auf der engen
Straße. Aufgrund des Verkehrs dauerte es eine ganze Weile bis wir wieder
zuhause angekommen waren. Teilweise ging es mit 35km/h über die
Autobahn/Landstraße. Irgendetwas juckte mich während der Fahrt am ganzen Körper
und am nächsten Morgen sollte sich herausstellen, was das war.
Wieder im Haus des anderen Freiwilligen angekommen trafen
wir uns mit dessen Onkeln und Tanten, die im selben Haus wohnen, redeten und
aßen Eis.
Nachdem ich das gesamte Wochenende ungeplant nicht zuhause
war, machte ich mich gegen acht Uhr auf um noch ein paar Gespräche mit meiner
Gastfamilie zu führen. Wie es aber sonntags so ist, gab es kaum
Transportmöglichkeiten und in Richtung meines Viertels erst Recht keine. So
wartete ich ca. 20 an einer Ecke und hatte Glück, dass eine Familie aus der
Nachbarschaft, die zufällig vorbei fuhr, mich mitnahm. Ich kannte sie nicht und
hatte sich vorher nie gesehen. Man sollte ja nicht mit Fremden in ein Auto
steigen, sie wirkten aber so harmlos und hilfsbereit, dass ich keine Bedenken
hatte. Sie hatten mich anscheinend schon öfter im Viertel gesehen und wussten
deshalb, dass ich in dieselbe Richtung musste. Wie sich heraus stellte, war der
Vater der Frau, bei der ich einstieg Deutscher, weswegen sie auch Deutsch
sprach und einige ihrer Kinder in Deutschland lebten. Drei weitere saßen im
Auto, wir unterhielten uns nett und mit dem jüngsten werde ich die nächsten
Wochen eine Architekturvorlesung in der Uni besuchen, in der er studiert.
Witzig wie man Leute kennen lernen kann. Endlich zuhause, stellte ich fest,
dass alle anderen ausgeflogen waren. Das Jucken hatte noch nicht nachgelassen.
Ich ging ins Bett, wurde kurz geweckt, als mein Gastvater durchs Treppenhaus
torkelte und nach seinem Sohn brüllte. Anscheinend waren sie auf einem Fest
gewesen. Dann schlief ich wieder ein.
Möglicherweise habe ich in meinen Einträgen das Bild einer
gerne über den Dursttrinkenden Person meines Gastvaters gezeichnet, was so
nicht stimmt. Er arbeitet wirklich viel in leitender Position für sein
Bauingenieurbüro, das große Aufträge besitzt. Es sind um die 10 Stunden am Tag,
häufig auch am Wochenende. Er kümmert sich sehr um seine Familie und dass es
allen gut geht. Bei dem ganzen Stress kann ich verstehen, dass man gelegentlich
– höchstens alle drei Wochen – etwas Ablenkung vertragen kann.
montag, 22. april
Unter großem Jucken wachte ich auf. Meine Haut konnte nicht
trocken sein, ich hatte sie doch erst gestern Abend eingecremt. Ich ging zum
Spiegel. Ich sah aus wie ein Sams, nur dass die Punkte nicht blau sondern rot
waren. Mein gesamter Oberkörper, ausgenommen das Gesicht war übersäht. Seltsam.
Wird schon wieder verschwinden dachte ich mir und zog mich an.
Montags ist mittlerweile der beständigste Tag. Morgens gibt
es Arbeit in den Retamas, wo immer mehr Nachbarn das Sammelkonzept annehmen und
Massen an recyclebaren Materialien vorbei bringen. Wenn ganz La Paz so fleißig
sammeln würde, könnten einige Tonnen Müll pro Tag die Müllkippen, die Straßen
und somit die Umwelt verschonen. Bis dahin ist es wohl aber noch ein weiter
weg, solange die städtische Regierung nicht bei der Mülltrennung behilflich
ist.
Über dieses Thema und die allgemeine Unorganisation
Boliviens redete ich mit einem der Nachbarn des Viertels. Vor allem das es
schwierig fällt etwas zu planen, was auch eingehalten wird ist wohl eines der
Hauptprobleme. Viele erkennen alle möglichen Probleme, doch wie bei uns auch
fällt es schwer geplante Veränderungen gezielt zu verfolgen.
Nach getaner Arbeit ging es nachhause, wo ich mein Müsli
verfeinerte. Auch aufräumen musste vor der anstrengenden Kungfustunde sein,
nach der ich müde ins Bett fiel. Die roten Punkte hatten noch keine Anzeichen
gemacht, sich zu verziehen. Vorsichtshalber wusch ich meine getragenen
Klamotten und wechselte das Bettzeug. Vielleicht war es irgendwelches
Ungeziefer, das mich angegriffen hatte. Die roten Punkte erinnerten an
Mückenstiche und juckten auch wie solche.
dienstag, 23. april
Vor lauter Jucken der über 200 kleinen Erhebungen hatte ich
nur schlecht geschlafen und war das erste Mal froh, dass in der Arbeit morgens
nichts zu tun gab. Der Fokus des Tages lag jedoch da schon auf dem nachmittäglichen
Bayernspiel. Dieses wurde standesgemäß mit dem anderen Freiwilligen, einem
Münchner, in dessen Haus geschaut. Nach Ende der Partie und Rumzeigen meiner
Körperverschönerung, ging es sofort zum Onkel, einem Apotheker. Dieser reichte
mir Pillen, die die rote Plage eindämmen sollten, was gut gelang.
Um unserem Projekt „Saubere Terrasse“ näher zu kommen,
wendeten wir danach einige Schweißperlen auf, um die Terrasse weiter zu
entrümpeln.
Dieses bisschen Arbeit macht so viel Spaß, dass ich die
arbeitslosen Morgen aus meinem Kopf verdränge und mich auf den Tag freue an dem
die Terrasse mit einem Grillgelage eröffnet wird. Abends trafen wir uns mit
jemandem, den wir letzte Woche kennen gelernt hatten, zu dessen Rugbytraining.
Mal schauen, ob ich dieses weitere Sportereignis dauerhaft in meinen Terminkalender
schreiben möchte. Einen weiteren Abend kam ich erst gegen halb elf zuhause an,
wo zu meiner Verwunderung noch Licht in der Küche brannte. So sah ich seit 4
Tagen auch mal wieder meine Gastfamilie. Sie unterhielten sich mit der Tochter
über deren neue Arbeit und interessierten sich kaum für meinen mittlerweile
unheimlich wirkenden Ausschlag. Mit dem Hoffen, diese Nacht besser schlafen zu
können ging es ins Bett.
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